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Kunstberichte
Kunst Haus Wien Museum Hundertwasser: Art Brut aus Japan – Kunst von kaum anerkannten Außenseitern

Innere Kreise der Unvernunft

Art brut auf Japanisch: Eijiro Miyama kostümiert sich als lebende Skulptur und fährt auf dem Fahrrad auf den Straßen von Yokohama. Foto: Collection de l’Art Brut, Lausanne, Schweiz

Art brut auf Japanisch: Eijiro Miyama kostümiert sich als lebende Skulptur und fährt auf dem Fahrrad auf den Straßen von Yokohama. Foto: Collection de l’Art Brut, Lausanne, Schweiz

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Art brut steht nach wie vor hoch im Kurs. Nachdem das Kunst Haus Wien 1995 Jean Dubuffet eine Ausstellung gewidmet hat, setzt man mit einer Übernahme aus der Collection de l’Art Brut Lausanne fort. Der französische Avantgardekünstler Dubuffet hatte 1976 den Begriff der Art Brut für alle Kunst von Außenseitern der Gesellschaft – Patienten aus psychiatrischen Kliniken, sozial Gestrandete, Häftlinge und Exzentriker – geprägt. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts interessierten sich Künstler und Ärzte für die "zustandsgebundene" (Begriff des Psychiatern Leo Navratil für die Gugginger Künstler) Kunstproduktion. Hans Prinzhorn schrieb 1922 "Die Bildnerei der Geisteskranken" und seit den Siebzigerjahren ist das Phänomen international anerkannt und wird verstärkt gesammelt.

"Art Brut aus Japan" wurde von Kengo Kitaoka im Borderless Art Museum NO-MA versammelt – der hochgestellte japanische Beamte für Sozial- und Gesundheitswesen hat die begabten Patienten über ein Jahrzehnt beobachtet und begann ihre Werke zu sammeln. In Japan ist die Außenseiterkunst aufgrund strenger gesellschaftlicher Normen allerdings weniger anerkannt als in Europa.

Lucienne Peiry, Direktorin in Lausanne, hat sich nicht nur als Kuratorin der japanischen Art Brut angenommen, sie ist 2006 durch Japan gereist, um die Künstler zu treffen. Ihre Auswahl bestätigt und erweitert bekannte Fakten zur Art Brut.

Frei vom Zeitgeist

Die Künstler arbeiten anonym und sind sich ihrer Fähigkeiten oft nicht bewusst. Sie sind dadurch ohne Bindung an künstlerischen Zeitgeist oder Kunstgeschichte und verwenden verschiedenste Materialien und Techniken. Viele schreiben exzessiv wie Moriya Kishaba, manche erweitern die japanischen Schriftzeichen zu einer Art Geheimschrift wie Takanori Herai. Die Tonskulpturen von Shinichi Sawada und Satoshi Nishikawa erinnern an afrikanische Stammeskunst.

Konzeptuelle Wiederholung ist oft ein Merkmal der Art Brut wie etwa die Zeichnungen hunderter Eisenbahnwaggons von Hidenori Motooka, die kreisförmigen textilen Werke der Autistin Yumiko Kawai oder die Häuserlandschaften von Yuji Tsuji.

Schwarze Kohle weist bei Takashi Shuji und Toshiaki Yoshikawa intensiv auf die Magie einfacher Alltaggegenstände. Eijiro Miyama fährt fantastisch kostümiert als lebende Skulptur mit dem Fahrrad auf den Straßen Yokohamas – dies und die intensive Arbeitsweise seiner Kollegen wird auch in Filmen präsentiert.

Die Werke der japanischen Künstler lehren uns, wie international die Träume der Unvernunft sind. Mit ihrem direkten Blick in die Psyche reißen sie gesellschaftliche Masken vom Gesicht.

Aufzählung Ausstellung
Art Brut aus Japan
Lucienne Peiry, Andreas Hirsch (Kuratoren)
Kunst Haus Wien
Zu sehen bis 18. Oktober

Printausgabe vom Donnerstag, 16. Juli 2009

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