Genie statt Therapie
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"Die Palmen hat der Sturm umgeworfen“, sagt Karl Vondal, 53, und deutet
auf ein paar Spielzeugbäumchen, die neben einem Häuschen aus
Streichhölzern liegen. An der Wand seiner Schlafkammer im Gugginger
Haus der Künstler, das sich Vondal mit zwei weiteren Künstlern teilt,
hängt eine ebenfalls aus Streichhölzern gebastelte Gitarre. Durch
solche Objekte fiel Vondal vor einigen Jahren der Sozialpädagogin Nina
Katschnig auf, die daraufhin die künstlerischen Ambitionen des
Psychiatriepatienten zu fördern begann. Inzwischen gehört er zu den
großen Talenten im Haus der Künstler.
Eilfertig rollt Vondal eine große Papierrolle aus, auf der sich ein
ganzes Popuniversum auftut mit Gitarren, Sex, Alkohol, Strand, Palmen,
Hochhäusern und Flugzeugen. Am Rand kleben handgeschriebene Geschichten
über Prinzessinnen, die mit einer Figur namens Karl ins Gasthaus gehen.
Die Konsumationen werden penibel aufgelistet: zwei Wiener Schnitzel,
ein halbes Bier, ein Coca-Cola. Dann aber geht’s rasch weiter in Karls
Schlafzimmer zu „Liebe und Sex“. Vondal zeichnet, klebt und schreibt so
lange an diesen Bildgeschichten, bis er die Rolle seiner Galeristin
Katschnig in die Hand drückt und sagt: „Mach damit, was du willst.“ Der
Psychiater und Bildhauer Johann Feilacher über die Kunst des seit vier
Jahren in Gugging wohnenden Karl Vondal: „Das ist das, wovon jeder
Künstler träumt, von einem Bild in seiner Urform. Kunstgeschichte und
Kunstmarkt sind ihm völlig wurscht.“
Das neue Art/Brut Center Maria Gugging steht auf dem Gelände des
Landesklinikums Donauregion. Hier, in den Hügeln nördlich von
Klosterneuburg, wird derzeit auch die Eliteuniversität gebaut. Noch
geht man an einigen Pavillons aus der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts vorbei und an der Psychiatrieambulanz aus den
Siebzigerjahren; einige Fenster sind vergittert. Die Straße endet nach
ein paar Serpentinen beim Haus der Künstler, die Felder und der
Wienerwald schließen direkt an.
Schön ist es hier.
Feilacher, 52, übernahm 1986 das in einem gesonderten Pavillon
untergebrachte, 1981 von Leo Navratil gegründete Zentrum für Kunst- und
Psychotherapie. Damals ging hier allmählich das finstere Mittelalter
der
Psychiatrie zu Ende. Waren in den Fünfzigerjahren nur eine Hand voll
Ärzte für 800 Insassen zuständig, ließ Navratil seine Patienten
Testzeichnungen anfertigen, um Aufschluss über den Verlauf ihrer
Krankheit zu bekommen. Doch dass etwa ein Patient wie Johann Hauser
auch außerhalb seiner manischen Phasen malen konnte, bemerkte erst
Feilacher.
Er saß nächtelang bei Hauser, während dieser malte und zwei Packungen
Zigaretten rauchte. Inzwischen sind bessere Psychopharmaka auf dem
Markt, die Patienten werden nicht mehr so zugedröhnt. Feilacher fällt
der Vergleich mit den LSD-Experimenten Arnulf Rainers in den
Sechzigerjahren ein: „Es stimmt nicht, dass unter dem Einfluss von
Drogen die Bilder besser geworden wären, ganz im Gegenteil.“
Von dem kunsttherapeutischen Zusammenhang der Anfangszeit will
Feilacher heute nichts mehr wissen. Ihn interessiere das Genie, nicht
die Therapie. Er meidet Navratils Begriffe „zustandsgebundene Kunst“
und „Künstlerpatient“, gab der bunt bemalten Station für
Langzeitpatienten den Namen Haus der Künstler. Darin leben nun zwei
Nichtkünstler und acht Künstler, etwa der 87-jährige Johann Fischer. Er
schüttelt den Besuchern im Frühstücksraum überaus höflich die Hand,
beugt sich dann wieder über sein Zeichenblatt. Vom Frühstück bis zum
Mittagessen arbeitet er, Montag bis Freitag. Einige Zimmer weiter
wohnte August Walla (1936–2001), der alles bemalte, was sich ihm als
Unterlage anbot. Als bekanntester Gugging-Künstler hatte Walla das
Privileg, ein Einzelzimmer zu bewohnen.
Dieser auch als Gugginger Sixtina bezeichnete Raum ist von oben bis
unten mit unbestimmten, mythologischen Figuren, mit umgekehrten
Hakenkreuzen, Hämmern und Sicheln bemalt.
"Gute Kunst setzt sich durch“, sagt Feilacher, sie brauche nur die
dafür nötigen Rahmenbedingungen, etwa eine professionelle Galerie und
Museumsräume. Dafür fand sich zunächst kein Geldgeber und so begann der
Umbau der ehemaligen Kinderstation zu einem Kunstzentrum als Projekt
des Arbeitsmarktservice. Langzeitarbeitslose richteten in der ersten
Etage eine Galerie, Ateliers und Depots ein. Für die Museumsräume in
der zweiten Etage schoss das Land Niederösterreich dann 900.000 Euro
zu.
„Wir arbeiten am unteren Limit“, sagt Feilacher.
Um das Vorurteil zu entkräften, die Künstler würden ausgebeutet, da sie
ihre Geschäfte nicht selbst besorgen können, entwickelte Failacher eine
komplizierte Rechtskonstruktion.
Die Werke der Galerie werden von einer Kommanditerwerbsgesellschaft
(KEG) vertrieben, die sich im Besitz der Künstler befindet. Die drei
Mitarbeiterinnen der Galerie sind somit Angestellte der Künstler. Jeder
Einzelne hat seine eigene Buchhaltung, siebzig Prozent bekommt der
durch einen Sachwalter vertretene Künstler, dreißig Prozent die
Galerie. In den Museumsräumen gibt es nichts zu kaufen. Sie unterstehen
der
Privatstiftung Künstler aus Gugging, die Werke der Art brut sammelt,
freilich ohne Ankaufsbudget, sondern durch Schenkungen von Künstlern
und Sammlern. Das Interesse der Künstler an Geldangelegenheiten hält
sich, so die Galeristin, allerdings in Grenzen. „Sie fragen, ob sie
sich Zigaretten kaufen können, und wollen schon mal zusammen auf Urlaub
fahren.“
Aus Nina Katschnig ist längst eine passionierte Kunstexpertin geworden.
Fragen nach der psychischen Erkrankung der Künstler hört sie gar nicht
gerne. Die voyeuristische Erwartung mancher Besucher nervt sie. Das sei
so wie in einem Reservat, wo zur Überraschung der Touristen statt bunt
bemalter Federschmuckträger Indianer mit Ray-Ban-Brillen und Jeans
wohnten. „Hier rennen keine wild gestikulierenden, halbnackten Irren
herum.“ Die Bilder sollen sich nicht „wegen der Story“ verkaufen und
auch nicht aus Mitleid.
Katschnig spricht im Galeristenjargon von „200 Eins-a-Bildern“, die sie
braucht, „um einen neuen Künstler rausbringen zu können“, und von
Vondal, „der in Amerika ein Hit sein wird“. Sie erzählt, dass ein
Kunsthändler mit zu hohen Preisen den Markt für die Bilder von Johann
Hauser kaputt gemacht habe. Erst spät wurde in Gugging mit einer
professionellen Vermarktung begonnen. Navratil drückte interessierten
Besuchern noch gelegentlich einen Walla in die Hand; von Hausers
Bildern, die inzwischen bis zu 150.000 Euro wert sind, ist der Sammlung
kein einziges erhalten geblieben.
Die Botschaft der engagierten Art-brut-Spezialisten ist unüberhörbar.
Sie wollen das Image korrigieren, es handle sich bei dieser Kunst bloß
um Produkte aus der geschützten Werkstätte für den Christkindlmarkt.
„Künstlerische Begabung hat nichts mit der psychischen Verfassung der
Person zu tun. Die mag den Inhalt beeinflussen. In der Kunst geht es
aber um die Form“, doziert Feilacher. Der Vergleich mit den anderen
Künstlern, den „Mainstreamkünstlern“, wie er sagt, brauche hier niemand
zu scheuen. Die Bilder von Peter Pongratz, der in den späten Sechzigern
Hauser-Bilder abmalte, würden heute ein Zehntel der Vorlagen kosten.
Auch auf den Einwand, Gugging sei eine reine Männer-WG, hat man
inzwischen reagiert. Zwei Zimmer stehen für weibliche Neuzugänge bereit.
Dass hier ein lebendiges Art/Brut-Center entstanden sei, darauf ist man
hier besonders stolz. Produktion und Distribution sind einen
Katzensprung voneinander entfernt. Im verglasten Lichthof malte Arnold
Schmidt ein paar große Pilze auf die Wand. „Uns ist das recht, da ist
es eh so weiß“, sagt Katschnig. Im Atelier stehen Leinwände aller
Größen und Malutensilien aller Art bereit. Die Rahmen haben eine
goldene Farbe und sind mit künstlicher Patina überzogen. Es gebe
schönere, aber die hier waren billig. Der hintere Trakt der Galerie ist
dem Publikum nicht zugänglich. Zu groß sei die Versuchung, dass sich
Besucher eines der herumliegenden Werke unter den Mantel stecken.
Aber es gibt ein offenes Atelier, „wo jeder reinkommen darf“. Ein
gewisser Lenny kommt oft hierher, der sei schon sehr begabt und werde
schon bald ins Haus der Künstler ziehen. Er träumt von einer
Ausstellung in der nahe gelegenen Sammlung Essl in Klosterneuburg. Die
Galeristin möchte aber noch warten, bis er mit dem zu erwartenden
Wirbel um seine Person umgehen kann. „Wenn sich jemand für ein
bestimmtes Bild interessiert, malt er es hundertmal.“ Ob Lenny schon
weiß, dass er nicht in die schöne Ausstellungsvilla ziehen wird,
sondern zu zweit in eine Kammer in einer stickigen Männer-WG?
Art/Brut Center Maria Gugging:
Hauptstraße 2, 3400 Maria Gugging.
Information: www.gugging.org
nur mit schriftlicher Genehmigung der Falter Zeitschriften Gesellschaft m.b.H. gestattet.