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Genie statt Therapie

Mit dem neuen Art/Brut Center in Maria Gugging versuchen die ambitionierten Betreiber die Kunst von Psychiatriepatienten aus dem Therapieeck zu holen.
 
Falter 28/2006 vom 12.7.2006
Ressort Kultur > Kunst
Autor Matthias Dusini

Infobox Die Geschichte der Art Brut

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Haus der Künstler Gugging

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"Die Palmen hat der Sturm umgeworfen“, sagt Karl Vondal, 53, und deutet auf ein paar Spielzeugbäumchen, die neben einem Häuschen aus Streichhölzern liegen. An der Wand seiner Schlafkammer im Gugginger Haus der Künstler, das sich Vondal mit zwei weiteren Künstlern teilt, hängt eine ebenfalls aus Streichhölzern gebastelte Gitarre. Durch solche Objekte fiel Vondal vor einigen Jahren der Sozialpädagogin Nina Katschnig auf, die daraufhin die künstlerischen Ambitionen des Psychiatriepatienten zu fördern begann. Inzwischen gehört er zu den großen Talenten im Haus der Künstler.
Eilfertig rollt Vondal eine große Papierrolle aus, auf der sich ein ganzes Popuniversum auftut mit Gitarren, Sex, Alkohol, Strand, Palmen, Hochhäusern und Flugzeugen. Am Rand kleben handgeschriebene Geschichten
über Prinzessinnen, die mit einer Figur namens Karl ins Gasthaus gehen.
Die Konsumationen werden penibel aufgelistet: zwei Wiener Schnitzel, ein halbes Bier, ein Coca-Cola. Dann aber geht’s rasch weiter in Karls Schlafzimmer zu „Liebe und Sex“. Vondal zeichnet, klebt und schreibt so lange an diesen Bildgeschichten, bis er die Rolle seiner Galeristin Katschnig in die Hand drückt und sagt: „Mach damit, was du willst.“ Der Psychiater und Bildhauer Johann Feilacher über die Kunst des seit vier Jahren in Gugging wohnenden Karl Vondal: „Das ist das, wovon jeder Künstler träumt, von einem Bild in seiner Urform. Kunstgeschichte und Kunstmarkt sind ihm völlig wurscht.“
Das neue Art/Brut Center Maria Gugging steht auf dem Gelände des Landesklinikums Donauregion. Hier, in den Hügeln nördlich von Klosterneuburg, wird derzeit auch die Eliteuniversität gebaut. Noch geht man an einigen Pavillons aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorbei und an der Psychiatrieambulanz aus den Siebzigerjahren; einige Fenster sind vergittert. Die Straße endet nach ein paar Serpentinen beim Haus der Künstler, die Felder und der Wienerwald schließen direkt an.
Schön ist es hier.
Feilacher, 52, übernahm 1986 das in einem gesonderten Pavillon untergebrachte, 1981 von Leo Navratil gegründete Zentrum für Kunst- und Psychotherapie. Damals ging hier allmählich das finstere Mittelalter der
Psychiatrie zu Ende. Waren in den Fünfzigerjahren nur eine Hand voll Ärzte für 800 Insassen zuständig, ließ Navratil seine Patienten Testzeichnungen anfertigen, um Aufschluss über den Verlauf ihrer Krankheit zu bekommen. Doch dass etwa ein Patient wie Johann Hauser auch außerhalb seiner manischen Phasen malen konnte, bemerkte erst Feilacher.
Er saß nächtelang bei Hauser, während dieser malte und zwei Packungen Zigaretten rauchte. Inzwischen sind bessere Psychopharmaka auf dem Markt, die Patienten werden nicht mehr so zugedröhnt. Feilacher fällt der Vergleich mit den LSD-Experimenten Arnulf Rainers in den Sechzigerjahren ein: „Es stimmt nicht, dass unter dem Einfluss von Drogen die Bilder besser geworden wären, ganz im Gegenteil.“
Von dem kunsttherapeutischen Zusammenhang der Anfangszeit will Feilacher heute nichts mehr wissen. Ihn interessiere das Genie, nicht die Therapie. Er meidet Navratils Begriffe „zustandsgebundene Kunst“ und „Künstlerpatient“, gab der bunt bemalten Station für Langzeitpatienten den Namen Haus der Künstler. Darin leben nun zwei Nichtkünstler und acht Künstler, etwa der 87-jährige Johann Fischer. Er schüttelt den Besuchern im Frühstücksraum überaus höflich die Hand, beugt sich dann wieder über sein Zeichenblatt. Vom Frühstück bis zum Mittagessen arbeitet er, Montag bis Freitag. Einige Zimmer weiter wohnte August Walla (1936–2001), der alles bemalte, was sich ihm als Unterlage anbot. Als bekanntester Gugging-Künstler hatte Walla das Privileg, ein Einzelzimmer zu bewohnen.
Dieser auch als Gugginger Sixtina bezeichnete Raum ist von oben bis unten mit unbestimmten, mythologischen Figuren, mit umgekehrten Hakenkreuzen, Hämmern und Sicheln bemalt.

"Gute Kunst setzt sich durch“, sagt Feilacher, sie brauche nur die dafür nötigen Rahmenbedingungen, etwa eine professionelle Galerie und Museumsräume. Dafür fand sich zunächst kein Geldgeber und so begann der
Umbau der ehemaligen Kinderstation zu einem Kunstzentrum als Projekt des Arbeitsmarktservice. Langzeitarbeitslose richteten in der ersten Etage eine Galerie, Ateliers und Depots ein. Für die Museumsräume in der zweiten Etage schoss das Land Niederösterreich dann 900.000 Euro zu.
„Wir arbeiten am unteren Limit“, sagt Feilacher.
Um das Vorurteil zu entkräften, die Künstler würden ausgebeutet, da sie ihre Geschäfte nicht selbst besorgen können, entwickelte Failacher eine komplizierte Rechtskonstruktion.
Die Werke der Galerie werden von einer Kommanditerwerbsgesellschaft (KEG) vertrieben, die sich im Besitz der Künstler befindet. Die drei Mitarbeiterinnen der Galerie sind somit Angestellte der Künstler. Jeder Einzelne hat seine eigene Buchhaltung, siebzig Prozent bekommt der durch einen Sachwalter vertretene Künstler, dreißig Prozent die Galerie. In den Museumsräumen gibt es nichts zu kaufen. Sie unterstehen der
Privatstiftung Künstler aus Gugging, die Werke der Art brut sammelt, freilich ohne Ankaufsbudget, sondern durch Schenkungen von Künstlern und Sammlern. Das Interesse der Künstler an Geldangelegenheiten hält sich, so die Galeristin, allerdings in Grenzen. „Sie fragen, ob sie sich Zigaretten kaufen können, und wollen schon mal zusammen auf Urlaub fahren.“
Aus Nina Katschnig ist längst eine passionierte Kunstexpertin geworden.
Fragen nach der psychischen Erkrankung der Künstler hört sie gar nicht gerne. Die voyeuristische Erwartung mancher Besucher nervt sie. Das sei so wie in einem Reservat, wo zur Überraschung der Touristen statt bunt
bemalter Federschmuckträger Indianer mit Ray-Ban-Brillen und Jeans wohnten. „Hier rennen keine wild gestikulierenden, halbnackten Irren herum.“ Die Bilder sollen sich nicht „wegen der Story“ verkaufen und
auch nicht aus Mitleid.
Katschnig spricht im Galeristenjargon von „200 Eins-a-Bildern“, die sie braucht, „um einen neuen Künstler rausbringen zu können“, und von Vondal, „der in Amerika ein Hit sein wird“. Sie erzählt, dass ein Kunsthändler mit zu hohen Preisen den Markt für die Bilder von Johann Hauser kaputt gemacht habe. Erst spät wurde in Gugging mit einer professionellen Vermarktung begonnen. Navratil drückte interessierten Besuchern noch gelegentlich einen Walla in die Hand; von Hausers Bildern, die inzwischen bis zu 150.000 Euro wert sind, ist der Sammlung
kein einziges erhalten geblieben.
Die Botschaft der engagierten Art-brut-Spezialisten ist unüberhörbar. Sie wollen das Image korrigieren, es handle sich bei dieser Kunst bloß um Produkte aus der geschützten Werkstätte für den Christkindlmarkt. „Künstlerische Begabung hat nichts mit der psychischen Verfassung der Person zu tun. Die mag den Inhalt beeinflussen. In der Kunst geht es aber um die Form“, doziert Feilacher. Der Vergleich mit den anderen Künstlern, den „Mainstreamkünstlern“, wie er sagt, brauche hier niemand zu scheuen. Die Bilder von Peter Pongratz, der in den späten Sechzigern Hauser-Bilder abmalte, würden heute ein Zehntel der Vorlagen kosten.
Auch auf den Einwand, Gugging sei eine reine Männer-WG, hat man inzwischen reagiert. Zwei Zimmer stehen für weibliche Neuzugänge bereit.
Dass hier ein lebendiges Art/Brut-Center entstanden sei, darauf ist man hier besonders stolz. Produktion und Distribution sind einen Katzensprung voneinander entfernt. Im verglasten Lichthof malte Arnold Schmidt ein paar große Pilze auf die Wand. „Uns ist das recht, da ist es eh so weiß“, sagt Katschnig. Im Atelier stehen Leinwände aller Größen und Malutensilien aller Art bereit. Die Rahmen haben eine goldene Farbe und sind mit künstlicher Patina überzogen. Es gebe schönere, aber die hier waren billig. Der hintere Trakt der Galerie ist dem Publikum nicht zugänglich. Zu groß sei die Versuchung, dass sich Besucher eines der herumliegenden Werke unter den Mantel stecken.
Aber es gibt ein offenes Atelier, „wo jeder reinkommen darf“. Ein gewisser Lenny kommt oft hierher, der sei schon sehr begabt und werde schon bald ins Haus der Künstler ziehen. Er träumt von einer Ausstellung in der nahe gelegenen Sammlung Essl in Klosterneuburg. Die Galeristin möchte aber noch warten, bis er mit dem zu erwartenden Wirbel um seine Person umgehen kann. „Wenn sich jemand für ein bestimmtes Bild interessiert, malt er es hundertmal.“ Ob Lenny schon weiß, dass er nicht in die schöne Ausstellungsvilla ziehen wird, sondern zu zweit in eine Kammer in einer stickigen Männer-WG?

Art/Brut Center Maria Gugging:
Hauptstraße 2, 3400 Maria Gugging.
Information: www.gugging.org

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