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Wilfried Seipel: Sein Abschied aus dem KHM

01.12.2008 | 18:24 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

General-Direktor Wilfried Seipel zeigt zum Abschluss, was er liebt und wer ihn alles liebt – „Vom Mythos der Antike“ versammelt grandiose Gemälde aus grandiosen Museen, vom Prado bis zur Eremitage.

Hätte Niobe doch einmal den Mund gehalten, ihren Mutterstolz, sieben Söhne, sieben Töchter, still genossen – und die beim Volk so erfolgreiche Göttin Leto nicht für ihren überschaubareren Nachwuchs, die Kleinen Apoll und Diana, verhöhnt. So weit, so aktuell, der Mythos Mutter contra Karrierefrau. Nur sein Ausgang ist heute weder so blutig noch so gewiss wie in der Antike. 1591 übersetzte der niederländische Manierist Abraham Bloemaert Letos furchtbare Rache in ein schwindelerregendes Bild: In farblich irritierender Atmosphäre aus kühlem Mondlicht und goldigem Fleisch drapiert er die Leichen von Niobes Kindern übereinander, abgeschossen wie Wild von Apolls und Dianas Pfeilen aus dem Götterhimmel. Die Hand einer Tochter scheint direkt aus dem Bild zu reichen, uns um Hilfe bittend. Die andere Hand aber, die legt sie sich fast wohlig in den Nacken.

Die Dramatik ist hier der Schönheit geopfert, am absurdesten beim blondgelockten Sohn im Vordergrund: Er wirkt, als wäre er beim Fernsehen schlummernd nach hinten gesunken – nur, dass eben ein Pfeil in seiner Brust steckt und sein lässig ausgestreckter Arm nicht auf der Couch, sondern dem Bruderleichnam ruht. Und Mutter Niobe? Noch klagt sie hier, doch bald schon, geht der Mythos jedenfalls weiter, werden ihre Tränen als Wasserfall vom Berg Sipylos stürzen.

Die lustvolle Betrachtung seiner liebsten Bilder und Themen, der in Renaissance und Barock wiederentdeckten antiken Götterwelt, will KHM-Generaldirektor Wilfried Seipel in seiner selbst kuratierten Abschiedsausstellung mit uns teilen, nach 18 Jahren, in denen er das Programm des Hauses prägte, ein fast intimes Vergnügen. Hier Velazquez' müder, der Waffen entkleideter Kriegsgott Mars aus dem Prado, mit dem Seipel sich gerne selbstironisch vergleicht. Da Cellinis „Saliera“, deren Schicksal so eng mit dem Seipels verknüpft ist – nach zwei Jahren Restaurierung ist der aufreizende Doppelsitzer von Erde und Meer, der nebenbei auch Salz und Pfeffer spendete, wieder zu sehen – am originalen, von KHM-Architekt Carl Hasenauer entworfenen Holzsockel, der Seipel zuletzt im Büro als Büchertisch diente. Gleich dahinter Giorgiones „Drei Philosophen“, Seipels Lieblingsbild, das 2006, fast zu seinem Leidwesen, von Karin Zeleny doch noch enträtselt wurde – zu sehen sind Pythagoras und seine zwei Lehrer, Thales und Pherekydes.

 

Der Venus-Rücken des fülligen Cousins

Ein ganzes Kapitel ist Bacchus gewidmet, seinen orgiastischen Umzügen, seiner (Lebens-)Trunkenheit, wo sich Satyrn mit Mänaden herumtreiben und bocksbeinige Monsterbabys in Rubens „Bacchanal“ aus dem Moskauer Pushkin-Museum ihrer Mutter die Lebenskraft aus den Zitzen zu saugen scheinen. Das ewig Weibliche bestimmt hier das meiste, selbst wenn es nur Venus' fleischiger Rücken ist, den Annibale Carraci angeblich seinem fülligen Cousin abgeschaut hat. Oder Psyches fahl leuchtender Körper, der unter Amors Flügeln wieder Leben empfängt, wie Johann Heinrich Füssli so unschuldig lüstern preisgibt. Diese Damen kennen wir. Bei Astraea, bei Apelles, Kampaspe, Antaeus, Bellerophon aber spürt man Minervas Sandale empfindlich drückend an der eigenen Gurgel, wie es in Bartholomäus Sprangers Allegorie der „Siegerin über die Unwissenheit“ dargestellt ist.

Derart üppiges bildungsbürgerliches Wissen, derart nonchalant demonstrierte Weltläufigkeit durch Leihgaben der wichtigsten europäischen Museen, derart elegant (von Hans Hoffer) inszenierte Leidenschaft fürs Schöne, fürs Feiern – wenn jemand eine Personale über Wilfried Seipel zusammenstellen müsste, dies wäre ein glücklicher Versuch.


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