Der britische Künstler Hart Dyke erhielt einen
Auftrag ganz besonderer Art – er porträtierte den MI 6
Die geheime Lizenz zum Malen
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"Waiting in the Hotel Room", Detail aus Dykes Sicht auf den britischen
MI6. Foto: Mount Street Galleries/Dyke
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Von WZ-Korrespondent
Peter Nonnenmacher
Geheimdienst
stellte sich ein Jahr lang unter artistische Beobachtung.
Das Ergebnis dieser Observationen ist nun in
London zu besichtigen.
London. Begonnen hatte alles, wie
es sich in einem solchen Fall gehört, mit einem mysteriösen
Telefonanruf. Ein guter Bekannter, den der Maler James Hart Dyke nun
nicht mehr beim Namen nennen darf, forderte ihn vorletzten Sommer zu
einem Treffen "in einer ruhigen Ecke" eines Londoner Pubs auf.
Zuerst habe er geglaubt, man halte ihn zum Narren, erinnert sich Dyke
an den "unwahrscheinlichen" Vorschlag bei jener Begegnung. Erst als dem
Kneipen-Rendezvous reguläre Verhandlungen in der Zentrale des
Geheimdienstes MI6 folgten, begriff der Maler, dass es den Auftraggebern
ernst war, und was von ihm erwartet wurde.
"Im Grunde", berichtet Dyke, habe man ihn damals aufgefordert, "MI6
zu infiltrieren" – mit dem Zeichenblock in der Hand. Im Geheimdienst war
nämlich die Frage aufgekommen, wie der auch filmisch legendäre MI6 sein
hundertjähriges Bestehen angemessen feiern könne. Im Zuge jüngster
Bemühungen, die übermäßigen Schleier der Geheimhaltung auf der Insel
etwas zu lüften, verfiel man auf die Idee, "typische Szenen" aus dem
Leben der Agenten malen zu lassen. Fotografien kamen nicht in Frage.
Aber ein diskretes Stimmungsbild aus Öl, Blei, Kohle und Wasserfarben
erlaubte Selbstdarstellung ohne größeres Risiko.
Porträtist des Königshauses und Kriegschronist im Irak
Hart Dyke war der ideale Kandidat für einen solchen Auftrag. Dyke
hatte sich erst als Landschaftsmaler, dann als Porträtist des
Königshauses und zuletzt als Kriegs-Chronist, im Irak und in
Afghanistan, einen Namen gemacht. Ihm wurde angeboten, zwölf Monate lang
bei MI6 ein- und auszugehen, um den Geist der Geheimdienst-Operationen
für ein weiteres Publikum fassbar zu machen.
So formulierte es Dykes Auftraggeber, der damalige MI6-Chef John
Scarlett, wie alle seine Vorgänger als "C" bekannt. Dyke erhielt also
freien Zugang zum MI6-Hauptquartier in London, aber auch zu den diversen
Dependencen des Dienstes in aller Welt. Von denen konnten sich Freunde
guter Thriller bisher ja nur ein Bild aus John le Carrés oder Ian
Flemings glorreichen Agentengeschichten machen. Für Dyke war das, was er
bei seinen Beobachtungen sah, allerdings "nicht James Bond". Was in der
"Glitzerwelt" der Fiktion verborgen bleibe, meinte Dyke, sei zum
Beispiel, "wieviel Zeit beim Secret Service darauf verwendet wird,
einfach nur herum zu sitzen – im Warten auf etwas, das passieren könnte,
oft aber gar nicht passiert".
Entsprechend präsentieren seine Zeichnungen und Gemälde, die seit
dieser Woche in Londons kleiner Mount-Street-Galerie zu besichtigen
sind, dieses Warten, das zähe Lauern, viel unterdrückte Spannung. Die
Figuren, die er im Rahmen des Projektes malt, schauen aus Fenstern,
gehen über leere Plätze, sitzen in Büros, oder auch in Hotelbars, in
stummer Bereitschaft. Die Plätze selbst, grau-in-grau, grau-in-grün,
atmen oft eine bedrückende Einsamkeit. Der bunte Knalleffekt der
007-Schauplätze geht ihnen entschieden ab.
Figuren ohne Gesichtszüge und bewusste Vieldeutigkeit
Gesichtszüge hat Dyke nicht malen dürfen. Auch die abgebildeten Räume
mussten unidentifizierbar bleiben. Viele seiner Figuren wenden sich ab,
oder sind von hinten zu sehen. Verwaschene Szenen schaffen bewusst
Vieldeutigkeit. Sie bestärken den Betrachter aber auch im Gefühl, dass
nichts und niemandem zu trauen ist, in dieser Welt der "Spooks", der
allgegenwärtigen Spionage.
Wer wird verfolgt? Und wer beobachtet wen? Einige seiner "Modelle"
hätten ihm schlicht nicht geglaubt, dass er sie für eine
Jubiläums-Ausstellung zeichnen sollte, lacht Dyke: Sie hätten
geargwöhnt, dass die Zentrale ihn eingeschleust habe, um sie bei der
Arbeit auszuspionieren.
Mittlerweile ist Hart Dyke froh, wieder "ein normales Leben" führen
zu können. Zwölf Monate lang durften nur seine Frau und seine Eltern von
dem geheimen Kunst-Auftrag wissen. Wie die MI6-Bediensteten selbst
musste er sich schriftlich verpflichten, kein Wort von dem, was er zu
Gesicht oder Gehör bekam, jemals an die Öffentlichkeit zu lassen. Und
mehrfach verlangten seine Auftraggeber "kleine Änderungen" – damit nur
keine Geheimnisse preisgegeben würden, bei dieser PR-Aktion.
Immerhin: Hochzufrieden war MI6 mit Dykes Werken. Mehrere wurden
gleich aufgekauft und hängen künftig in britischen Geheimdienststuben.
Auch der Mann, der "C" war, John Scarlett, hat zur Erinnerung an seine
Dienstjahre einen Dyke erworben. In einer Gestalt am
Hotelzimmer-Fenster, die beharrlich auf die Straße schaut und auf etwas
Unbestimmtes wartet, erkannte sich der Ex-MI6-Chef auf Anhieb selbst
wieder.
Ausstellung
"A Year with MI6"
Mount
Street Galleries
London W1
bis 26.Februar.
Printausgabe vom Donnerstag, 17.
Februar 2011
Online seit: Mittwoch, 16. Februar 2011 18:04:00