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Wien
Renée Green in der Wiener Secession
von Doris Berger
Was bleibt in Erinnerung nach dem Besuch der Ausstellung in den labyrinthförmig angeordneten Räumen mit bunten Wänden und kuscheligem Interieur im siebziger Jahre Look, in der Renée Greens Arbeiten von 1996 bis 1999 zueinander in Beziehung gebracht werden? Und was bedeutet diese Erinnerung? Renée Green bietet den Besuchern und Besucherinnen verschiedene Herangehensweisen zur Geschichte, indem sie auf mehreren Ebenen Alternativen zu Geschichtskonstruktionen vorlegt, die Allgemeingültigkeit vorgeben.

Die Recherche über die beinahe vergessene, neapolitanische Filmemacherin Elvira Notari, die Anfang dieses Jahrhunderts sogar eine Filmproduktionsfirma besass, bietet Green den Ausgangspunkt für ihr Video ‹Some Chance Operations›. Diese Arbeit wird in einem ‹unsichtbaren Kino› mit schwarzem Vorhang und Sitzkojen präsentiert und thematisiert erlebte, imaginierte und vergessene Geschichte anhand von Interviews über die Stadt Neapel. Träume, Projektionen und Erinnerungen färben das blosse Faktenwissen der einzelnen Personen und ergeben ein heterogenes Bild nicht nur dieser Stadt, sondern lassen auch Rückschlüsse auf die Funktionsweise von Geschichtskonstruktion zu.

Renée Greens Ausstellung konfrontiert uns mit verschiedenen historischen und kulturellen Recherchen in diversen Vermittlungsmedien, die assoziativ verknüpft sind. Das Ziel ist nicht, zu einem linearen Erzählstrang zu gelangen, eine allgemeingültige Geschichte
zu erzählen, sondern Möglichkeiten von Geschichten auszudenken und somit eine universelle Geschichtsschreibung in Frage zu stellen. In ‹Partially Buried in Three Parts› reflektiert Green mittels Fotografien über die siebziger Jahre. Die ortsbezogene Arbeit ‹Partially Buried Woodshed› (1970) von Robert Smithson an der Kent State University in Ohio wurde nach der Protestveranstaltung gegen die US-Invasion in Kambodscha, bei der vier Studenten erschossen wurden, mit dem Schreckensdatum versehen und dadurch umgewertet. Auf der gegenüberliegenden Wand des avocadogrünen Raums hängen Fotos, die 1980 während des Korea-Kriegs in Kwangju entstanden sind, neben solchen, die Green 1997 selbst an diesem Ort sowie in Seoul machte. Vergangenheit und Gegenwart greifen ineinander über. Im nächsten Raum kommt man zurück in die 70er Jahre mit Musik dieser Zeit, Plattencovers, Möbeln, Teppichen, Polstern, einem Stichwortverzeichnis der New York Times und einem Kreis von Monitoren, auf denen Interviews bzw. Berichte aus und über die erwähnte Protestveranstaltung laufen. Wieder in einem anderen Ambiente befinden sich Renée Greens Videotapes, die sie seit 1991 produziert hat.

Es ist beinahe unmöglich, an einem Ausstellungsbesuch alle aufbereiteten Informationen zu verarbeiten, diese sogar nur zu sichten. Greens Ausstellungsassemblage provoziert eine physische Erschöpfung durch die Intensität der Materialaufbereitung und der dadurch hervorgerufenen Reflexionsmomente. Doch das Nachdenken jedes einzelnen über die in Erinnerung gebliebenen Arbeiten kann als individuelle Geschichtsbildung verstanden werden. So findet Renée Greens Thema im Gedächtnis der Besucher und Besucherinnen eine Fortsetzung.

Bis 11.4.1999

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Ausgabe: 04 / 1999
Ausstellung: ( - )
Institution: Wiener Secession (Wien)
Autor/in: Doris Berger
Künstler/in: Renée Green