Oesterreich

Doktor Martin und der Schüttkünstler

19.12.2007 | SN
Kunst, Wissenschaft und Wein: Hermann Nitsch lässt seinen Wein von Michael Martin keltern, dessen Frau ihre Doktorarbeit über den Aktionisten geschrieben hat.

Fritz PesslNeusiedl an der Zaya (SN). Seit dem Sommer hängt an der Haustür Hauptstraße 28 in Neusiedl an der Zaya im nördlichen Weinviertel ein Schild: "Familie Doktor Martin." Ungewöhnlich. Ein Arzt in einem Bauernhof? Keineswegs. Im Martinshof macht der 35-jährige Michael Martin in vierter Generation Wein. Ohne Matura, dafür hätte er keine Zeit gehabt, betreibt er doch das Weingut, seitdem er 18 ist.

"Er ist der Praktiker, mein Rohdiamant", erzählt seine Frau Freya. Die gebürtige Kärntnerin ist studierte Germanistin und Theaterwissenschafterin. In ihrer Doktorarbeit "Vergleich von Orgien- und Mysterientheater im Kontext der antiken griechischen Tragödie" hat sich die 32-Jährige mit dem Wirken des Aktionisten Hermann Nitsch beschäftigt. Nicht zufällig: Der Künstler lebt im fünf Kilometer entfernten Schloss Prinzendorf.

Beim Heurigen waren die beiden ins Gespräch gekommen. "Die Idee zur Arbeit über Nitsch kam von ihm. Er hat mir gleich auch das Thema vorgegeben", sagt Freya Martin. Der emeritierte Professor der Städelschule in Frankfurt am Main stellte ihr dafür seine riesige Bibliothek und sein Zeitungsarchiv zur Verfügung, in dem er seit den 60er Jahren in rund 100 Ordnern sämtliche Artikel gesammelt hat, die weltweit über ihn geschrieben wurden.

Ihren 69-jährigen Mentor beschreibt Freya Martin als sehr belesen, tolerant und menschlich. "Oberflächlich gilt Nitsch als Blutkünstler und Provokateur. Je mehr ich mich mit ihm beschäftigt habe, desto fundierter ist seine Theorie und Kunst selbst geworden. Dahinter steht ein Lebenskonzept." Demnach orientiert sich Nitsch an der Antike. Zentrale Figur damals bei den Griechen wie in Nitschs Theaterstücken ist Dionysos - womit wir wieder beim Wein wären. Dionysos ist der Gott des Weines, der Ekstase und Lebenslust.

"Nitsch versucht, die griechische Tragödie zu reflektieren. Während der Aufführung wird gegessen und getrunken, die Natur dient als Kulisse, gespielt wird von morgens bis abends bis zu fünf Tage lang. Nitsch will mit seinem Theater alle fünf Sinne ansprechen", erzählt Freya Martin. "Heute ist alles portioniert und hergerichtet. Es fehlt die Assoziation zum Ursprünglichen, dass für ein Fleischgericht ein Tier geschlachtet werden musste. Nitsch versucht durch Schock und Provokation zum Ursprünglichen zu kommen", sagt die Akademikerin. Nitsch arbeite in seiner Kunst sehr mit Symbolhaftem - im Schönen und im Grauslichen.

Und: Der Schüttkünstler ist passionierter Weintrinker, vor allem Weißweintrinker. Seit 1982 besitzt er einen knapp einen Hektar großen Weingarten. Und nachdem ein langjähriger Mitarbeiter in Pension gegangen war, entstand so ein weiteres Projekt mit der Familie Martin. Seit dem Vorjahr ist Michael Martin für die Pflege und Verarbeitung des Nitsch-Weines zuständig.

Während der Burgunder-Spezialist im eigenen Hof seine Qualitätsweine fast ausschließlich in Bouteillen abfüllt, wurde für Nitsch ein völlig anderes Konzept gewählt: die Dopplerflasche mit traditionellem Naturkorken, ein "Bauern- und Hauerwein". Das Etikett wurde von Nitsch kreiert und gestaltet.

Männergespräche über Essen, Trinken und Frauen Michael Martin über die Kooperation: "Jeder ist für das zuständig, was er am besten kann." Das ist auch der Grund, warum die beiden schnell übereingekommen sind, nicht über Kunst zu reden. "Ich sehe mich als Handwerker. Mit mir spricht Nitsch lieber über Essen, Trinken und über die Frauen", erzählt Michael Martin und lacht.

Die Trauben für den Nitsch-Wein sind ein gemischter Satz vom Grünen Veltliner, Welschriesling, Müller Thurgau und teilweise in Vergessenheit geratenen Sorten wie dem Grauen Portugieser. "Ich bin einmal mit einem alten Dorfbewohner den Weingarten zur Bestimmung der Reben abgegangen. Bei 15 verschiedenen Weinsorten haben wir zu zählen aufgehört", sagt Michael Martin. Von dem Wein werden ein paar hundert Flaschen abgefüllt. Preis: 40 Euro. "Man kauft Kunst mit. Nitsch kann es nicht zum Diskont geben, auch das sollte aufregen", meint der Winzer.

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