Serielle Mehrfachfiktionen

von Franz Thalmair  |  07. Dezember 2009, 15:39
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    Silvia Ederer in ihrem Wohnatlier. So stellt man sich den Arbeitsraum einer Malerin vor: Farben, Tücher, Spachteln und natürlich jede Menge Pinsel.


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    Die fünfteilige Serie mögliche Endeinstellungen eines film noir I-V (2009) adaptiert malerisch, was vom Film-Noir-Genre vorgegeben wird: Licht- und Schattenwelten.

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    Weißes Sofa vor rotem Hintergrund: In der Foto-Serie chapter I-V (2006-2008) inszenierte Silvia Ederer zwei Jahre lang unterschiedliche Themen in einem gleichbleibenden Setting.

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    Aus dem unbestimmten Raum tropfen Gerüchte auf die weiße Weste: ... and this is how to become a black sheep (2009) stellt soziopolitische Prozesse nach.

     

Silvia Ederers Wurzeln liegen in der Malerei - Festlegen will sie sich aber nicht, denn "jede Idee erfordert ihr eigenes Medium"

Blaues, rotes, gelbes und grünes Acryl, Farbpaletten, quadratmeterweise Leinwände, Tücher, Spachteln und natürlich Pinsel befinden sich im Arbeitsraum von Silvia Ederer. Eine braune Ledercouch lehnt an der Wand, eine weiße dient zum Sitzen. Die Wände und der Boden des zum Atelier umfunktionierten Wohnzimmers in der Altbauwohnung werden mit einer riesigen Backpapierrolle vor Farbe geschützt - gut so, denn die Arbeit hinterlässt ihre Spuren darauf.

"Manchmal, wenn es mir hier zu viel und zu eng wird, schlafe ich bei Freunden", sagt die Absolventin der Akademie der bildenden Künste Wien, die bei Gunter Damisch und Eva Schlegl studiert hat. Trotz der vielen Töpfe und Tuben im Atelier geht die Künstlerin mit Farbe nur sehr sparsam um. "Ich mag Kontraste - vielleicht hat das etwas mit Stäbchen und Zäpfchen zu tun." Sie lacht. Über ihren Arbeitsprozess sagt sie: "Wenn ich male, arbeite ich häufig mit eigenen Fotos. Dieses Ausgangsmaterial behandle ich am Computer so lange, bis ich schließlich Lust bekomme es auf der Leinwand umzusetzen." Eine malerische Idee durchläuft bei Silvia Ederer also mehrere Stufen bis sie sich mit Fotografie, Literatur und popkulturellen Elementen zu großformatigen Bildwelten verbindet. "Das Endprodukt dieses Prozesses", so die Künstlerin, die gerne in Serien arbeitet, "ist vollständig durchgewaschen und geschleudert."

Dunkle Imaginationswelten

In einer ihrer Serien bedient sich Ederer, die lange Zeit beim Fernsehen als Produktionsassistentin, Ton- und Kamerafrau gearbeitet hat, am Film-Noir-Genre. mögliche Endeinstellungen eines film noir I-V (2009) zeigt einzelne Bildfelder, die gleichzeitig Kulisse, Personen, Requisiten und die Geschichte eines möglichen Filmes beinhalten. In Graustufen stellt Ederer die vom Kontrast lebendenden Licht- und Schattenwelten nach, die kennzeichnend für dieses Filmgenre sind und ihm auch seinen Namen geben. Eine Brücke führt ins Dunkel der Nacht, im Mondschein werfen ihre Geländer sanfte Schatten - wohin führt dieser Weg? Eine hell gekleidete Frau liegt in der Wiese, während sie durch eine zweite Figur überblendet wird - wer ist diese Person? Eine Lampe beleuchtet einen Gegenstand, der durch das Hell und Dunkel bizarre Formen an der Wand erzeugt - wer bewohnt diesen obskuren Raum?

Bei mögliche Endeinstellungen eines film noir I-V geht es um die Fiktion einer Fiktion. "Wie bei einem Buch", sagt Ederer, "sind beim Film die erste und die letzte Szene zentral - du kannst einen ganzen Text oder einen Film ruinieren, wenn du nicht richtig ein- und aussteigst. Film ist ein narratives Medium, das einem Geschichten meist vom Beginn bis zum Schluß erzählt. Wenn du aber nur die letzte Szene eines Films siehst, überlegst du dir, wie die Geschichte davor aussehen hätte können - wie bin ich dort hingekommen?" Silvia Ederer erzeugt mit ihren Bildern Erzählungen im Kopf. Jedoch nicht wie im Film breitet sie die Geschichte linear vor einem aus, im Gegenteil, sie ermutigt den Betrachter vielmehr dazu, eine Geschichte mit eigenen Gedankenbildern zu re-konstruieren. Jeder Betrachter spinnt seine eigene Erzählung, die sich schließlich in den gemalten Filmkadern verdichten und wieder zueinanderfinden.

Farbenreiche Inszenierungen

Neben ihren großformatigen Malereien fotografiert die Künstlerin. Auch bei diesem Medium steht die Narration im Vordergrund. "Ich bearbeite meine Fotos nicht im Nachhinein, außer ich will sie malen", sagt Ederer trocken über ihre Herangehensweisen an die unterschiedlichen Formate. In der Fotoserie chapter I-V (2006-2008) hat sie etwa über einen Zeitraum von zwei Jahren unterschiedlichste Themen in einem immer gleichbleibenden Setting in einer Ecke ihres Ateliers ausgetragen. Ausgangspunkt für die bühnenbildartigen Inszenierungen war das wuchtig-weiße Ledersofa, das in ihrem Arbeitsraum steht. "Zuerst kommt immer die Brütphase, in der alles - die ganze Umwelt - mit einem eigenen Leben erfüllt ist. In dieser Phase muss ich wirklich ganz präzise aussortieren, damit es dann schließlich zum Schaffensprozess kommen kann."

Was Ederer mit "eigenem Leben" so poetisch beschreibt, zeigt sich auf den Farbfotografien, die sie mit einer Mittelformatkamera schießt, als anspielungsreiche Neuanordnung von Bildausschnitten, kleinen Figurinen, einem gänzlich leeren Fotosetting oder dreidimensionalen Buchstaben, die sie am Sperrmüll gefunden hat. "Auf einem der Fotos habe ich mit dem Bild der Skulptur des Hermaphroditen im Pariser Louvre gearbeitet", sagt sie: "Der Hermaphrodit liegt auf einem Bett aus Marmor, dessen Farbe und Textur jener meiner Couch ähnelt. So ist auf formaler Ebene eine Verdoppelung der beiden Fotoinhalte entstanden, die ich sehr reizvoll finde." Ein wichtiger Teil des Arbeitsprozesses von Silvia Ederer ist die Selektion. Aus der Vielzahl an Fotografien, die die Künstlerin beim Atelierbesuch zeigt, haben es nur wenige so weit geschafft, dass sie sie auch in einer Ausstellung zeigen würde.

Installative Anordnungen

Selbst wenn die Künstlerin ihre Wurzeln eindeutig in der Malerei sieht, behauptet sie über die kürzlich im Wiener Museum auf Abruf gezeigte Installtion ... and this is how to become a black sheep (2009), dass jede Idee ihr eigenes Medium braucht und sogar einfordert: "Ich will mich da nicht festlegen." Der Titel der Arbeit, die für die Ausstellung Wiener Gerücht (eop) entwickelt wurde, steht programmatisch für den Prozess, den er beschreibt: langsam, alle fünf Sekunden, Tropfen für Tropfen färbt schwarzes Pigment das überdimensionale weiße Cape aus Schafsfell, dass einen am Boden liegenden Mann bedeckt. "Das ist ein soziopoltischer Prozess - die schwarzen Flecken kommen aus dem undefinierten Raum, also aus dem Nirgendwo." Gerüchte, Unglückswünsche und Missgunst lassen sich nur selten konkret lokalisieren, sie entstehen einfach, teils aus Missverständnissen, teils weil sich Menschen nicht über die Folgen ihrer Verbreitung bewusst sind.

Am Plafond des Museum war eine Tropfvorrichtung installiert, die die Künstlerin aus einer Infusionsflasche und Schläuchen aus dem Krankenhaus gebaut hatte. "Weil ich zuerst ein zu fettes Pigment verwendet habe, hat sich die Öffnung der Tropfflaschen verstopft," erklärt sie die Schwierigkeiten im Umgang mit solchen prozess-basierten Arbeit. Das Symbol für den Mantel der Unschuld versuchte sie während des Eröffnungsabends noch einmal zu verstärken und verbreitete unter den Musuemsbesuchern das Gerücht, der Kunsthallendirektor Gerald Matt habe sich zur Verfügung gestellt, um unter dem Mantel zu verweilen.

Silvia Ederer arbeitet gleichermaßen mit Verschmelzungen wie mit Brüchen: Sie verbindet die Malerei mit den Arbeitsmethoden von Drehbuchschreibern - Regisseur bleibt immer der Betrachter. Sie setzt kunsthistorische mit popkulturellen Phänomenen gleich - inszeniert wird der Alltag. Die Künstlerin persifliert einen Kunstbetrieb, in dem sie ihr "Auslangen finden" muss - und will. Nicht glattgebügelt oder gar sauber zeigt sich das Ergebnis ihres langen Reflexionsprozesses über Inhalt und Form. Ihre Bildwelten - entfalten sich diese auf Leinwand, Fotopapier oder im dreidimensionalen Raum - präsentieren das präzise Ergebnis einer sich vervielfachenden Reproduktion von möglichen Wirklichkeiten. Ähnlich vielschichtig und dicht wie die Spuren ihrer Arbeit, die sich am Boden und auf den Wänden ihres Ateliers abzeichnen. (fair)

Zur Person:
Silvia Ederer lebt und arbeitet in Wien. Sie wurde 1972 in Graz geboren und hat an der Akademie der bildenden Künste Wien Malerei und Fotografie bei Gunter Damisch und Eva Schlegl studiert. Zuletzt wurden ihre Arbeiten im Siemens Artlab (2007), bei der unORTnung IV (2008) und unOrtnung V (2009) sowie bei einer von eop initiierten Ausstellungsreihe im Museum auf Abruf (2009) gezeigt. Anfang Dezember 2009 waren ihre Zeichnungen bei der Kunstmesse pulse miami zu sehen.

Links:
Silvia Ederer (basis wien)
Feature (.pdf-Download) über Silvia Ederer
www.artlab.at

druckenweitersagen:
08.12.2009 20:35

so langweilig und bemüht kann gerede/geschreibe über kunst sein.

08.12.2009 18:04
hübsch!

aber mehr nicht.

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