Leer
ist es noch, an diesem Morgen in den Hallen der Galeries Lafayette. Nur
hier und da wandeln schlaftrunken Fashion Victims. Guillaume Houzé,
einfacher Anzug, Hemd ohne Krawatte, frisch gekämmte graumelierte Haare
(er ist 28), sitzt konzentriert im hauseigenen Restaurant. Über ihm
dekorieren barocke Spiegel die Wand. Das gerahmte Bild, scheinen sie zu
sagen, zeigt immer zuerst den, der hineinblickt. „Ich weiß nicht, ob
ich mit der Kunst eine Identität finden will, aber ich weiß, dass mir
die Kunst immer neue Welten öffnet“, erwidert der
Galeries-Lafayette-Erbe mit demselben intensiven Blick, mit dem er
sortiert, was auf den Laufsteg der Kunst gehört.
Komplexe
gegenüber Kunst abbauen. Houzé ist kein reicher Nichtstuer: Mit
Business-Diplom von der Universität Paris X in der Tasche, ist er seit
Jänner 2008 Marketingleiter im Familienbetrieb, muss sich „die Zeit für
die Kunst besser einteilen“. Er will etwas in Gang bringen, will „die
Kunst einem Publikum nahebringen, das sie nicht kennt, will die
Komplexe gegenüber Zeitgenössischem aus Frankreich abbauen“.
Er betont: „Kunst ist Teil meines Lebens“ – und man glaubt ihm
sofort. „Meine Urgroßeltern sammelten Impressionisten, meine Großeltern
die Pariser Schule, mit 17 sah ich bei ihnen diese in der Struktur
aufgelöste Frau von Chaim Soutine. Das war ein Schlüsselerlebnis, sehr
schön, sehr hart.“ Frauen formten weiter seinen Weg in die Kunst.
Besonders die Großmutter, Ginette Moulin, 82-jährige Enkelin des
Lafayette-Gründers und noch heute in der Direktion des
Familienbetriebes. „Ich habe mit Pop-Art und viel Buntem angefangen,
gab als Jugendlicher mein Erspartes, 1400 Euro, für einen Erró aus.
Heute neige ich zu Arbeiten, bei denen man nicht gleich alles begreift.“
Kunst
im Nobelkaufhaus. Galeristen wie Philippe Valentin, Michel Rein oder
Olivier Antoine wurden seine Mentoren. Inzwischen dreht er selbst mit
am Pariser Kunstkarussell, Multimediakünstler wie Saâdane Afif oder
Dekoranalytiker wie Mathieu Mercier verdanken ihm ihren Aufstieg.
Unlängst ins Direktorium von Christie's France aufgenommen, lancierte
Houzé mit der Großmutter 2004 eine Jahresschau neuer
French-Touch-Künstler. Ein Bombenerfolg: „Von den 80.000 Kunden, die
täglich ins Haus kommen, haben letztes Jahr in knapp drei Monaten
immerhin 55.000 die Ausstellung gesehen.“
Zu viel staatliche
Kunsthilfe. Ironisch „Antidote“ genannt, soll die Ausstellung Gegengift
sein für den „Defätismus der französischen Kunstszene“. Oder doch nur
Luxus-Marketing-Gag à la Chanel oder Hermés? Houzé hebt die Brauen:
„Vor fünf Jahren fing das gerade an. Man kann so was sehr schön machen,
wie der Espace Louis Vuitton. Wir machen das nicht, für uns ist Kunst
Familiengeschichte und ,Antidote‘ Teil einer Sammlung, ein ganzjähriges
Engagement.“ Frankreich leide unter zu viel staatlichen Kunsthelfern,
meint der Sammler, „wir brauchen mehr private Förderung und Mut,
Position zu beziehen, wie Antoine de Galbert mit seiner ,Maison Rouge‘.“
Trendsetter
oder nur Trendfolger? Achtung: Vom Trendsetter zum Trendfolger ist der
Schritt nur klein. Fast dieselben Künstler wie die Galeries zeigt
gerade auch Likörproduzent Paul Ricard als Anwärter auf den „Prix
Ricard“: Étienne Chambaud, Aurélien Froment, Mark Geffriaud, Jimmy
Robert. „Völliger Zufall“, verteidigt sich Houzé, „diese neuen
Positionen sind eben einfach gut.“ In Auswahl und Hängung sticht Houzé
Ricards Kurator jedenfalls aus, hat zudem den wichtigsten Vertreter des
„new french gaze“ in seiner Schau: Laurent Montaron.
Gefunden hat er ihn durch die deutschen Wahlpariser „Schleicher & Lange“, zurzeit die stärksten Pariser Galerienaufsteiger. Solche will Houzé auf der Kunstmesse FIAC fördern, die heute, Sonntag, zu Ende geht und als deren Hauptsponsor das Kaufhaus heuer 14 aufstrebende „Emergenz“-Galerien zum Sonderbereich im mit 80 Galerien gefüllten Zelt im Cour Carrée des Louvre versammelt. Darunter: die Pariser Konzept-Broker Balice Hertling (gerade in neue Räume umgezogen), die Londoner Independents „Hotel“ oder die neokonkrete Iris Kadel aus Karlsruhe (vertritt die wunderbar spöttische Frauengang „Henry VIII's Wives“).
Die mit großen Namen besetzte FIAC/Lafayette-Jury (Christine Macel, Hans-Ulrich Obrist, Marc-Olivier Wahler) vergibt für die besten Projekte reichlich Fördermittel. Der „Prix Lafayette“ kürt zudem, „als Frankreichs Turner-Prize“, Bestkunst mit Ankauf und üppig ausgestatteter Einzelausstellung in einer noch ungenannten Pariser Institution.
Doch nur wieder Heimspiele? „,Antidote‘ ist Familie und Sammlung, die FIAC ist das Engagement des Unternehmens“, erklärt Houzé, „der Preis ehrt internationale Künstler, nicht nur französische.“ In Zukunft wolle er „Brücken ins Ausland bauen“ – vielleicht sogar mit einem Export von „Antidote“ und mehr Kooperationen mit internationalen Sammlern.
Wichtigste Messe Frankreichs
Die „Foire
internationale d'art contemporain“, kurz FIAC, ist die wichtigste
französische Kunstmesse. Sie findet seit 1974 in Paris statt und geht
heute, Sonntag, zu Ende. Mit „Reed Exhibition“ hat sie denselben
Organisator wie die „Viennafair“. Unter den 210 Teilnehmern stellen
auch die österreichischen Galerien Ropac, Krinzinger, Insam und
Schwarzwälder aus.