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14.10.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung
Kritik Ausstellung: Malaise in der Sackgasse
VON ALMUTH SPIEGLER
Die Wiener Kunsthalle sucht das Prekäre in der Skulptur - und verliert dabei stilsicher den Halt.

Neugieriger Nasenbär von rechts, schlaffes Glied von links, Kotzbrocken von der einen Seite, rosa Kaugummi von der anderen - und zu allem anderen Übel balanciert das unförmige bunte Trumm noch auf zu grazilen Tentakeln. Franz West ist mittlerweile Meister des mehrdeutigen Papiermaschees, "Malaise" nannte der österreichische Super-Künstler seinen Beitrag zur aktuellen Ausstellung in der Wiener Kunsthalle - und trifft es ziemlich auf den Punkt. Ein generelles Gefühl des Unbehagens schleicht durch die von allen Einbauten befreite Halle 1.

Unter dem Motto "Skulptur. Prekärer Realismus zwischen Melancholie und Komik" arrangierte die Kuratorin Sabine Folie Werke von 27 Künstler(gruppen) zu einem lockeren Skulpturen-Irrgarten. Nicht etwa mit schnöden Trennwänden, sondern mit einem diffizilen zweidimensionalen Pseudo-Leitsystem, das am dunkelgrauen Boden hellgraue Wege markiert, vortäuscht und in Sackgassen führt.

So tastet man sich vorbei unter einer bedrohlich von der Decke hängenden Enten-Haut aus Kunststoff, stößt gleich auf Erwin Wurms "One-Minute-Sculptures", auf das schon gefährlich oft ausgestellte Foto des Mädchens mit den Pilzen in der Nase, passiert Sarah Lucas' "Unbekannten Soldaten", ein Paar Militärstiefel aus Beton kombiniert mit einer Neonröhre als Art Astralkörper. Es folgen ein illusionistischer Vorhang aus Gips, Martin Kippenbergers geknickte Laterne, eine schillernde Glitzer-Installation von Isa Genzken, aus der Wand ragt ein Engelsflügel - und irgendwo zwischen all diesen originellen Kreationen ging der Faden verloren. Etwas viel sollte hier auch zusammengebracht werden - das Traurige und das Komische, die perfekte Täuschung wie Thomas Demands papierener Blätterwald und das Unfertige, Skizzenhafte wie Rebecca Warrens barocke Figuren aus ungebranntem Ton.

Eine gewöhnungsbedürftig subjektive Auswahl scheint hier getroffen worden zu sein, deren Systematik schwer nachvollziehbar ist. Die Fantasie soll angekurbelt werden, heißt es - nur sollte das eigentlich jede gute Kunst tun. Das Prekäre, das auf der Kippe stehende, Unsichere, Irritierende sollte herausgeschält werden aus der zeitgenössischen Skulptur. Alles Attribute aber, die sich heute in fast jede Kunst hineininterpretieren lassen, allerdings nicht immer zwingend im Vordergrund stehen. Wie angegossen passen zwar die Fotos von instabilen Küchen-Anordnungen von Fischli/Weiss in das Konzept, genauso wie Thomas Schüttes zerfließende Klassische Moderne - aber wie "prekär" sind Peter Senoners Fantasy-Zwillinge aus Holz und Edelstahl? So hat sich die Ausstellung perfekt selbst erfüllt, eine "self fulfilling prophecy" sozusagen - sie bleibt äußerst vage.

Wehmütig denkt man dabei an die Skulptur-Ausstellungen, die in Wien zur Zeit laufen, wie nebenan im Museum moderner Kunst - und laufen werden, wie in der Sammlung Essl nächstes Jahr. Gerade jetzt, wo sich Skulptur und Objekt wieder immer stärker ins allgemeine Bewusstsein drängen, aufschließen zur Malerei, wäre ein gemeinsamer Kraftakt mehrerer Institutionen zu einer umfassenden Überblicks-Schau über die zeitgenössische Skulptur so zwingend nötig wie überregional bedeutend.

Bis 20. Februar, täglich außer Mittwoch 10-19 Uhr, Donnerstag 10-22 Uhr.

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