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derStandard.at | Kultur | Gedankenjahr | Plakative Erregung 
01. Jänner 2006
20:04 MEZ
Frische Pressestimmen: Freud hätte boshaft gelacht
"taz": "Nackte Haut erregt immer noch - zumindest in Österreich" - "Süddeutsche": "Kunstsinn war bei Schüssel immer schon Programm"

Berlin/Wien - Mit der Affäre um angeblich pornografische Plakate von europäischen Künstlern in Österreich setzen sich internationale Tageszeitungen auch in ihren Samstagsausgaben auseinander.

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Die bemühte Entrüstung dürfte (Bundeskanzler Wolfgang) Schüssel nur insofern stören, als die Kronen Zeitung, das einflussreichste Revolverblatt, die Proteste ins Rollen brachte. (...) Kunstsinn war bei ihm immer schon Programm. Zwar unterstellen ihm Kritiker, seine demonstrative Vorliebe für Karikaturenzeichnen, Cellospielen sowie Volksgesangsauftritte mit Gitarre und Kabinettskollegen entspringe nur seinem musterschülerhaften Drang, allen zu beweisen, dass er (fast) alles besser könne als sie. Aber auch im Gespräch bemüht der Regierungschef gerne künstlerische Metaphern, um seine Vorstellungen von europäischer Identität darzulegen.

"Der exzessive Kaffeetrinker Schüssel, der gerne unerschütterliche Gelassenheit zur Schau trägt, gilt intern als der wohl mächtigste Bundeskanzler Österreichs nach dem legendären Bruno Kreisky. So bräuchte ihn die Plakat-Affäre nicht weiter anzufechten, säße er nicht der noch immer teils klerikal gepolten christsozialen Volkspartei vor. Seine Machtfülle im eigenen Hause sichert ihm auch fast absolute Richtlinienkompetenz darüber, wie Österreich die Präsidentschaft in der Europäischen Union gestalten wird."

"tageszeitung" (Berlin):"Plakativer Euro-Schlüppi"

"Nackte Haut in der Kunst kann immer noch Skandale provozieren - zumindest in Österreich. (...) Die auf beweglichen Plakatwänden, sogenannten Rolling Boards, montierten Arbeiten wurden nach nur zwei Tagen aus dem Verkehr gezogen. Die Künstler beugten sich dem politischen Druck des Kanzleramts, das die Aktion zwar initiiert und gesponsert hat, wegen des öffentlichen Aufschreis aber kalte Füße bekam. (...) Einen 'Porno-Skandal' ortete als Erstes das Massenblatt Kronen Zeitung. Die FPÖ stimmte in die Entrüstung ein und forderte den Rücktritt des verantwortlichen Intendanten. Und auch die SPÖ, früher ein Anwalt der Freiheit der Kunst, gab sich empört. Schließlich herrscht Vorwahlkampf."

"La Sicilia" (Palermo):

"Die erregten Gemüter wegen der Plakate in Wien hätten Sigmund Freud wohl zu einem boshaften Lachen verleitet. (...) Für Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gefährden die Plakate die perfekte Medieninszenierung zu Beginn der zweiten österreichischen EU-Präsidentschaft, zehn Jahren ach dem EU-Beitritt und zeitgleich mit den Mega-Festivitäten zum 250. Geburtstag von Mozart und dem 150. Geburtstag des Vaters der Psychoanalyse Freud. (...) Die Sex-Darstellungen sind wohl auch wenig geeignet, um die von den europäischen Partnern im Jahr 2000 nach dem Eintritt der Freiheitlichen Partei in die Regierung verhängten Sanktionen endlich vergessen zu machen." (APA)


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