Carsten Höller, einst aus den einengenden Strukturen der Naturwissenschaft ausgebrochen, um nun an die (Raum-)Grenzen der Museen und Ausstellungshäuser zu gehen, hat im Parterre ein herrlich altmodisches Karussell mit zuckerlfarbenen Gondeln aufgestellt. Zur waschechten Rummelplatz-Kopie trägt der Vernissagen-Trubel das Übrige bei: Glänzende Kinderaugen werden wieder entdeckt, um den leuchtenden Eindringling zu bestaunen. Und hier wie dort wird abgewogen, ob das Fahrgeschäft denn zu benützen sei.
Freilich nicht, weil hier jemandem übel werden könnte, vielmehr weil es den Leuten zu langsam geht. Knapp eine Viertelstunde dauert so eine besinnliche Runde in dem stummen Gefährt, eine Zeitschleife, eine Entschleunigung, ja eine Entzeitlichung. Vom luftigen Sitz aus kann den Sprüchen "Die sitzen da schon ewig!" ein müdes Lächeln geschenkt werden. Schwindlig werden kann einem nur, weil das Herausnehmen aus dem eingeübten Tempo das Drumherum so unendlich viel schneller erscheinen lässt. Eine süße Wohligkeit, in der man sich mitten hinein in ein unendliches Himmelblau träumt und fragt, ob denn dann, ganz ohne Fahrtwind und Fliehkräfte, noch etwas über die vergehende Zeit verraten würde. Die Erfahrung? Und wenn die trügt?
Symbol eigener Erkenntnis
Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Dinge beschäftigen den 1961 in Belgien geborenen Künstler, der seine Ausstellung Carrousel unter das Motto "Alles dreht sich", hinter dem auch ein Fragezeichen stehen könnte, gestellt hat. Denn in seinen Experimentierfeldern, die den Betrachter zur Interaktion einladen, geht es um persönliche Erfahrungen contra strenge Wissenschaftlichkeit. Regelrechte Teststrecken für urbanes Zukunftsdesign waren seine riesigen Rutschen, die 2006 in der Turbinenhalle der Tate Modern ihre Transportqualitäten jenseits von Notausstieg und Kinderspielgerät bewiesen.
Eine experimentelle Baustelle ist das eher kontemplative Karussell allerdings nicht. Gemeinsam ist ihnen das Interesse sowohl am inneren als auch am äußeren Spektakel: dem Erleben und dem Beobachten. Nachvollziehen lässt sich das in Bregenz vor dem stärksten Symbol eigener Erkenntnis, dem Spiegel.
Höller hat eine Hälfte des diagonal geteilten Raums mit Spiegeln verkleidet. Nicht nur sich selbst, sondern auch andere kann man hier gleich zwei oder sogar dreimal im Spiegel entdecken und – wir erinnern uns an Dan Grahams Pavillons – beobachten. Eine eher laue Arbeit, auch angesichts der in den Ecken doppelt spiegelverkehrten – hoppla, alles dreht sich! –, also "wahren" Erscheinung. Befragen wir also Höller zum "Wahrheitsgehalt" der Selbstspiegelung: Es gibt hier mehrere Bilder von einem selbst. Muss man sich für eines entscheiden?
Entscheidet man sich hingegen für eine weitere Drehung in Höllers Gehirnkarussell, das Höller als "Selbstporträt für jede und jeden" beschreibt, badet man auch kurz vor den 15.000 von Lehrlingshänden montierten LEDs, die kreisum schnell und gleißend hell blinken und – sollte man nicht schon vorher ohnmächtig geworden sein, irgendwann ganz ohne den Einwurf von Pillen – halluzinatorische Bilder und Farben hervorrufen sollen. Legale Drogen gehörten auch 1996 im Kunstverein Hamburg ebenso wie Flugsimulatoren und Sonnenbäder in intensivstem Licht zu Höllers Konzept von "Glück", erinnert man sich. Und langsam meint man, statt Mitspieler längst zum Spielzeug in Höllers (Spiel-)Hölle geworden zu sein.
Auch eine Flucht in sein "Drehendes Hotelzimmer" ist zu diesem Erkenntnisstand zwecklos. Dieses entpuppt sich als schwarzer Seiden-Albtraum für eine Laborratte vor den Überwachungskameras des Museums und rückt den Gedanken von einer Ausstellung als (Er-)Lebensraum in weite Ferne. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 15.04.2008)