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Tillman Kaiser: Der Hang zur Melancholie

05.12.2009 | 18:54 | von Almuth Spiegler (Die Presse)

Es ist die zurzeit erfolgreichste Galerieausstellung junger Kunst Wiens: Der Maler Tillman Kaiser über Nostalgie und das Sehen mit den Ohren.

Als trete man wie Alice im Wunderland hinter den Spiegel – und mitten in eine Familienaufstellung. An der Rückwand der Galerie Layr Wuestenhagen hat Tillman Kaiser eine wundersame Tapete angebracht: Eine riesige Frau scheint mit dem Kopf fast an die Decke zu stoßen, der Knabe im anderen Eck wirkt winzig. Tritt man zwischen den beiden hindurch ins schmale Zimmer dahinter, steht man vor derselben Tapete, nur spiegelverkehrt, und die Perspektiven sind verändert – die Frau ist geschrumpft, der Knabe wirkt mächtig.

Tillman Kaiser mag derlei narrative, literarisch unterfütterte Anhaltspunkte, mit ihnen ködert er den Betrachter, macht ihn neugierig auf seine erst einmal recht formal wirkende Kunst. Es sind Collagen aus Malerei, Siebdruck und gefundenen Materialien wie Fotos eines Schimmelpilzes oder einer alten Skulptur. „Meine Arbeit ist frei assoziiert und lustbetont, ist ein bisschen wie Spielen. Soll offen sein, Folie für andere Assoziationen“, meint Kaiser. Stilistisch hat sich der 1971 geborene Grazer, der bei Hundertwasser und Schmalix in Wien studierte, aber sehr wohl Selbstbeschränkungen auferlegt, eine typische Sprache gefunden: spitze, geometrische Formen und wenige, gedämpfte Farben wie Rot, Schwarz, Weiß. „Das stimuliert die Fantasie – sonst könnte man ja alles malen, da wird man ja wahnsinnig.“

Weniger mit dem Unterbewussten verquickt als seine Malerei entstehen Kaisers Objekte, er plant sie aus seinen Bildern heraus: Glänzend lackiert, aus Pappe, sehen sie aus wie dadaistische Träume eines Science-Fiction-Regisseurs. Ein zackiger Sockel, darauf hölzerne Legeeier unter einem Glassturz. Oder ein sternförmiger Paravent, in den Phiolen eingelassen wurden, darin geheimnisvolle Flüssigkeiten, Drogen, die Kaiser im Nachlass eines Arztes gefunden hat. „Vielleicht arbeiten die Leute, die Raumschiffe entwerfen, ja mit ähnlichen psychologischen ,Tricks‘ wie ich“, meint Kaiser. „Ich möchte auch die Leute ins Staunen versetzen, beeindrucken. Dafür muss ich mich aber erst selber überlisten und beeindrucken.“

Es wundert nicht, dass Kaiser dabei fasziniert ist von „Dingen mit Aura“. Der Sternenparavent etwa ginge ohne Weiteres als interstellares Kultobjekt durch. Ihn hat gerade das Belvedere erworben. Und auch die meisten anderen Arbeiten sind bereits verkauft (zwischen 1800 und 150.00 Euro).


Als Saatchikaufte. Kaiser ist sicher der Star der (immer jungen) Galerie Layr Wuestenhagen. Nach vier Jahren, in denen er Ausstellungen in London, San Francisco und Los Angeles machte, ist diese Ausstellung jetzt seine erste große Solopräsentation in Wien. Und ein großer Erfolg. Kein Wunder, wenn inzwischen Sammler wie Charles Saatchi oder die New Yorker Schorr-Sammlung Kaiser entdeckt haben. „Die Leute sehen eben auch mit den Ohren“, meint Kaiser zu diesem Nachfolgeeffekt schmunzelnd. 2008 bei der Basler Nachwuchsmesse „Liste“ hatten Layr Wuestenhagen Kaisers Einzelpräsentation in drei Stunden ausverkauft, „wir wurden fast niedergerannt“, ist Thomas Wuestenhagen heute noch stolz.

Im Frühjahr hatte Kaiser sein London-Solodebüt in der schicken Wilkinson Galerie im Londoner East End, für die er 500 Quadratmeter Ausstellungsfläche bewältigen musste. Ein Jahr hat er daran gearbeitet, erzählt er. Allein in seinem Atelier passiert das dann, begleitet nur von Jazzmusik.

Begonnen hat er mit dem Malen, als er 16 war, als eine Art Selbsttherapie. Mit der Zeit interessierte er sich in seinen Bildern aber immer mehr für moderne Architektur – „das hat sich dann verselbstständigt und ist immer abstrakter geworden“. Diese Anklänge an die Moderne, aber auch an Surrealismus, Dadaismus sind Kaiser bewusst. Ein gewisser Retro-Charme ist seinem Werk jedenfalls nicht abzusprechen: „Gut, ich gebe es zu, meine Sachen sind ein wenig nostalgisch. Ich habe eben einen Hang zur Melancholie.“


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