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Utopia-Projekt IV, Symposium: Verschwiegene Geschichten

19.05.2008 | 18:20 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Die Essl-Schau „overlapping voices“ zeigt auch weniger bekannte Seiten des Israel-Palästina-Konflikts – etwa Shula Keshets Misrachi-Feminismus.

Aschkenasen, Sepharden, Misrachi – selbst Karlheinz Essl, nach einer Begegnung mit Itzhak Rabin 1993 aus vollem Herzen am Nahen Osten interessierter Kunstsammler, musste sich am Sonntag bei seinem eigenen Symposium im Rahmen der Ausstellung „overlapping voices. israelische und palästinensische Künstler“ zur Klärung der Begriffe Rat suchend zum palästinensischen Historiker Adel Manna umwenden. In vier Stunden und drei Podiumsdiskussionen ging es eindeutig in Richtung Eingeweide einer Gesellschaft, deren unlösbar scheinender Konflikt im Westen zwar jeder zu kennen glaubt – dessen Vielschichtigkeit aber selten versucht wird zu vermitteln.

Die prekäre Lage der Beduinen im Negev etwa, für deren Gleichberechtigung der israelische Künstler Tal Adler eintritt. Oder die der Misrachi-Frauen, aus arabischen und muslimischen Ländern stammende Jüdinnen, für deren Rechte sich die israelisch-iranische Künstlerin Shula Keshet einsetzt. Beide Beispiele gehören zu insgesamt vier „Utopia-Projekten“, die Künstler mit oder als NGOs entwickelt haben und in der Essl-Ausstellung präsentieren. „Die Presse“ stellte bisher drei davon vor, Keshets 1999 mitbegründete feministische Organisation „Achoti“, „Schwester“, schließt die Serie ab, ihr war im Symposium auch eine eigene Gesprächsrunde gewidmet.

Denn der Misrachi-Feminismus unterscheidet sich wesentlich von dem der aschkenasischen (west- und ostjüdischen) Frauen. Es gehe nicht um Gleichberechtigung in Spitzenpositionen in der Wirtschaft, so Keshet, sondern ums Überleben. In einer Bienenwaben-Installation, die mit Büchern und Katalogen ergänzt gleichzeitig als Archiv funktioniert, präsentiert Keshet in der Essl-Ausstellung Kunsthandwerk der Frauen, Olivenöl, Honig, Lesezeichen etc. Der Erlös geht direkt an die Produzentinnen. Neben dieser praktischen Unterstützung bringen die „Achoti“-Aktivistinnen aber auch Gruppen unterschiedlicher Herkunft zusammen, helfen so beim Abbau von Vorurteilen, etwa „dass alle Misrachi-Frauen Araber hassen“, so Keshet. „Das stimmt einfach nicht.“

Komplexe Identitäten eben. Dieser Eindruck der Undurchdringlichkeit sei allerdings gefährlich, betonte der palästinensische Historiker Manna, der sich mit dem linken israelischen Filmemacher Nissim Mossek den pointiertesten Schlagabtausch des Symposiums lieferte: „Jeder, der will, kann die Geschichte verstehen.“ Seit 1951 lebt er als einer von 1,2 Millionen Palästinensern mit israelischem Pass in Israel und kämpft für Gleichberechtigung in der „Ethnokratie“ des Judenstaates, so Manna, in der Nationalität und Staatsbürgerschaft nicht dasselbe seien.


Tabu: Hamas-Kritik

Wie Mossek plädierte Manna – auch wenn sein Ideal ein einziger Staat wäre – für die „pragmatische Lösung“ des Konflikts, zwei Staaten. Wobei eine Zukunft, so der israelkritische Filmemacher, der sich in Wien in der für ihn ungewohnten aber historisch zwingenden Situation fand, pro-Israel argumentieren zu müssen, nur möglich sei, wenn „die Geschichte vergessen werde“. Ein Vorschlag, den Manna von einem Vertreter des „Volks der Erinnerung“ als opportunistisch ablehnte.

Was Manna wie Mossek jedenfalls verband, war ihre Ablehnung der Gewalt – auf beiden Seiten. Wobei Kritik an der Hamas oder am arabischen Antisemitismus in der Ausstellung selbst Tabu zu sein scheint – sie wird in keinem der Werke auch nur gestreift. Einer der unausgesprochenen Kompromisse, ohne die dieses als historisch zu bezeichnende gemeinsame Projekt jüdischer, muslimischer, christlicher und andersgläubiger Teilnehmer aus Israel, Palästina und Österreich aber wohl nie zustande gekommen wäre.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2008)


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