Kunsthalle Krems: Fotoarbeiten von Helmut Newton
Mit gestählter Weiblichkeit
Von Claudia Aigner
Die Wanduhr zeigt eine Minute vor 11, es wäre also schön
langsam Zeit, das Mittagessen zu kochen (für den Hausherrn zum Beispiel,
der in dieser Küche in L.A. Helmut Newton heißt). Die Hausfrau allerdings,
in paradiesischer Nacktheit wie vor dem Sündenfall, also wie vor dem
Feigenblatt, ist kochunwillig. Und wirft sich vor dem Herd in die große
Migränepose, obwohl sie doch mit der geballten Kraft ihres Silikons jedes
Schnitzel ganz leicht bewusstlos schlagen, sprich: mürbe klopfen könnte.
Bis es pfannenfertig ist. Der Helmut Newton (bis 5. Jänner gibt es in
der Kunsthalle Krems eine umfangreiche Werkschau des berüchtigten
Fotografen) ist also im Grunde genommen eh ein Feminist. Einer Frau, die
sich einer Kochgelegenheit nähert, nicht reflexartig eine Schürze
umzubinden, erfüllt ja schließlich das Mindestmaß an frauenfreundlichem
Taktgefühl. (Auch wenn jetzt bei Alice Schwarzer der kalte
Emanzipationsschweiß ausbrechen dürfte.) Wie auch immer: Newtons Damen
gehören nur vermeintlich zum "domestizierten Geschlecht". Sie sind stark,
aktiv, energisch, gern aggressiv, martialisch erotisch und unbarmherzig
attraktiv, nämlich kompromisslos schön. Und sind offensichtlich die
"Sexualbevollmächtigten" auf dem nicht ganz realitätsnahen Planeten
Newton. Als Laie kann man hier auch nie ganz sicher sein, ob man einen
Akt oder vielleicht doch ein Modefoto vor sich hat. Das Nackerpatzl, das
sich so entschlossen unhausfraulich, kurz: wie ein Playmate zu den
Waschmaschinen in Newtons Keller hinzugesellt, könnte damit genauso gut
zum Ausdruck bringen wollen: "Ich wasche gerade mein sündhaft teures
Kostüm von Yves St. Laurent in der Waschmaschine, weil ich selbstbewusst
genug bin, um die Pflegehinweise auf dem Etikett zu ignorieren."
Legendär ist Newtons geradezu strengwissenschaftliche Demonstration
des binären Systems "bekleidet - nackt" in der französischen "Vogue" im
Jahre 1981. Da marschieren zuerst vier augenscheinliche Karrierefrauen im
Business-Look auf und halten dann für ein zweites Foto ziemlich exakt die
Stellung, wo aber nur noch ihre Fußsohlen bekleidet, also gesellschafts-
und bürofähig sind. Die Models führen da sozusagen die neueste Bademode
für den FKK-Strand vor bzw. die Garten-Eden-Kollektion. Es stimmt, Helmut
Newton wurde 1920 in Berlin als Sohn eines wohlhabenden Knopffabrikanten
geboren. Davon nun aber gleich eine frühkindliche Prägung aufs
Knöpfeaufmachen und Frauenausziehen abzuleiten, so tief in den Freud
hineinzuschauen, das trau nicht einmal ich mich. Newtons Modeaufnahmen
(für die "Vogue", "Jardin des Modes", "Marie Claire" oder "Elle") sind
hochgradig originell, vorzugsweise provokant-libidinös, mitunter recht
surreal, mit humorvollen oder skurrilen Details und fast immer sehr
erzählerisch, beinah filmisch inszeniert. 1967 verwechselte etwa ein
Doppeldeckerflugzeug ein argloses Model mit Cary Grant und jagte die Maid,
die im Vollbesitz des Kleidergeschmacks der Firma Mansfield war,
hitchcockmäßig durch die Gegend. Und dabei war sie nicht einmal Mrs.
Kaplan. Und in seinen prallfarbigen "Kodak Machine Prints",
Originalabzügen aus den 60er und frühen 70er Jahren, hergestellt von Kodak
für 15 Franc das Stück, sieht eine Vertreterin des östrogenreichen Teils
der Menschheit seelenruhig fern, während ein seriös gekleideter Vertreter
des Testosterons sehr abgelebt am Boden liegt. Mühsam ernährt sich das
frauenrechtlerische Eichhörnchen und beseitigt das Patriarchat Mann für
Mann? Die Mannsbildmeuchlerinnen kommen bei Helmut Newton jedenfalls
häufiger vor. Dürfte der eigenwillige Humor eines an der Frauenfrage
Anteil nehmenden Mannes sein. Oder eine Form von Selbstironie (der Mann -
eine gefährdete Art). Ein internistisches Interesse an seinen Models
hat Newton auch dann und wann. Dann geht er mit ihnen zum Röntgen und
schaut sich beispielweise wie ein voyeuristischer "Gott mit der
Bleischürze" die innere Schönheit eines stöckelbeschuhten Fußes an. Seine
Vorliebe fürs Hochhackige kann er nicht verleugnen, der Mann, der wohl
noch feuchtere, sprich fußschweißigere Träume als Aschenputtels Prinz hat.
Ein einfühlsamer Porträtist ist er auch. Leni Riefenstahl pudert ihr
eindrucksvoll erodiertes, vergangenheitsträchtiges Gesicht und Marlene
Dietrich ist gekonnt unnahbar, eingehüllt in Zigarettenrauch und Aura.
Apropos gestern: 1938 emigrierte Newton vor den Nazis zuerst nach
Singapur, dann nach Australien, um 1956 nach London und dann nach Paris
weiterzuziehen und heute zwischen Monte Carlo und Los Angeles zu pendeln
(und Ausstellungen gegebenenfalls zu verschieben, wenn die Außentemperatur
nicht wenigstens 15 Grad Celsius beträgt). Seine Parodie auf das
"Traumpaar" von Hitler-Deutschland, Adolf und Eva, dürfte seine ganz
persönliche Abrechnung mit der 1.000-jährigen Blondheit und Blauäugigkeit
sein. Seine Frau June mimt den Adolf, die leicht geschürzte Jerry Hall
gewissermaßen die "First Lady in der Wolfsschanze". Einfach köstlich!
Erschienen am: 12.11.2002 |
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