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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Bildende Kunst 
26. Oktober 2009
17:21 MEZ

Bis 17. Jänner 2010

 

Das erste Stockwerk in Tony Ourslers System "Lock 2,4,6" steht im Zeichen zwanghafter, risikobereiter und zufälliger Kontrolle - ist also außer Kontrolle.


Synapsenrallye ins Rechenzentrum Mensch
Der US-amerikanische Videokünstler Tony Oursler hat das Kunsthaus Bregenz in eine komplexe multimediale Installation getaucht

Ein Kosmos kausal verknüpfter Bilder, die es seit Samstag zu entschlüsseln gilt.

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Bregenz - "Ich wollte kein Spektakel erzeugen, aber ein Gefühl dafür, dass ein Ding zum nächsten führt." In der Tat reißt Tony Oursler den Betrachter nicht in einen gefangennehmenden Strudel animierter Bilder, sondern führt in ein komplexes System kausal verketteter Videobilder, die er in den drei Geschoßen des Kunsthauses Bregenz übereinandergeschichtet hat. "Ein Bild führt zum nächsten und zum nächsten und wieder zum nächsten."

Offensichtlich sind diese Verzahnungen jedoch nicht. Die Begehung dieser riesigen multimedialen Installation aus Videos, Texten, Sounds und Fotos, die eigens für die Architektur von Zumthor konzipiert und von dieser beeinflusst sein soll, gleicht daher einer analytischen Reise ins Gehirn - in bewusste und unbewusste Regionen des Rechenzentrums Mensch. Oder vielmehr einer Reise in Ourslers Gehirn?

International bekannt wurde Tony Oursler, der zu den wichtigsten amerikanischen Vertretern der Videokunst gehört und deren Pionier Nam June Paik zu seinen Freunden zählte, für weitaus intimere Installationen. Baute Paik seine Videoskulpturen noch aus den Monitoren selbst, so beschritt Oursler diesen Weg zur Skulptur auf eine wesentlich körperlichere Art und Weise: Oursler befreite das bewegte Bild aus dem Kasten und machte es - arrangiert im Raum - als Installation für den Betrachter physisch erfahrbar. Oursler projizierte seine Aufnahmen von Gesichtern auf Puppen, seine sogenannten "Dummies", die mehr Vogelscheuchen als menschliche Attrappen waren.

Das Raunzen der Dummies

Nach dem Durchbruch des Genres Videoinstallation - die Documenta 9 (1992) gilt als Wegmarke - raunzten, brüllten und stöhnten Ourslers "Dummies" fortan in Ecken von Ausstellungsräumen. Die bewegten Gesichtsbilder, oftmals surreal verzerrt und dem Projektionskörper angepasst, zwangen Vorbeigehende ihre assoziativen Selbstgespräche auf: erzählten flüsternd Geschichten von Ängsten, Wünschen, Hoffnungen, Sehnsüchten.

Oursler träumte von einer Kunst mit bewegten Bildern, die es mit dem Medium Fernsehen aufnehmen kann. Denn Oursler, geboren 1957 in New York, zählt zur ersten Generation in den USA, die mit dem Fernsehen aufwuchs, die in diese magische Fantasiewelt hineingesogen wurde. "Der Inhalt des Fernsehens ist wirklich giftig" , sagt Oursler. "Ich schaue überhaupt kein Fernsehen." Seine heutigen Arbeiten erweisen dem Fernsehen nur noch als Urmedium des bewegten Bildes, als flüssiges Medium Reverenz, das sich in den Computer ergossen hat. Streng genommen ist auch das Video nicht mehr Teil seiner Installationen:

"Es ist alles Computer. Ich hatte das Glück, in einem Zeitalter geboren zu sein, in dem sich diese Technologie durchgesetzt hat und ich sie nun nutzen kann." Er versuche mit seiner Arbeit, "in neue Bereiche zur Kombination von statischen sowie bewegten Bildern und Sound einzudringen." Insbesondere die HD-Technologie und die Möglichkeiten, mit mehreren Bildern gleichzeitig zu operieren, interessieren Oursler inzwischen.

Abzulesen ist dieses Interesse des dreifachen Documenta-Teilnehmers nun in der multimedialen Installation Lock 2,4,6 im Kunsthaus Bregenz, deren Titel sich auf ein kognitives Experiment bezieht: Probanden sollten die Zahlenfolge "2,4,6" interpretieren. "Diese Arbeit, fast eine Collage aus bewegten und fotografischen Bildern, das Arbeiten mit flachen Bildflächen, aber auch ihr In-Bezug-Setzen zum Raum ist neu für mich."

Im Vergleich zu früheren Arbeiten ist die Installation für Bregenz choreografischer, ihre Loops sind zeitlich genau abgestimmt. Früher habe ihn eine ungesteuerte, zufällige Lebendigkeit interessiert: "Ich ließ Stunden des Videomaterials gemeinsam verschmelzen." Die jetzige Inszenierung vergleichen manche Beobachter mit einer Oper. Oursler widerspricht. Mehr als um das Theatralische gehe es ihm um die Kausalität.

Innere Stimmen und Sex

Zurückgekehrt zum Bild des Gehirns, wo alle Gedanken verkettet sind und über die Synapsen hüpfen wie im Kunsthaus Bregenz durch dicke Betondecken hinweg: Welchen Zuständen des Bewusstseins begegnen wir dort? "Oben beginnend würde ich sagen: der ,inneren Stimme‘, in der nächste Etage der Sexualität und danach der Zufälligkeit. Oder eine andere Erklärung in drei Worten: ,Fernsteuerung‘, ,körperliche Kontrolle‘ und ,Unkontrolliertheit‘."

Etage für Etage hängt Oursler an diese Begriffe aber noch Bildwelten, deren Symbolwerte, deren murmelnde Sprachfetzen zu dechiffrieren sind: eine komplexe Angelegenheit, der nicht unbedingt Erfolg beschieden ist. Eine gut gemeinte Einladung in eine von Alltäglichkeiten unterbrochene Philosophiestunde mitten in Ourslers Kopf. Aber wer findet sich schon in fremden Köpfen zurecht? (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 27.10.2009)

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