Salzburger Nachrichten am 20. September 2006 - Bereich: Kultur
Der Kindeswegleger

HERBERT GIESE

W as soll man davon halten? Da bemüht sich einer - grundsätzlich verdienstvoll - den Hohen Herren klar zu machen, dass es ohne die Kunst nicht geht, und dann stellt sich heraus, dass er - intellektuell, fachlich und agitatorisch - völlig überfordert ist damit. Ja, es geht um die eigenartige Aktion des Herren Noever (Direktor des MAK), der unter dem Titel "Gegenwartskunst in die Regierung" den etablierten Kunstverwaltern die Leviten lesen wollte.

Abgesehen davon, dass man einmal darüber nachdenken sollte, wie es möglich ist, dass ein Museumsdirektor ungeniert "Ausstellungshallen-Leiter" spielen darf (und das seit Jahrzehnten und ohne jeglichen Bezug zur Sammlung des eigenen Hauses), sollte man sich die Frage stellen, ob der zeitgenössischen Kunst wirklich gedient ist mit solch undurchdachten, aus der Eitelkeit geborenen Windblasen.

E s ist absolut unbestritten, dass mehr getan werden muss für die junge Kunst, so wie es unbestritten ist, dass die Agenden der Kunst in unserer Regierung besonders schlecht aufgehoben sind. Ein eigenes Ministerium ist da nicht die schlechteste Idee. Nur - so kurzsichtig, partikular und unüberlegt wie Herr Noever darf man sich da nicht wichtig machen. Was er betreibt ist schriller Aktionismus ohne gedanklichen Unterbau. Außerdem: Verrat an der Kunst und eine Art Kindesweglegung.

Die Forderung eines eigenen Ministeriums nur für die Gegenwartskunst lässt die Vermutung aufkommen, dass der Forderer von der Kunst nichts versteht, dass es ihm nur um das Drumherum geht.

E s ist das Dilemma der Direktion Noever, dass sie das eigene Haus nicht begriffen hat; dass sie nicht verstanden hat, dass Neugierde, das Erfahren oder Erschaffen von neuen Spiritualitäten, aber auch Wahrnehmungsveränderungen und Erkenntnissuche kein Ablaufdatum haben; dass es nichts mit Konservatismus zu tun hat, wenn man Kunst als permanenten Prozess vernetzt sieht mit dem Heute, Gestern und Vorgestern; dass es himmelschreiende Dummheit ist, Ressourcen der Vergangenheit nicht einzubeziehen in das aktuelle schöpferische Geschehen, und dass es ein Schwachsinn ist, Kunst in interessante (weil heutige) und uninteressante (weil alte) zu unterteilen.

D eshalb Herrn Noever ins Stammbuch: Ihr Haus wurde unter einem politischen Auslaufmodell gegründet, das freilich eines hatte: einen guten Wahlspruch: Viribus unitis! Was halten Sie davon?