Zeichen der Zeit | 18.08.01 | www.DiePresse.at
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"Ich aber schaue"

50 Jahre leidenschaftliches Sammeln, die längste Zeit unter Entbehrung und drückenden Schuldenlasten - und nun ein eigenes Museum, die Attraktion des neuen MuseumsQuartiers: Muß man da nicht allen Ärger vergessen? Ein Gespräch mit Rudolf Leopold.

Wien-Grinzing, ein Sommertag, sechs Wochen, ehe sich am 22. September die Tore des neugebauten Leopold-Museums öffnen. Die letzten sechs Wochen vor dem Ziel der vor 50 Jahren, in der elendsten Nachkriegszeit, von einem Medizinstudenten begonnenen Reise mit, für, in der Kunst. Gegessen wird zu Mittag rasch im verwilderten Garten hinter dem unscheinbaren Winzerhaus.
Ein Blick in ein Fenster auf die eine Zimmerwand füllenden "Generationen" von Albin Egger-Lienz. In der Küche: Papier, Papier, Papier! Kataloge, Künstlermonographien einen Meter hoch am Boden aufgetürmt! "Ich hatte bis heute im Museum keinen Schreibtisch, kein Telephon, nur einen Computer auf einer Kiste."
In seiner Weinhauerhausküche feilt Rudolf Leopold an den letzten Feinheiten des Eröffnungskatalogs. Von den etwa 1500 zur Eröffnung ausgestellten Objekten finden nur 290 im Katalog Platz. "Ich hoffe, der Katalog wird trotzdem ein Bild der Sammlung Leopold geben, die ja von Künstlern als Kunstwerk bezeichnet wird."
Nicht nur der Verlag, DuMont, drängt. Im Museum läuft vieles noch nicht richtig. Die Arbeiten auf Papier, rund 2500 besitzt die Leopold-Stiftung, können noch nicht im Neubau gelagert werden, weil die von allen Restauratoren verlangten 45 Prozent Luftfeuchtigkeit bisher wesentlich über- schritten wurden - es wird jetzt ein neues Kühlaggregat getestet, das kostet Zeit. Weiters gibt es Probleme mit den Aufzügen: Da die Treppenstufen mit 17 Zentimeter Höhe zu hoch gemacht wurden und da leider nur zwei nicht allzu große Lifte vorhanden sind, muß jetzt gar der Lastenaufzug für Personen aktiviert werden. Die Rahmungsarbeiten sind im Verzug, weil das MuseumsQuartier im Juli nicht den nötigen Platz für die Arbeiter zur Verfügung stellte. Wegen Lieferschwierigkeiten im Urlaub verzögerten sich die Malerarbeiten.
Auch leichter korrigierbare Fehler bringen den durch Widerspruch kaum irritierbaren Workaholic in Rage: "Einerseits nimmt der Leiter des MuseumsQuartiers die ,weltgrößte Schiele-Sammlung' als Propaganda für das Areal immer wieder in den Mund, und andererseits läßt er das Leopold-Museum auf der großen Ankündigungstafel nur an neunter Stelle und in kleiner Schrift aufscheinen."
Ein "Augenmensch" und "Perfektionist" wie er läßt sich die Gestaltung des Werbe-Flyers nicht von einer Marketingfirma aus der Hand nehmen. "Die wollten Photos aus dem Leben kombinieren mit Ausschnitten von Gemälden. So haben sie zum Beispiel die idiotische Idee gehabt, neben den Halbakt von Richard Gerstl, dieses martyrologische Selbstbildnis, einen Sportler in einer Badehose zu stellen. Neben ein absichtlich kaltes, wunderbares frühes Werk von Dobrowsky - ein klassizistisches Bildnis, könnte man sagen - haben sie eine Hure aus einem Nachtlokal gestellt! Das mußte ich natürlich alles umändern."
Der achtköpfige Vorstand der Leopold-Museum-Privatstiftung besteht zwar nur zur Hälfte aus Mitgliedern des Bundes, doch können diese durch ihr Dirimierungsrecht die von Rudolf Leopold bestellten Mitglieder, darunter seine Frau Elisabeth, überstimmen. Ganz anders der Vertrag des Museums moderner Kunst mit der Familie Ludwig. "Ich habe ausgerechnet, daß ich wertmäßig hundertmal mehr gestiftet habe als Peter Ludwig für das Museum moderner Kunst - die Familie Ludwig hat aber dort zehnmal mehr Rechte."
I m "Mumok", wie Leopolds Nachbarhaus im MuseumsQuartier sich nun nennt, "konnte überhaupt kein Beschluß ohne Ludwigs Zustimmung gefaßt werden. Auch erhielt dieses Museum seit seiner Gründung ein hohes Ankaufsbudget. Für das Leopold-Museum wurde bei seiner Gründung ebenfalls ein Ankaufsbudget - wenn auch in geringerer Höhe - in den Erläuterungen zum entsprechenden Nationalratsgesetz festgehalten. Bis jetzt, also acht Jahre lang, erhielt das Museum kein Geld für Ankäufe! Weil nämlich diese Bedingung keine klagbare Forderung darstellt, drückte sich der Staat um jene Verpflichtung."
1994 brachte Leopold seinen Kunstschatz in eine Stiftung ein, wobei der Bund zusammen mit der Nationalbank (nach Leopolds Berechnung) 28 Prozent des Sammlungswerts stiftet - und dies an Leopold in zinsenlosen Raten bis zum Jahr 2007 zahlt. Über seinen Kummer, was alles nicht seinen Ansprüchen gemäß läuft, vergißt der Herr Direktor ("Ich bin momentan maßlos überarbeitet") leicht das Erreichte, die bevorstehende Krönung seines Lebenswerks. An Eröffnungen, brummelt er, seien nur die Politiker interessiert. Die hätten ihm noch acht bis zehn Monate mehr Zeit geben sollen. Weil eben jetzt erst ausgemalt werde, verzögere sich die Rahmung bei vielen großen Formaten an Ort und Stelle. Überhaupt: Der Bau sei nicht vereinbarungsgemäß im Dezember benützbar übergeben worden, sondern erst im Juli: Bis dahin habe es keine ordentlichen Zufahrtswege gegeben.
Wird man nun ab 22. September erstmals die Sammlung in ihrer Fülle sehen? "Ja. Auch die Bilder, die nicht auf Reisen gehen durften - nicht weil sie so schlecht erhalten wären, sondern weil Schiele und Klimt, um eine matte Oberflächenwirkung zu erzielen, einen saugenden Gips-Kreide-Grund verwendet haben, der schlecht für Transport und Erhaltung ist. Diese großen, vor allem Landschaftsbilder und auch das große Schiele-Bild der ,Entschwebung' wird man zum ersten Mal sehen."
Nun ist der 75jährige mit der Dynamik eines 50jährigen in seinem Element: "In der Eingangsebene finden wir die Wiener Secession, die sogenannte ,Kunst der Jahrhundertwende' mit Klimt im Mittelpunkt: das von ihm selbst als wichtigstes figurales Werk bezeichnete Bild ,Tod und Leben', daneben - wir haben zwar nicht so viele Landschaften, aber einige der allerschönsten - ,Die große Pappel', die er das ganze Leben mit sich geschleppt hat so wie Leonardo die Mona Lisa, daher auch nie signiert hat und das wahrscheinlich das bedeutendste Landschaftsbild ist, das er jemals gemalt hat; dann eine Landschaft von einem stillen Weiher aus Oberösterreich, früher hat man gemeint, es sei hinter dem Schloß Kammer, aber man ist daraufgekommen, es ist der Egelsee; dazu eine Attersee-Stimmung, auch ein wundervolles Bild. Zum Klimt kommen der Entwurf zum großen Engelsfenster in der Kirche am Steinhof von Kolo Moser, weitere Werke von Kolo Moser, eben die Secessionisten."
Nun wäre es logisch, danach die Überwinder der Secessions-Kunst zu zeigen, allen voran Kokoschka und Schiele. Leopold: "Da ich dem von mir besonders geschätzten Egon Schiele möglichst viel Tageslicht geben will, kommen die in das oberste Geschoß. Dort sind dann Schiele, Kokoschka und andere, die keinesfalls mehr zur Secession gehören, ausgestellt. Der Hauptsaal unter dem Schiele-Saal ist Egger-Lienz gewidmet, von dem ich die wichtigste Sammlung habe. Darum herum kommen Alfons Walde, Dobrowsky, Hessing und auch lebende Künstler."
Wird man internationale sehen? "Ja, auch! Kirchner ist ganz oben, in der Nähe von Schiele, Lovis-Corinth, Rouaults ,Stehender Akt mit erhobenen Armen'." Auch ozeanische, afrikanische Sammelbjekte? "Ja. Die sind nicht so umfangreich, aber als Inspirationsquelle aller Expressionisten und auch Picassos wichtig gewesen." Und Karl Stark, Jahrgang 1921, der ihm einmal vorgeworfen hat, das Beste seines Lebenswerks eingebunkert zu haben und so die ihm gebührende Anerkennung zu bremsen? "Ich bin so objektiv und hänge auch Stark-Bilder ins Museum." Starks Qualitätsschwankungen lenken das Gespräch zu Werturteilen. "Der große Kokoschka ist ja nach 1925 auch nicht mehr als großer Künstler existent. Bei Herbert Böckl ist es ähnlich: Seine wirklich faszinierenden Ölbilder entstanden fast alle von Mitte 1919 bis 1925. Kolig ist ein anderer Fall: Er hat nach einer etwas faden Zwischenkriegszeit-Epoche ein interessantes Alterswerk geschaffen. Das Wiener Historische Museum hat die ,Atombombe', bei uns sind die ,Sonnensucher', eines der Zivilisationsbilder, die er gemalt hat. Und Faistauer hat seine beste Zeit von 1911 bis 1919, und da ist er ein wirklich großer Maler."
Im Souterrain ist viel Platz für Sonderausstellungen freigehalten. Pläne? "Ich möchte noch nichts verraten, aber dem in meinen Augen bedeutendsten deutschen Künstler der Gegenwart, der noch nie in Wien eine Ausstellung machte, war ich so sympathisch, daß er gerne bei uns ausstellen wird." Rudolf Leopold ist gerade noch zu entlocken, daß der Künstler in Südfrankreich auf einem 40-Hektar-Areal lebt.
Nur auf drei der 5266 Kunstwerke in Stiftungsbesitz werden Ansprüche auf Restitution erhoben - ein beschlagnahmt gewesenes Schiele-Bild wurde inzwischen aus New York an Leopold zurückgestellt.
Der Endlos-Prozeß um Egon Schieles "Wally" in den USA kostet viel Geld, doch die Prognosen sind gut; Schieles "Häuser am Meer" aus der Sammlung Jenny Steiner, von Leopold guten Glaubens 1953 von einem Johann Ernst erworben, dessen Vater es wahrscheinlich im Dorotheum ersteigert hat, ist nach Leopold "das einzige, wo man wirklich seit der Öffnung des Staatsarchivs vor einigen Jahren nachweisen kann, daß es bei ihr von den Nazis beschlagnahmt worden ist". Sollten sich echte Erben finden, würde Leopold freiwillig (die Leopold-Privatstiftung fällt nicht unter das Kunstrestitutionsgesetz 1998) eine Entschädigung leisten. Trotz intensiver Recherchen des Leopold-Museums, das auch schon zweimal Kontakte zur Israelitischen Kultusgemeinde aufnahm, konnten bisher keine Erben gefunden werden.
Um einen "Sensendengler" von Egger-Lienz bemühen sich Erben nach dem Fabrikanten Moric Pick. Dazu Leopold: "Es stellt sich immer mehr heraus, daß es sich um eine andere Fassung desselben Themas gehandelt hat."
Eine Wiener Zeitung behauptete, den Erben des ehemaligen Besitzers des "Klosterneuburger Rathausplatzes", einer Jugendarbeit von Schiele, zu kennen. Leopold: "Dieser hat sich aber bis heute nicht gemeldet. Auch dürfte er mit dem Erben des tatsächlichen ehemaligen Besitzers des Schiele-Bildes nicht ident sein." Die Ergebnisse der hauseigenen Provenienzforschungen wurden ins Internet gestellt.
Rudolf Leopold, der "Augenmensch", erzählt vom Reisen. Andere, bekennt er fast verschämt, können beim Zugfahren lesen, Schreibarbeiten erledigen - "Ich aber schaue unentwegt hinaus auf die Landschaft, ich muß schauen."
Er ist seiner Kennerschaft und Begierde treu geblieben. Seit 1994 wächst eine neue Sammlung Leopold. Werden auch daraus Bilder zu sehen sein? "Einige wenige, weil ich nicht möchte, daß zum Beispiel der Werner Berg gar nicht vertreten ist, damals hatte ich in der Sammlung nur zwei Holzschnitte, von ihm werde ich ein Bild leihen, ebenso von Alfred Wickenburg."
Wird die Sammlung Leopold II einmal mit der Stiftung vereinigt? "Nach dem, wie mich die Politiker behandeln, denke ich nicht daran. Wir haben bis heute keinen Schilling Ankaufsbudget erhalten. Bei uns spart man, aber jedes Museum, auch wenn es noch so gut ist, ist zum Absterben verurteilt, wenn es nichts Neues bieten kann."
L eopold weiter: "Die Ministerin Gehrer hat mich einmal in tadelndem Ton gefragt: ,Sie sammeln ja wieder?' Worauf ich ihr gesagt habe: ,Ich würde viel lieber für den Staat sammeln, aber der Staat, vertreten durch Sie und den Finanzminister, gibt mir ja nichts seit sieben Jahren.' Daraufhin war sie ruhig, aber Ankaufsbudget haben wir weiterhin keins."
Im Museum sind auch Räume vorbereitet für Kinderkurse, Kinderführungen. "Ich hatte noch keine Zeit, mich damit zu befassen. Mit behutsamen Hilfestellungen kann man die Kinder zur Welt der Kunst hinbringen, aber es sollte bei ihnen eine innere Bereitschaft vorhanden sein. Daneben sollte aber das Turnen und Singen ebensowichtig genommen werden." Es wird ab Oktober Kinderführungen geben.
Das Weinhauerhaus wird nicht leer sein. "Es werden mir natürlich einige große Freunde fehlen: zum Beispiel die ,Entschwebung' oder die ,Hauswand am Fluß', wo er die Jodokuskirche von Krumau als Motiv verwendet hat, oder der ,Häuserbogen' oder Klimts ,Tod und Leben' und seine ,Große Pappel', von ihm treffend ,Aufziehendes Gewitter' genannt. Es war Klimts erste Landschaft, die in einem internationalen Magazin farbig reproduziert wurde."
50 Jahre leidenschaftliches Sammeln, die längste Zeit unter Entbehrung und drückenden Schuldenlasten - und nun ein eigenes Museum, die Attraktion, der Publikumsmagnet des ganzen Messepalasts: Muß man da nicht allen Ärger vergessen und sich freuen? Rudolf Leopold, zögernd: "Die Räume, bei denen wir auch mitgewirkt haben, sind sehr schöne Räume, und da freue ich mich, daß durch die Zurschaustellung der Hauptwerke der österreichischen Kunst im individuellen Rahmen eines eigenen Museums als Gesamtkunstwerk der Welt bewiesen wird, daß Österreich nicht nur in der Musik, sondern auch in der bildenden Kunst im Chor der Europäer Bedeutendes zu sagen hat. Und so hoffe ich auch, daß daraufhin manche Kunsthistoriker und Kritiker auch darüber nachdenken und schreiben werden."

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