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Kunsthalle Krems: Hölle, Lust und Käsefüße

02.08.2011 | 18:14 | SABINE B.VOGEL (Die Presse)

Werke der frechen Künstlergruppe Gelatin kombiniert mit finsteren Bildern von Hieronymus Bosch. Sie möchten an gesellschaftlichen Schranken und Normen rütteln und „versteckte Sehnsüchte leben“.

Ihre Auftritte sind meist spektakulär. Vor einigen Jahren installierten sie ein offenes Klo mit Spiegeln im Kunsthaus Bregenz, brüskierten die Salzburger mit einem ungewöhnlichen „Brunnen“, einer Figur, die sich selbst in den Mund ejakulierte, steckten sich zur „Frieze Art Fair“ Kerzen in den Hintern oder präsentierten in ihrer Züricher Galerie wandfüllende Texte, deren Buchstaben als „Kakabet“ alle aus ihrem Stuhl geformt sind. Was immer die österreichische Künstlergruppe „Gelatin“, die zwischendurch auch „Gelitin“ hieß, macht, ist frech bis provokant. Sie möchten an gesellschaftlichen Schranken und Normen rütteln und „versteckte Sehnsüchte leben“, erklärten sie einmal.

Diese oft analfixierte „Bad boys“-Attitüde war wohl der Auslöser, die Künstlergruppe in ihrer Personale in der Kunsthalle Krems zusammen mit dem Meister der finsteren Monsterbilder zu kombinieren, mit Hieronymus Bosch. Bosch, der 1516 starb, malte in seiner drastischen Bildsprache voller sexueller und gewalttätiger Exzesse Szenen der Verdammnis und Verdorbenheit. In ihrer Vorliebe für Sujets rund um Sexualspiele und -akrobatik treffen sich Bosch und Gelatin. Aber während in den Bildern von Bosch Lust stets mit Schrecken kombiniert ist, ersetzen Gelatin den Schrecken durch Spaß. Auch in Krems, wo ihr Auftritt allerdings genauso unerwartet wie überzeugend skulptural ist. In der Kunsthalle präsentieren sie sich vor allem als Bildhauer – und das ist gut so. Denn sonst würden die motivischen Ähnlichkeiten zu grenzwertigen Plattitüden verkommen. So aber adelt der historische Meister die jugendlichen Fantasien der Künstlergruppe und verhilft der Ausstellung zu einer sehr eigenartigen, brachialen Grundstimmung.

 

So gewinnen Gelatin inhaltliche Tiefe

Das beginnt bereits im Treppenhaus mit den Stoffpferdchen, die als „Streichelzoo“ unsere Obsession des Berührens herausfordern, und endet mit ebensolchen Tieren, die wir uns im letzten Raum überstülpen können, um verkleidet durch die Ausstellung zu hoppeln – eine Analogie zu den Mensch-Tier-Monstern der Alten Meister? Dazwischen wandern wir durch eine dicht gefüllte Ausstellung, in der die historischen Höllenbilder von Bosch und Nachfolgern das zeitgenössische Spiel mit „versteckten Sehnsüchten“ verdüstern. Manchmal gelingt das hervorragend, verstärkt die skulpturalen Qualitäten der Objekte von Gelatin und gibt ihnen eine inhaltliche Tiefe – die an anderer Stelle umso schmerzlicher vermisst wird. Dort wird dann der hedonistische Spaßfaktor krass deutlich, etwa in den „Käsefüßen“ oder im „Bimbobild“, in dem der Rüssel eines Stoffelefanten durch ein Landschaftsbild sticht.

Dass der Kontrast zwischen Gelatin und Bosch nicht zu groß wird, dafür sorgt eine dritte Position: die großartigen Werke der britischen Künstlerin Sarah Lucas, die „Lust“ als Stereotypen seziert. Mit den hochhackigen Schuhen aus Beton, den überlang gezogenen Nylonstrümpfen und den runden, losgelösten Brüsten schafft Lucas bissig-beklemmende Werke, die haarscharf zwischen Lust und Gewalt, Klischee und Anklage balancieren. Mit ihrer reduzierten, minimalistischen Formensprache sind ihre Skulpturen ein wichtiges Gegengewicht gegen all die wimmelnden Höllenszenen und die ausufernden Materialkombinationen.

Noch etwas können Lucas' Werke ausgleichen: Es ist immer waghalsig, Alte Meister mit zeitgenössischen Künstlern zu kombinieren, treffen dabei doch sehr verschiedene Grundhaltungen aufeinander – zum Handwerk etwa oder zu Religiösem. Jede Ähnlichkeit steht da schnell im Verdacht, auf einem Missverständnis zu fußen. Den Bildvisionen von Bosch und seinen Nachfolgern liegen Themen zugrunde, die heute kaum bis nie Anlass für Bildfindungen sind, wie Zorn und Habgier, die Todsünden und immer wieder die Versuchungen des heiligen Antonius. Heute dagegen – und das wird gerade in dieser Zusammenstellung mit Gelatin deutlich – kommt die wollüstige, sexuell bestimmte Körperlichkeit der Menschen nicht mehr als Laster, sondern nur noch als bejahte Lust ins Bild. Statt verwerflicher Charaktereigenschaften rücken Gelatin die pure Freude an Materialverfremdungen, Wort-Bild-Spielen, bisweilen kalauerhaften Umdeutungen in den Blick. Lucas verbindet diese Pole in ihren Skulpturen, wodurch das Experiment „Lucas Bosch Gelatin“ geglückt ist.

Bis 6.November, täglich 10 bis 18 Uhr.


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