VON WALTER FINK
Was ist eigentlich los in der Vorarlberger Kulturszene? Außer,
daß nichts los ist. Da werden der Reihe nach Festivals abgewickelt,
große und kleinere. Alle schreiben beste Zahlen, berichten von
außergewöhnlichem Publikumsinteresse, Konzertreihen erfreuen sich
großer Beliebtheit, die offiziellen Einrichtungen wie Landestheater
oder Kunsthaus verzeichnen steigendes Publikumsinteresse, die
Festspiele bringen einen Fabelrekord, die Schubertiade ist nach wie
vor ausgebucht, alternative Angebote wie Seelax oder die Feldkircher
Pool-Bar begeistern die Jugendlichen, selbst eine Art "Feuerfest"
von "Gauklern" am Dornbirner Marktplatz lockt mehrere Tausend
Menschen an. Was ist eigentlich los, außer, daß es ein
ungeheuerliches Angebot gibt, das ganz offensichtlich auch
angenommen wird. Im Sommer besonders, aber auch während des Jahres,
wenn etwas mehr auf Sparflamme gekocht wird.
Das kulturelle Angebot in Vorarlberg ist großartig, es übertrifft
bei weitem, was man in so einem kleinen Land erwarten darf, es
erreicht ein Format, das einer großen Stadt würdig wäre. Längst ist
es unmöglich geworden, auch nur die wesentlichen Ereignisse
wahrzunehmen, kaum kann man mehr den Überblick bewahren. Wir werden
zugedeckt mit Kulturveranstaltungen, auch mit viel Qualität. Und
mehr oder weniger alles wird auch vom Land unterstützt, genießt also
nicht nur die Zuneigung des Publikums. Wir gehen von einem Ereignis
zum anderen, wechseln vom Theater zum Konzert, von der Lesung zur
Ausstellung - und kommen dazwischen kaum mehr zum Atemholen.
Vielleicht auch nicht mehr ausreichend zum Nachdenken über das, was
wir gesehen und gehört haben. Wir, die Besucher, scheinen immer mehr
zu konsumieren, weniger zu reflektieren - was aber natürlich keine
spezielle Vorarlberger Eigenschaft ist.
Wo aber bleibt, was wesentlich Bestandteil kultureller Betätigung
sein sollte, wo bleibt die Auseinandersetzung? Wenn man einmal
absieht davon, daß man nach der Oper, nach dem Theater, nach dem
Konzert mit Gleichgesinnten beim feinen Essen sitzt und sich darüber
unterhält, ob nur der ein bißchen besser gespielt oder die ein wenig
schlechter gesungen hat. Wovon wir übrigens meist alle zusammen zu
wenig Ahnung haben. Liegt es am zu glatten Angebot, an angepaßten
Spielplänen, an auf Breite ausgelegten Programmen, daß es kaum mehr
zu wirklichen Diskussionen, zu Diskursen kommt? Liegt es vielleicht
auch an uns, daß wir das, was an Auseinandersetzung in der Kunst
angeboten würde, gar nicht mehr wahrnehmen, daß uns der
gesellschaftliche Anlaß wichtiger geworden ist als die Kunst? Sicher
ist: Schön langsam leiden wir bei bestem Angebot unter Langeweile.
Nichts ist in Sicht, das diese Fadesse stören könnte, kein
Konflikt weit und breit, nicht einmal der Hauch eines kleinen
Streites, einer unterschiedlichen Auffassung. Was waren das noch für
Zeiten, als die Kultur noch Anlaß zu Differenzen bot, als noch um
Werte, um die Rettung des Abendlandes gestritten wurde, als Kunst
auch bei uns noch als Opposition gegen Bestehendes, gesellschaftlich
und politisch, genutzt wurde. Nicht einmal mehr die politischen
Bühnen, der Landtag oder die Stadtparlamente, sind mehr Schauplatz
kulturpolitischer Diskussionen, auch da ist man sich - von kleinen
Differenzen einmal abgesehen - weitgehend einig. Kulturpolitik ist
nicht einmal mehr der Probelauf für die großen Auseinandersetzungen.
Eitel Wonne wohin man sieht. Über allen kulturellen Gipfeln ist Ruh.
Und tatsächlich: Man spürt kaum einen Hauch. Das gibt doch zu
denken. Denn man kann ja wohl nicht davon ausgehen, daß da wirklich
alle mit allem zufrieden sind, Künstler, Publikum, Politik. Sind wir
zu bequem geworden, haben unsere Künstler ihre Kraft zur Provokation
verloren, passen sich die Politiker zu sehr an? Ich habe keine
Ahnung. Ich weiß nur, daß solche Ruhe auf Dauer nicht gut ist.
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Die Meinung des Gastkommentators muss nicht mit jener der
Redaktion übereinstimmen. Auf Wunsch des Autors erscheint sie in der
alten Rechtschreibung.