text breit  text schmal  
drucken 
Bilder keine Bilder

derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Kunstpreise 
23. Juni 2006
22:21 MESZ
Foto: Peter Macdiarmid/Getty Images
Van Gogh's Meisterwerk "L'Arlesienne, Madame Ginoux"

Foto: REUTERS/Keld Navntoft
Alte Meister und junge Schule: Die an Jagdfieber grenzende Nachfrage gilt sowohl für die klassische Moderne wie auch für junge Kunst aus Deutschland. Picassos Werke (im Bild "Nu Jaune") erzielen bei Versteigerungen gerne zweistellige Millionenbeträge.

Foto: APA/EPA/JUSTIN LANE
Der Künstler Jonathan Meese zeigt dem dänischen Prinzen Frederik und dem dänischen Kulturminister seine Skulptur mit dem Titel "Porn". Der junge Deutsche zählt mit Sicherheit zu den Gewinnern des neuen Kunstbooms.

Reden ist Gold
Kunst ist eine Ware, die eigentlich keine sein dürfte. Auch deshalb hat der Kommentar zum Werk nirgendwo sonst eine ähnlich große Bedeutung erlangt wie in der Kunst.

Was uns etwas wert ist, hat seinen Preis. Dass Kunst uns etwas wert ist, dürfte unstrittig sein - weshalb sonst sollte unsere Gesellschaft klaglos teure Akademien, Museumsbauten und Universitätslehrstühle unterhalten? Weshalb Stipendien finanzieren und Preise ausloben? Also muss Kunst auch ihren Preis haben. Wie hoch der im Einzelfall ausfällt, ergibt sich, wie überall in der kapitalistischen Warenwirtschaft, aus der Balance zwischen Angebot und Nachfrage.

Käufer und Verkäufer handeln den Preis im Prinzip frei untereinander aus. Der Vertrieb von Tafelbildern oder Videoschleifen unterscheidet sich in dieser Hinsicht nur unwesentlich vom Handel mit Kaffeesäcken oder Rinderhälften. So einfach ist das - zumindest in der Theorie.

Einzigartigkeit

In der Praxis liegen die Dinge um einiges komplizierter. Denn Waren sind bekanntlich käuflich, und das bedeutet: Sie sind, zumindest prinzipiell, beliebig austauschbar. Von Kunstwerken würden wir das in dieser Allgemeinheit nicht behaupten wollen. Im Gegenteil. Für sie beanspruchen wir Einzigartigkeit, Unverwechselbarkeit, absolute Individualität, Eigenschaften also, die wir unter anderem gerade deshalb so sehr schätzen, weil sie nicht käuflich sind.

Dass sie offenbar gleichwohl wie Kaffeesäcke und Rinderhälften gehandelt werden, wird deshalb geradezu als peinlich empfunden und dementsprechend ungern thematisiert. Aus diesem Grund nennen Kunstverkäufer sich auch nicht Kunstverkäufer, sondern lieber Galeristen. Das klingt nach Kultur, nicht nach Geschäft.

Preis eines Objekts

Und wenn eine öffentliche Sammlung einen gewichtigen Neuankauf tätigt, wird der Kaufpreis dem breiten Publikum in aller Regel ebenso schamhaft verschwiegen wie die genauen Umstände der Transaktion. In Sachen Kunst und Geld gilt das einfache Gebot: Über das Materielle spricht man nicht, es geht schließlich um ideelle Werte. Wer das Tabu, das dieses Thema umgibt, einmal am eigenen Leib spüren will, muss sich nur spaßeshalber bei einer Museumsgruppenführung lautstark nach dem Preis eines Objekts erkundigen, statt, wie vorgesehen, nach dem Künstler.

Weil Kunst eine Ware ist, die eigentlich keine sein dürfte, reagieren nicht nur ausgewiesene Kunstfreunde bei jedem neuen Rekordpreis, jedem spektakulären Auktionsausgang, jedem hysterischen Art-Basel-Bulletin mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Bestürzung.

Geltungsdrang eitler Milliardäre

Experten und Laien sinnieren dann auf einmal einträchtig über den hohlen Kunstzirkus, klagen über den Geltungsdrang eitler Milliardäre, die Schiebereien gieriger Händler, die Ohnmacht der öffentlichen Museen und überbieten sich in Prognosen darüber, wann die Spekulationsblase wohl endlich platzt. Es ist ein seltsam monologischer und zutiefst moralisch durchtränkter Diskurs, der da geführt wird, und er kreist um einen zentralen Begriff: Obszönität.

Obszön ist bereits, dass Kunst überhaupt käuflich ist; obszön ist auch, dass jeder sie kaufen darf, wenn er nur das Geld dazu hat; obszön ist überdies, welche Unsummen für Kunst geboten werden; obszön ist erst recht, dass in Privatbesitz gerät, was doch eigentlich der Allgemeinheit gehören sollte, und obszön ist nicht zuletzt, dass es Menschen gibt, die Kunst allen Ernstes in der schnöden Absicht kaufen, sie bei Gelegenheit möglichst Gewinn bringend wieder abzustoßen.

Maßlosigkeit der Summen

Der heilige Zorn, der sich in diesen und ähnlichen Vorwürfen manifestiert, spiegelt in seiner Maßlosigkeit auf paradoxe Weise die Maßlosigkeit der Summen, über deren Einsatz er sich erregt. Kein Wunder. Der Tauschwert einer Sache hängt schließlich nicht so sehr von der Sache selbst ab, als vielmehr von den Vorstellungen, die wir über sie und ihre Bedeutung für unser Glück und Wohlbefinden entwickeln. Und die sind, was die Kunst betrifft, im Allgemeinen reichlich überspannt.

Sehr anschaulich zeigt sich das an dem geradezu zwanghaft ins Superlativische hochgestimmten Ton, in dem bei uns seit nunmehr zweihundertfünfzig Jahren über Kunst öffentlich gesprochen und geschrieben wird, als ginge es hier nicht um Gestaltung, sondern um Erlösung. Schon Johann Joachim Winckelmann besang den edlen Marmor Griechenlands mit der Inbrunst des von Kunstbeseeligung Entrückten. Die Frühromantik betete zu Dürer und Raffael. Im Fin de Siècle wussten sich Symbolisten und Ästhetizisten in der Gnade - Klimt machte da keine Ausnahme.

Avantgarde

Bei den Manifesten und Programmschriften der Avantgarde war die Verwandtschaft zu Predigten und anderen liturgischen Texten stets unübersehbar. Die kunsthistorische Fachliteratur zu Barnett Newman und Joseph Beuys ist bis heute weitgehend ästhetischer Katechismus. Mag sein, dass derart eindeutig parareligiöse Deutungsmuster seit einiger Zeit auf dem Rückzug sind. Die Anbetungshaltung ist jedoch geblieben: Kein Tafelbild, das nicht zur "Ikone der Moderne" taugte, keine Installation, die nicht wenigstens zum "Seismografen innerer Befindlichkeit" erklärt, kein Videoclip, der nicht zumindest als "subtiler Erkenntnisspeicher" gepriesen würde.

Zugegeben: Man muss nicht alles, was da so geschrieben wird, für bare Münze nehmen. Doch entkommen kann man der Verklärungsmaschinerie eben auch nicht. Denn was Kunst ist, kann man bekanntlich nicht sehen. Man muss es aushandeln. In der bildenden Kunst ist das besonders schwierig, denn hier ist die Basis für derartige Verhandlungen so brüchig wie nirgends sonst und zugleich die Möglichkeit, der eigenen Einschätzung Gehör zu verschaffen, zumindest für den Laien, extrem beschränkt.

Sehhilfen

In keinem anderen künstlerischen Feld hat der Kommentar zum Werk deshalb einen auch nur annähernd vergleichbaren Umfang angenommen, geschweige denn eine ähnlich große Bedeutung erlangt. Undenkbar der Besuch eines Museums, einer Ausstellung ohne umfangreiche pädagogische, wissenschaftliche, belletristische und / oder schöngeistig essayistische Sehhilfen. Mit den meisten davon betrachtet man die Kunst gleichsam durch fingerdicke Lupengläser - undenkbar, dass ein Tafelbild mitunter einfach nur ein Tafelbild sein könnte.

Man muss sich also nicht wundern, wenn diese verzerrte Optik auf Dauer auch in handfestem Sinne wertbildend wirkt. Man muss sich allerdings auch nicht allzu sehr darüber aufregen. Nur zur Erinnerung: Die vertraglich festgeschriebene Ablösesumme für den brasilianischen Fußballprofi Roberto Carlos beträgt 170 Millionen Euro. (DER STANDARD, Printausgabe, 24./25.6.2006)


© 2006 derStandard.at - Alle Rechte vorbehalten.
Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.