Eine Polemik für die Malerei

Peter Huemer spricht im Gespräch mit Otto Breicha, dem Kurator der Ausstellung vor 34 Jahren und heute, und mit der "Wirklichkeiten"-Malerin Martha Jungwirth.


Vor 34 Jahren, im Mai 1968, fand in der Wiener Secession eine Ausstellung junger Künstler unter dem Titel "Wirklichkeiten" statt, die damals ein großartiger Erfolg zeitgenössischer Malerei in Österreich war. Die sechs Künstler waren: Wolfgang Herzig, Kurt Kocherscheidt, Martha Jungwirth, Peter Pongratz, Robert Zeppel-Sperl und Franz Ringel. Ein großer Teil der gezeigten Arbeiten stammt aus dem Besitz des Kunsthistorikers Otto Breicha, der 1968 die Wirklichkeiten-Ausstellung erfunden hatte.

Peter Huemer: Begonnen hat die "Wirklichkeiten"-Ausstellung ja damit, dass der Secession eine geplante Ausstellung geplatzt war...

Otto Breicha: So war es. Man ist an mich herangetreten, ob ich nicht eine frische, unterhaltende, wenig kostende Ausstellung jüngerer Künstler in der Secession zeigen könnte. Ich hatte damals Maler und Malerinnen ausgestellt, die mir in der letzten Zeit aufgefallen waren. Die Ausstellung hat in der neueren österreichischen Kunstgeschichte allerhand bewirkt. Alle sechs Künstler, so sie noch leben, stehen heute in der zeitgenössischen Kunst sehr gut da. Es hat auch das Vorurteil oder die Tatsache bestätigt, dass in Österreich Revolutionen im Saal stattfinden.

Huemer: Der Name stammt auch von ihnen?

Breicha: Das war ein Gemeinschaftsentschluss. Wir haben gemeint, einen Titel zu finden, der über sechs unterschiedliche Individualitäten so eine Art Klammer bildet. Er durfte nicht eine Bestimmung sein, auch nicht örtlich. Es hat auch eine inhaltliche Ansage: Die Künstler hatten es sich zwischen den beiden Lagern der damaligen österreichischen Malerei eingerichtet. Auf der einen Seite die Wiener Fantasiemalerei und andererseits die Gruppe von abstrakten Malern um die Galerie St. Stephan. Sie waren wohl fantastisch aber nicht so fantastisch wie diese österreichischen Spätsurrealisten, aber konkreter als die Maler um Monsignore Maurer.

Huemer: Sie haben von der "Handke-Generation in der Bildenden Kunst" gesprochen. Wir sind im Jahr 1968, als die Ausstellung stattfindet. Es ist auffallend, dass gleichzeitig eine junge Generation in der Literatur antritt, deren Akteure auch alle aus der Steiermark oder aus Kärnten kommen: Jelinek, Turrini, Jonke, Frischmuth, Roth, Bauer, das sind bei weitem nicht alle. Haben sie eine Erklärung dafür?

Breicha: Ich erkläre mir das so, dass die politischen und gesellschaftlichen Zustände in diesen Städten besonders reaktionär und konservativ gewesen sind. Die Künstler, die etwas neues wollten, etwa die von "Forum Stadtpark", haben einen größeren Impuls gehabt etwas zu machen, das nicht ortsgebunden ist und nicht in diesen Verhältnismäßigkeiten verwurzelt ist.

Huemer: Sie meinen durch Reibung und Widerstand?

Breicha: Durch Reibung und Widerstand und dadurch, dass man sich seine Vorbilder woanders sucht, wie der junge Handke, der mit der damaligen österreichischen Literatur sehr wenig zu tun gehabt hat.

Huemer: Wenn ich an 1968 denke, dann denke ich an das Happening im Hörsaal 1, die sogenannte Uni-Ferkelei im Juni und davor im Mai die Ausstellung in der Secession von den "Wirklichkeiten". In meiner Erinnerung sind das herausragende Ereignisse - und die sind in der Kunst.

Breicha: Die Wirklichkeiten-Ausstellung und die Uni-Ferkelei haben ja nichts miteinander zu tun. Die Wirklichkeiten wollten ja nicht provozieren. Während dieser Impact an Provokation durchaus bei den Aktionisten dabei war. Die waren ja auch viel radikaler und haben nicht so viel Kunst produziert.

Martha Jungwirth, Aktfigur, 1970 / ©Bild: M. Jungwirth
Martha Jungwirth, Aktfigur, 1970 / ©Bild: M. Jungwirth

Jungwirth: Wenn man malt oder zeichnet, sich auf der Fläche bewegt, ist das etwas anderes. Die Provokation ist nicht so deutlich wie bei einem Happening. Sie ist verschlüsselter, das muss man lesen können.

Huemer: Es ist der Eindruck entstanden, die Gruppe wollte nach ihrem gemeinsamen Erfolg möglichst schnell wieder auseinander, ohne, dass man sich zerstritten hätte.

Jungwirth: Das hat sich einfach so ergeben. Jeder der Künstler hat plötzlich Aufmerksamkeit erfahren, wurde von Galerien eingeladen. Man hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt - was auch legitim ist.

Breicha: Der Kontakt innerhalb der Gruppe hat nach drei, vier Jahren aufgehört, das Ganze ist auseinandergegangen. Das Phänomen an dieser Wirklichkeiten-Ausstellung ist, dass sie über den Termin der Ausstellung Wirkung gehabt hat. 20 Jahre nach der Ausstellung war eine im "Museum des 20. Jahrhunderts", und jetzt wieder. Das ist auch inhaltlich motiviert. Nicht nur, weil sie sich von der vorherrschenden Kunst distanziert haben, sondern sie haben auch die aktuelle Kunst polemisch angegriffen: Minimal Art, Pattern Art und so weiter.

Heute ist die Situation ähnlich, weil Konzeptkunst und Medienkunst im Zentrum des Interesses stehen - vor Allem der Leute, die die Kunst bewegen. Das Publikum funktioniert ganz anders. Die Ausstellung heißt ja "Lob der Malerei". Eine Polemik für die Malerei ist in einer Zeit angebracht, wo Bilder und Zeichnungen als "Flachware" bagatellisiert werden.

Huemer: Wird die Malerei als Kunstgattung unwichtiger?

Jungwirth: Ich glaube nicht, dass sie unwichtiger wird, aber sie wird unterbewertet. Ich leiste mir den Luxus zu malen. Ich persönlich reagiere nur auf andere Malerei. Das Übliche interessiert mich nicht.

Breicha: Meingott, ja - sie ist nicht mehr aktuell, die Malerei. Aber das heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Man muss ja die gesellschaftlichen Hintergründe sehen. Wir sind eine Eventkultur geworden. Auch die Kunst. Um zu sehen, was auf einem Bild "passiert", da muss man öfters hinschauen, da muss man einiges wissen. Eine Projektion etwa ist natürlich mehr "Event". Aber es gäbe keinen Kunsthandel, wenn es kein Interesse an Malerei gäbe.

Huemer: Video-Installationen haben sie als Künstlerin nie interessiert?

Jungwirth: Nein, überhaupt nicht. Mich interessiert die Fläche, da kann man so viel machen. Für mich hat das sinnliche Erlebnis des Malens großen Stellenwert. Das Andere scheint mir so unsinnlich. Mit dem Material umgehen, wenn die Farben herauskommen, die Pinseln, die Haare, das ist etwas wunderbares, das ist so ein Genuss, das könnte mir ein Apparat nie vermitteln.

Breicha: "Das Lob der Malerei", das ist auch ironisch hinterdacht. Der Pfeffer dieser Ausstellung ist der, dass die Dinge sehr ernst gemeint sind, aber ironische Zwischentöne auch aufkommen. Das Schlimmste ist, wenn man mit der Zeit total geht. Wenn die Leute nicht mehr Zeit haben zu kochen, essen sie Fast Food. Das spricht ja nicht gegen die Tatsache, dass es eine Kultur des Kochens auf hohem Niveau gibt.

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