09.12.2002 20:23
Salzmarsch durch die Halbleiter
Das Spektrum der Konferenz "The Network Society Control" bei der
World-Information.org bewegt sich zwischen Paranoia und "digital
commons"-Utopien
Zwischen Paranoia bis zu "digital commons"-Utopien
bewegte sich das Spektrum der im Rahmen von Word-Information.org abgehaltenen
Konferenz "The Network Society Control" in Amsterdam. Die vorgestellten
Strategien lassen Hoffnung aufkeimen.
Hübsch und stylish prangen die Zeichen auf den Posters der konzeptuellen
Kunstgruppe "Bureau d'études". Statt Lifestyle-Logos symbolisieren sie jedoch
eine Landkarte miteinander verbundener Staaten, Medienunternehmen, Pharmafirmen
oder Investmentbanken. Was der Journalist Brian Holmes mit dem "bureau" da
entwickelt, drucken lässt und zu Tausenden verteilt, zeigt anschaulich globale
Netzwerke politisch/ wirtschaftlicher Natur.
Holmes und seine Gruppe
waren Teil der vergangenes Wochenende abgehaltenen, internationalen Konferenz
"The Network Society of Control" im Amsterdamer "De Baile - Zentrum für Kultur
und Politik". Dort wurden die (digitalen) Ängste rund um Kontrolle und
Unternehmenskonzentrationen aufs Pult (nl.: de baile) gelegt, diskutiert und
weiterführend Möglichkeiten gesucht, ein "digital commons" aufzubauen, in dem
offene Netzwerke in jeder Hinsicht die Hauptrolle spielen.
Die Konferenz
war auch Teil der in Amsterdam gastierenden, bereits vor zwei Jahren in Wien
gezeigten Ausstellung von World-Information.org (WIO), die künstlerische
Projekte zum Thema sowie den aktuellen Stand moderner Überwachungs- und
Kontrolltechnologien vor Augen führt. WIO als Organisation war auf Initiative
von Konrad Beckers in Amsterdam mitveranstaltenden Wiener Institut für
Kulturtechnologien "t0 Public Netbase", 1995 gegründet worden. Weitere Stationen
der Schau: Novi Sad und Belgrad im Frühjahr 2003.
Information sei
"immer limitiert, kontextuell, sich permanent verändernd, cyborgisch"
So düster die Weltkarten und Statistiken auch im Ausstellungsort
"Oude Kerk" (nl.: Alte Kirche) anmuten, was sei dies gegen das hegemoniale
System der Kirche, deren Information- und Gedankenkontrollsystem bei weitem
schlimmer gewesen wären, warf Referent Chris Hables Gray ein. Information sei
"immer limitiert, kontextuell, sich permanent verändernd, cyborgisch" - eine
perfekte Information und Sicherheit, wie es nun etwa auch das neue US-System
Homeland Security vorgibt, sei nicht möglich.
Ein Trost? Man kann
auch so aussteigen wie der seine Ausbildungsstationen als "Welt-Tour"
präsentierende Ex-CIA-Mann, der von den codierten Tönen, die er während seiner
Dienstzeit lernte und hörte, nun Sounds produziert.
Die Kultur, laut
Kubas Diktator Fidel Castro "die Waffe des 21. Jahrhunderts", wurde in Amsterdam
als bedroht angesehen. Hollywood gegen Independent ist nur ein Beispiel dafür,
wie Politologe Joost Smiers, Autor des bald erscheinenden Buches Arts under
Pressure, skizzierte. Gut, man kann `a la Naomi Klein die Strategien von
Großfirmen wie Eveline Lubbers anhand von Shell aufzeigen, dubiose PR-Strategien
analysieren wie Sheldon Rampton von PR Watch, oder Strategien der Abhängigkeit
von Pharmaindustrien erläutern wie Steve Kurtz (Critical Art Ensemble) - doch zu
welchem Ende?
Die zentrale Frage lautete: Was führt über diese
Bestandsaufnahmen hinaus? Vokabular zur Meinungsbildung, öffentliche Erziehung,
Repräsentationskritik lauteten da die Antworten. Oder der fromme Wunsch nach
Implementierung des "Rechts auf kulturelle Verschiedenheit" in den UNO-Statuten,
die Hoffnung auf den "World Summit on Information" in Genf 2003. Realistischer
wurde Thorsten Schilling von der Bonner Bundeszentrale für politische Bildung,
indem er unter anderem eine Zusammenlegung von ähnlichen Initiativen auf
europäischem Level vorschlug oder die Entwicklung von
Infoportalen.
Konkrete Vorschläge brachte ein Pragmatiker, der indische
Programmierer und Aktivist Arun Mehta, dessen Firma Stephen Hawkings
Ein-Tasten-Software entwickelt hat: Open-Source-Software benutzen oder
Open-Law-Websites, bis hin zum Brauen des eigenen "Open Cola" (s.
Webtipp). Zivilen Ungehorsam, wie ihn Gandhi in den 60ern mit seinem
"Salzmarsch" demonstrierte, legte der Wissenschafter auch auf die Millionen
junger Menschen um, die durch Napster aus Sicht der Multinationals alles
Kriminelle seien. Der wichtigste Schritt fände im Kopf statt: dass Ideen nicht
im Besitz von jemandem sein könnten.
In Amsterdam vom Publikum leider
spärlich gehörte Anregungen und Diskussionen, künftig abrufbar im Netz. (DER
STANDARD, Printausgabe, 10.12.2002)