Aus Schnappschüssen wird Historie
Martin behr Graz (SN). Im Genre künstlerische Autorenfotografie ist der Begriff „Schnappschuss“ in der Regel aus dem Wortschatz gestrichen. Nicht so beim rumänischen Künstler Iosif Kiraly, der mit Leidenschaft „Schnappschüsse“ produziert: über lange Zeiträume hinweg, oft an den gleichen Orten, aus ähnlichen Blickwinkeln heraus. Was so seriell entsteht, verknüpft Kiraly zu Bildwelten, die einiges über Veränderungen am dargestellten Ort sowie in der Gesellschaft zu berichten haben. Gemeinsam mit Christian Wachter stellt Iosif Kiraly derzeit seine Serie „Reconstructions“ in der Grazer Camera Austria aus.
Einmal liegt der gestürzte Lenin auf dem Rücken, dann wieder auf dem Bauch. Die Statue wird fotografiert, bleibt unbeachtet oder dient als Sitzgelegenheit für eine jugendliche Clique. Immer wieder hat Iosif Kiraly das plastische Symbol des niedergegangenen Kommunismus aufgenommen. Mit moderner Digitaltechnik – früher verwendete er zum Collagieren handelsübliche Klebestreifen – entstehen so Erinnerungsbilder, die sich mit den Transformationen in der postkommunistischen Heimat des Künst-lers auseinandersetzen. „Jeder Schnappschuss stellt ein Byte an gespeicherter Information dar“, erläutert der 53-jährige Künstler, der in Graz auch das Basismaterial seiner „Reconstructions“ – die Urschnappschüsse – präsentiert. Die Bildserie ist ein subjektiver, visueller Gedankenspeicher, unterschiedliche Wahrnehmungen legen sich wie Schichten übereinander und erzählen die Historie über ausschnitthafte Details aus der Alltagswelt. In der vorläufig letzten Ausstellung, die Christine Frisinghelli für die Camera Austria kuratiert hat (ab Herbst übernehmen Maren Lübbke-Tidow und Reinhard Braun die Leitung), sind die „Reconstructions“ mit der Serie „Impressions D’AFRIQUE“ von Christian Wachter beisammen.
Der 61-jährige Künstler aus Oberwart kombiniert unter anderem Bilder von akrobatischen Leistungen aus Afrika mit der Haarpflege einer Europäerin. Gefundene Bilder, Stills von Videofilmen, Notizen und Interieuraufnahmen fügen sich zu einer transnationalen Reiseerzählung, in der es auch um Klischeevorstellungen geht. Flüchtige Bilder aus Afrika und Europa dokumentieren eine „lange Hin- und Her-Geschichte“, die sich grell im Nachbau des Petersdoms an der Elfenbeinküste darstellt. Bis 5. 9.