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Kunstberichte
Die Wiener Albertina zeigt in Kooperation mit der Tate Liverpool die Schau "Picasso. Frieden und Freiheit"

Die Mythen von Hahn und Taube

Der große 
Individualist der Malerei: "Hummer und Katze" (1911) ist Teil 
der Picasso-Ausstellung in der Albertina. Foto: Succession Picasso/VBK, 
Wien

Der große Individualist der Malerei: "Hummer und Katze" (1911) ist Teil der Picasso-Ausstellung in der Albertina. Foto: Succession Picasso/VBK, Wien

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Malerei war ihm eine Waffe gegen den Faschismus. Es ist daher logisch, dass Pablo Picasso (1881 bis 1973) nach der Befreiung von Paris 1944 der kommunistischen Partei beitrat. Neu ist die Erkenntnis, dass der als geizig geltende Künstler die Partei großzügig unterstützte.

Die politische Seite des wohl bekanntesten Künstlers des 20. Jahrhunderts wurde erst in den letzten vier Jahren von Lynda Morris mit der Tate Liverpool erforscht, und das Ergebnis "Picasso. Frieden und Freiheit" in Kooperation mit der Albertina kann sich sehen lassen. 60 internationale Sammlungen haben etwa 200 Exponate geliehen, darunter mindestens zehn Hauptwerke des Künstlers.

Dokumente des Grauens

Ungewöhnlich ist der dokumentarische Charakter der Schau: Vergrößerungen schwarzweißer Fotografien aus dem Spanischen Bürgerkrieg mit Flüchtenden und Toten, von Franco und dem jungen König Juan Carlos, den Flugzeugen der Legion Kondor, aus dem befreiten Paris, von Picasso bei Kundgebungen mit sowjetischen Künstlern und bei Friedenskongressen wie bei der Arbeit in der Kapelle von Vallauris tapezieren je zwei Wände pro Saal, auf denen teils bunte Gemälde hängen. Ein Wagnis, das Picassos sichere Kompositionen leicht aushalten, und eine interessante Alternative zur klassischen Ausstellungsarchitektur.

Werke wie "Das Leichenhaus" von 1945, sein wesentliches Bild zu Spanien nach "Guernica", haben viel Raum und werden mit wichtigen Bronzeskulpturen und Grafiken, etwa dem "Totenkopf" von 1943, ergänzt. Vanitasstillleben aus der Kriegszeit zeigen sich teilweise giftig bunt in Türkis und Gelb, inhaltlich sind gelöschte Kerze oder Eule, Ziegenschädel Leidensinhalte des als "entartet" geltenden Malers.

Ein bunter Hahn, der Befreiung als Symbol des gallischen Widerstands steht, der berühmten farblosen Katze, die den Hahn frisst, von 1953 gegenüber. Dazu sind der Bronzehahn der Tate Liverpool und die kleine Eulencollage aus Alltagsgegenständen tierische Zeugen von Tod und Auflehnung. Schon 1957 wandelt der Künstler das Atelierbild "Las Meninas", das Diego Velázquez 1656 gemalt hatte, in eine politische Paraphrase um. Fleischerhaken an der Decke einer Gefängnisbühne rufen zur Amnestie für gefolterte Republikaner auf, die Infantin aktualisierte er als Maria Pilar, der Schwester Juan Carlos’.

Die folgende Kubakrise hat Picasso in den antiken Mythos "Raub der Sabinerinnen" verpackt als aktualisierte Ikone der Gewalt im Kalten Krieg. Das malerische Engagement für den Freiheitskampf Algeriens wandelt Anregungen von Nicola Poussin, Jacques Louis David und Eugene Delacroix zu postmodernen Paraphrasen: "Bei mir ist ein Gemälde Summe von Vernichtungen", beschreibt er seine Methode der Dekonstruktion – immer ist diese Malerei voll Eigensinn, was ihm seitens der Sowjets die Kritik einbrachte, dekadent zu sein. Der "sozialistische Realismus" war ebenso wenig seine Sache wie das amerikanische Kunstdiktat, gegenstandslos zu malen. Im Dokumentationsraum kommen Variationen der Friedenstaube zu interessanten Keramiken, Grafiken und Gemälden, dabei auch bekannte Ateliereinblicke mit Tauben um 1955 und Sohn Claude im polnischen Kostüm.

Unbeirrbarer Individualist

Picasso blieb Individualist, trotz Politik, und ab seiner Kapellenausmalung für Vallauris zum Thema "Krieg und Frieden" 1952/58 oder seiner Paraphrasenserie zu Eduard Manets "Frühstück im Freien" 1959/62 schlägt der antike Mythos voll durch. Kentauren, Faune, Nymphen und andere Begleiter des Dionysos bevölkern sein Arkadien. Erst im letzten Lebensjahrzehnt ist ein wenig Resignation und Ironie in einem weiteren Hauptthema, Maler und Modell, zu spüren. Die Herren werden Musketiere, aber der Kampf wird zur Selbstverspottung. Als Auflehnung bleibt sein Einsatz für die pazifistische Anti-Vietnamkriegsbewegung.

Aufzählung Ausstellung

Picasso. Frieden und Freiheit
Lynda Morris, Christoph Grunenberg, Christine Ekelhart (Kuratoren)
Albertina
Bis 16. Jänner 2011

Aufzählung Zur Person: Pablo Picasso

(bbb) Pablo Ruiz Picasso, geboren in Malaga am 25. Oktober 1881. Der Vater ist Maler und Akademielehrer. 1894 überlässt er dem Sohn seine Pinsel.

1896 und 1997 nimmt Picasso Studien an den Akademien von Barcelona und Madrid auf, bricht jedoch beide ab.

1904 lässt er sich endgültig in Paris nieder. Er knüpft Kontakte zu Händlern wie Berthe Weill, Ambroise Vollard, nach 1907 auch zu Henri Kahnweiler.

Es folgen die Blaue und die Rosa Periode sowie der Kubismus. Ab 1917 entwirft Picasso Kulissen für Sergei Diaghilevs "Ballets russes". 1918 heiratet Picasso die Tänzerin Olga Koklova, 1921 wird ihr gemeinsamer Sohn Paul geboren.

Ab 1920 greift Picasso Anregungen aus der Kunstgeschichte seit der Antike auf. 1936 beginnt sein politisches Engagement für das republikanische Spanien. 1937 malt er "Guernica" für die Pariser Weltausstellung, dokumentiert von Lebensgefährtin Dora Maar.

Den Nationalsozialisten gilt Picasso als "entarteter" Künstler. Er bleibt mit Marie Therese Walther und Tochter Maja in Paris. 1944 tritt er der Kommunistischen Partei bei. Seine Kunst wird in Ost und West kritisiert.

Er nimmt an Weltfriedenskongressen teil, für die er sein Taubenlogo entwirft. Auch seine Tochter nennt er Paloma.

Er engagiert sich gegen den Kalten Krieg ebenso wie gegen den Korea-, den Algerien- und den Vietnamkrieg. Er reagiert darauf in Malerei, Skulptur und Keramik, verpackt in historische Mythen.

Ab 1954 lebt er mit Jacqueline Roque in Villen und Schlössern bei Cannes. Er malt bis am Abend vor seinem Tod am 8. April 1973.



Printausgabe vom Mittwoch, 22. September 2010
Online seit: Dienstag, 21. September 2010 18:30:00

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