Biennale II.
Weltkunst-Sensationen sind heuer ebenso ausgeblieben wie die
befürchtete herbe Enttäuschung: Die 50. Biennale in Venedig gibt
sich auf hohem Niveau abgeklärt.
Das Spielerische steht der Kunst. Die in
den venezianischen Giardini lokalisierte Biennale, die heuer bereits
zum 50. Mal stattfindet, beweist erneut Sinn für einen gewissen
Unernst. Im Pavillon der Niederlande etwa wird der Besucher gleich
zum Mitspielen aufgefordert. Unter der Devise „Work for Fun – Work
for Me“ lädt der mexikanische Künstler Carlos Amorales das Publikum
ein, Lederstücke zuzuschneiden, aus denen dann Schuhe gefertigt
werden. Ganz vorne im Pavillon hat Meschak Gaba, ein Künstler aus
Benin, eine Bar installiert, daneben bereiten sich Models auf eine
Modenschau der besonderen Art vor. Sie paradieren in fantas-tischen
orientalischen Kostümen der spanischen Künstlerin Alicia Framis, die
aus kugel- und hundebisssicherem Stoff geschneidert sind. „We Are
the World“ lautet das Motto, unter dem Holland Künstler und
Künstlerinnen aus verschiedenen Ländern eine multikulturelle Welt
beschwören lässt. Auch anderswo auf dieser Biennale setzen sich
Künstler teils unterhaltsam, teils ernst mit Gesellschaft, Politik
und ihrer Umwelt auseinander. Im US-Pavillon dokumentiert der in der
Bronx geborene Afroamerikaner Fred Wilson das „schwarze“ Venedig –
von Shakespeares Bühnenfigur Othello bis zu den heutigen
afrikanischen Handtaschenverkäufern rund um den Markusplatz. Ganz
anders der Isländer Olafur Eliasson, Gast im dänischen Pavillon, der
mit Spiegeln, Prismen und Lichtzerhackern den Besucher einer
befremdlich schönen Welt aussetzt. Über das ganze Gelände der
Giardini verteilt ist eine Installation der Italiener Sandi Hilal
und Alessandro Petti. Unter dem Titel „Staatenlose Nation“ zeigen
sie mannsgroße Reproduktionen der Pässe von Palästinensern in Gast-
oder Asylländern. Auch ein österreichischer EU-Pass ist dabei. Die
Jubiläumsbiennale kommt ohne echte Höhepunkte aus, wie sie etwa die
Performance von Marina Abramovic vor vier Jahren geboten hat, aber
sie befriedigt doch Schau- und Denklust auf achtbarem Niveau. Es ist
zu spüren, dass Nine-Eleven und der Irakkrieg in den Köpfen und
Herzen vieler Künstler Wirkung gezeigt haben.
„Echte Kunst“?
Dabei hatte es anfangs noch recht trist ausgesehen. Staatssekretär
Vittorio Sgarbi verkündete vor zwei Jahren ex cathedra, die ständige
Videokunst gehe ihm und dem Publikum auf die Nerven; für die
Jubiläumsbiennale erwarte er sich „echte Kunst“. Doch die Biennale
war nicht bereit, sich von der Berlusconi-Regierung in die
Minestrone spucken zu lassen. Ihr designierter Präsident Franco
Bernabé übertrug die Leitung des Kunstsektors flugs an den
unangreifbaren Francesco Bonami, der sich bereits in der zweiten
Reihe der internationalen Ausstellungen profiliert hatte. Als
Kurator der Biennale-Nachwuchsveranstaltung Aperto hatte er 1993
immerhin die späteren Weltstars Matthew Barney und Maurizio Cattelan
entdeckt. Und in der Folge hatte er der Biennale in Santa Fé, der
Manifesta in Ljubljana und zuletzt der Triennale von Yokohama 2001
seinen Stempel aufgedrückt.
Bonami, der als Italiener weniger
Angriffen ausgesetzt ist als sein Vorgänger, der Schweizer Harald
Szeemann, verlieh der Biennale 2003 einen wirkungsvollen Auftakt,
indem er den „Goldenen Löwen“, die höchste Auszeichnung nicht nur
der Film-, sondern auch der Kunstbiennale, an die 85-jährige Carol
Rama verlieh. Rama stellt in Installationen und Zeichnungen
Sexualität und Gewalt in einer Intensität dar, die an die
Obsessionen von Louise Bourgeois erinnert, die ja auch erst in hohem
Alter von der Kunstwelt wahrgenommen wurde. Carol Rama aus Turin, in
den siebziger Jahren mit Man Ray, Andy Warhol und Liza Minnelli
befreundet, hatte die Abgründe des Lebens in der psychiatrischen
Anstalt kennen gelernt, in die ihre Mutter nach dem Selbstmord von
Carols Vater eingeliefert worden war. Die autobiografisch getränkte
Kunst Carol Ramas war die Visitenkarte Bonamis, gemessen aber wird
seine Biennale an der Gesamtheit der Länderpräsentationen und
Sonderthemen in den Giardini und im weitläufigen Arsenal. Dabei
fällt sofort auf, dass die von der Berlusconi-Verwaltung verdammte
Videokunst starke Auftritte hat. Etwa im Schweizer Pavillon, der
erstmals von einer Frau, der als Entdeckung zu bezeichnenden
Emmanuelle Antille aus Lausanne, bespielt wird.
Böse Märchen
In Einzelsequenzen, die immer
wieder in sich zusammenfallen, beschwört sie sehr private, oft
verstörende Bilder voller Träume und Gewalt: Böse Märchenfetzen
wechseln mit realistischen Szenen. Eine Familie lebt, so die
„Handlung“ der Arbeit, ein Jahr lang am Rande des wirklichen Lebens,
im „Angels Camp“. Die Künstlerin tritt selbst auf und singt;
Fotografien ergänzen die gefilmten Bilder ebenso wie poetische Texte
und Musik. Antilles Installation ist das Beispiel einer neuen,
überzeugenden und spannenden Vereinigung von Film und bildender
Kunst. Nicht überall gelungen sind die Sonderausstellungen im
Arsenal, für die sich Bonami ein ganzes Dutzend von Co-Kuratoren
eingeladen hat. Afrikanische oder arabische Kunst, die
Wachstumsproblematik südostasiatischer Megastädte – entlang dieser
Themen wird Kunst in Korsette gezwängt, die der Besucher oft nur
schwer deuten kann. Immer wieder gibt es freilich auch dabei
Beeindruckendes zu entdecken: eine sechsteilige, vom Besucher zu
aktivierende Videoinstallation der Dänin Eva Koch etwa, die das
Leben einer Familie über Jahrzehnte und verschiedene Länder hinweg
zeigt. Oder ein Video der Iranerin Ghazel, das mit ironischen
Untertiteln das reglementierte Leben der in Schwarz gehüllten
iranischen Frauen illustriert. Eine der vergnüglichsten Arbeiten ist
ein an die Wand montierter Fiat 126. Im Jahr 2000 fuhr der britische
Künstler Simon Starling mit solch einem gebraucht gekauften Fahrzeug
von Turin, wo es produziert wurde, nach Polen, wo es in Lizenz
erzeugt worden war, um es durch Ersatzteile zu ergänzen: Zeitreise
mit einem Wagen aus den frühen Siebzigern, quer durch das geteilte
Europa, in dem aber die Produktion über den Eisernen Vorhang hinweg
funktionierte. Als Kunstwerk eine Vereinigung von Skulptur und
Konzept. Ein Fazit dieser 50. Biennale ist zweifellos die
Erkenntnis, dass die Kunst längst nicht mehr westlich dominiert ist,
dass aber die Märkte, von denen sie abhängt, nach wie vor in Europa
und den USA liegen.
Next Stop
Utopia
Der am besten gelungene, weil am
unbekümmertsten gestaltete Teil der Sonderthemen im Arsenal ist
jener mit dem Titel „Haltestelle Utopia“, in dem auch die
Österreicher Elke Krystufek, Florian Pumhösl und Franz West
vertreten sind. Bemerkenswert auch eine große Ausstellung im Museo
Correr am Markusplatz, mit der Bonami die Malerei der letzten 40
Jahre zentral würdigt. Unter den fünfzig Künstlern zwischen Robert
Rauschenberg und dem Japaner Takashi Murakami ist auch eine
Österreicherin: Maria Lassnig. Verspätung. Bruno Gironcolis
Präsentation im Österreich-Pavillon stieß im Zuge der Eröffnung auf
großes Echo, vor allem bei deutschen Medien. Ob jedoch das Konzept,
den großen österreichischen Bildhauer hier mit großer Verspätung zu
zeigen, aufgeht, ist ungewiss. Geplante Ausstellungen in Paris und
New York könnten dem Künstler tatsächlich zum längst verdienten
internationalen Durchbruch verhelfen. Dabei wäre allerdings auch
Österreichs Kunstpolitik gefordert, ohne welche die teuren
Transporte der riesigen Skulpturen nicht finanzierbar sind.
Gironcolis Werke in einem steirischen Schloss, auf der Donauplatte
oder sonstwo in Österreich zu zeigen ist löblich, wird aber wenig
Wirkung zeitigen. Hierzulande kennt man Bruno Gironcoli nämlich
bereits.