Artikel aus profil Nr. 25/2003
Ob das Berlusconi gefällt?

Biennale II. Weltkunst-Sensationen sind heuer ebenso ausgeblieben wie die befürchtete herbe Enttäuschung: Die 50. Biennale in Venedig gibt sich auf hohem Niveau abgeklärt.
Das Spielerische steht der Kunst. Die in den venezianischen Giardini lokalisierte Biennale, die heuer bereits zum 50. Mal stattfindet, beweist erneut Sinn für einen gewissen Unernst. Im Pavillon der Niederlande etwa wird der Besucher gleich zum Mitspielen aufgefordert. Unter der Devise „Work for Fun – Work for Me“ lädt der mexikanische Künstler Carlos Amorales das Publikum ein, Lederstücke zuzuschneiden, aus denen dann Schuhe gefertigt werden. Ganz vorne im Pavillon hat Meschak Gaba, ein Künstler aus Benin, eine Bar installiert, daneben bereiten sich Models auf eine Modenschau der besonderen Art vor. Sie paradieren in fantas-tischen orientalischen Kostümen der spanischen Künstlerin Alicia Framis, die aus kugel- und hundebisssicherem Stoff geschneidert sind. „We Are the World“ lautet das Motto, unter dem Holland Künstler und Künstlerinnen aus verschiedenen Ländern eine multikulturelle Welt beschwören lässt. Auch anderswo auf dieser Biennale setzen sich Künstler teils unterhaltsam, teils ernst mit Gesellschaft, Politik und ihrer Umwelt auseinander. Im US-Pavillon dokumentiert der in der Bronx geborene Afroamerikaner Fred Wilson das „schwarze“ Venedig – von Shakespeares Bühnenfigur Othello bis zu den heutigen afrikanischen Handtaschenverkäufern rund um den Markusplatz. Ganz anders der Isländer Olafur Eliasson, Gast im dänischen Pavillon, der mit Spiegeln, Prismen und Lichtzerhackern den Besucher einer befremdlich schönen Welt aussetzt. Über das ganze Gelände der Giardini verteilt ist eine Installation der Italiener Sandi Hilal und Alessandro Petti. Unter dem Titel „Staatenlose Nation“ zeigen sie mannsgroße Reproduktionen der Pässe von Palästinensern in Gast- oder Asylländern. Auch ein österreichischer EU-Pass ist dabei. Die Jubiläumsbiennale kommt ohne echte Höhepunkte aus, wie sie etwa die Performance von Marina Abramovic vor vier Jahren geboten hat, aber sie befriedigt doch Schau- und Denklust auf achtbarem Niveau. Es ist zu spüren, dass Nine-Eleven und der Irakkrieg in den Köpfen und Herzen vieler Künstler Wirkung gezeigt haben.

„Echte Kunst“? Dabei hatte es anfangs noch recht trist ausgesehen. Staatssekretär Vittorio Sgarbi verkündete vor zwei Jahren ex cathedra, die ständige Videokunst gehe ihm und dem Publikum auf die Nerven; für die Jubiläumsbiennale erwarte er sich „echte Kunst“. Doch die Biennale war nicht bereit, sich von der Berlusconi-Regierung in die Minestrone spucken zu lassen. Ihr designierter Präsident Franco Bernabé übertrug die Leitung des Kunstsektors flugs an den unangreifbaren Francesco Bonami, der sich bereits in der zweiten Reihe der internationalen Ausstellungen profiliert hatte. Als Kurator der Biennale-Nachwuchsveranstaltung Aperto hatte er 1993 immerhin die späteren Weltstars Matthew Barney und Maurizio Cattelan entdeckt. Und in der Folge hatte er der Biennale in Santa Fé, der Manifesta in Ljubljana und zuletzt der Triennale von Yokohama 2001 seinen Stempel aufgedrückt.

Bonami, der als Italiener weniger Angriffen ausgesetzt ist als sein Vorgänger, der Schweizer Harald Szeemann, verlieh der Biennale 2003 einen wirkungsvollen Auftakt, indem er den „Goldenen Löwen“, die höchste Auszeichnung nicht nur der Film-, sondern auch der Kunstbiennale, an die 85-jährige Carol Rama verlieh. Rama stellt in Installationen und Zeichnungen Sexualität und Gewalt in einer Intensität dar, die an die Obsessionen von Louise Bourgeois erinnert, die ja auch erst in hohem Alter von der Kunstwelt wahrgenommen wurde. Carol Rama aus Turin, in den siebziger Jahren mit Man Ray, Andy Warhol und Liza Minnelli befreundet, hatte die Abgründe des Lebens in der psychiatrischen Anstalt kennen gelernt, in die ihre Mutter nach dem Selbstmord von Carols Vater eingeliefert worden war. Die autobiografisch getränkte Kunst Carol Ramas war die Visitenkarte Bonamis, gemessen aber wird seine Biennale an der Gesamtheit der Länderpräsentationen und Sonderthemen in den Giardini und im weitläufigen Arsenal. Dabei fällt sofort auf, dass die von der Berlusconi-Verwaltung verdammte Videokunst starke Auftritte hat. Etwa im Schweizer Pavillon, der erstmals von einer Frau, der als Entdeckung zu bezeichnenden Emmanuelle Antille aus Lausanne, bespielt wird.

Böse Märchen

In Einzelsequenzen, die immer wieder in sich zusammenfallen, beschwört sie sehr private, oft verstörende Bilder voller Träume und Gewalt: Böse Märchenfetzen wechseln mit realistischen Szenen. Eine Familie lebt, so die „Handlung“ der Arbeit, ein Jahr lang am Rande des wirklichen Lebens, im „Angels Camp“. Die Künstlerin tritt selbst auf und singt; Fotografien ergänzen die gefilmten Bilder ebenso wie poetische Texte und Musik. Antilles Installation ist das Beispiel einer neuen, überzeugenden und spannenden Vereinigung von Film und bildender Kunst. Nicht überall gelungen sind die Sonderausstellungen im Arsenal, für die sich Bonami ein ganzes Dutzend von Co-Kuratoren eingeladen hat. Afrikanische oder arabische Kunst, die Wachstumsproblematik südostasiatischer Megastädte – entlang dieser Themen wird Kunst in Korsette gezwängt, die der Besucher oft nur schwer deuten kann. Immer wieder gibt es freilich auch dabei Beeindruckendes zu entdecken: eine sechsteilige, vom Besucher zu aktivierende Videoinstallation der Dänin Eva Koch etwa, die das Leben einer Familie über Jahrzehnte und verschiedene Länder hinweg zeigt. Oder ein Video der Iranerin Ghazel, das mit ironischen Untertiteln das reglementierte Leben der in Schwarz gehüllten iranischen Frauen illustriert. Eine der vergnüglichsten Arbeiten ist ein an die Wand montierter Fiat 126. Im Jahr 2000 fuhr der britische Künstler Simon Starling mit solch einem gebraucht gekauften Fahrzeug von Turin, wo es produziert wurde, nach Polen, wo es in Lizenz erzeugt worden war, um es durch Ersatzteile zu ergänzen: Zeitreise mit einem Wagen aus den frühen Siebzigern, quer durch das geteilte Europa, in dem aber die Produktion über den Eisernen Vorhang hinweg funktionierte. Als Kunstwerk eine Vereinigung von Skulptur und Konzept. Ein Fazit dieser 50. Biennale ist zweifellos die Erkenntnis, dass die Kunst längst nicht mehr westlich dominiert ist, dass aber die Märkte, von denen sie abhängt, nach wie vor in Europa und den USA liegen.

Next Stop Utopia

Der am besten gelungene, weil am unbekümmertsten gestaltete Teil der Sonderthemen im Arsenal ist jener mit dem Titel „Haltestelle Utopia“, in dem auch die Österreicher Elke Krystufek, Florian Pumhösl und Franz West vertreten sind. Bemerkenswert auch eine große Ausstellung im Museo Correr am Markusplatz, mit der Bonami die Malerei der letzten 40 Jahre zentral würdigt. Unter den fünfzig Künstlern zwischen Robert Rauschenberg und dem Japaner Takashi Murakami ist auch eine Österreicherin: Maria Lassnig. Verspätung. Bruno Gironcolis Präsentation im Österreich-Pavillon stieß im Zuge der Eröffnung auf großes Echo, vor allem bei deutschen Medien. Ob jedoch das Konzept, den großen österreichischen Bildhauer hier mit großer Verspätung zu zeigen, aufgeht, ist ungewiss. Geplante Ausstellungen in Paris und New York könnten dem Künstler tatsächlich zum längst verdienten internationalen Durchbruch verhelfen. Dabei wäre allerdings auch Österreichs Kunstpolitik gefordert, ohne welche die teuren Transporte der riesigen Skulpturen nicht finanzierbar sind. Gironcolis Werke in einem steirischen Schloss, auf der Donauplatte oder sonstwo in Österreich zu zeigen ist löblich, wird aber wenig Wirkung zeitigen. Hierzulande kennt man Bruno Gironcoli nämlich bereits.

Autor: Horst Christoph, Foto: APA


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