Salzburger Nachrichten am 14. Juli 2006 - Bereich: Kultur
Die Kraft der Festspielidee

Die Geschichte der Salzburger Festspiele ist Gegenstand eines dreistündigen Films von Tony Palmer. Für Diskussionsstoff ist gesorgt.

KARL HARB Interview Im Jänner 2005 regte Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler den britischen Autor und Filmemacher Tony Palmer an, einen Dokumentarfilm zur Geschichte der Salzburger Festspiele zu gestalten. Auch Landeshauptfrau Gabi Burgstaller fand die Idee ausgezeichnet. Die Eröffnung des neuen Kleinen Festspielhauses sollte den zeitlichen Rahmen bestimmen. Donald Kahn und die amerikanischen Freunde der Salzburger Festspiele waren die großzügigen Geldgeber. Tony Palmer hat den Film fertig gestellt. Er dauert drei Stunden und wird am 25. und 27. Juli erstmals in Salzburg gezeigt. Die Festspiele gehen in der Zwischenzeit überraschend auf Distanz. Tony Palmer im SN-Gespräch. Welche Fragestellungen haben Sie besonders interessiert? Palmer: Zunächst finde ich die Gründungsgeschichte spannend. Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt waren jüdische Künstler, die nach dem Ende der Habsburger-Monarchie gerade Salzburg ausgewählt haben, um mit Festspielen einem kleinen Staat kulturell die Chance zu geben, eine Identität zu finden. Dasselbe passierte dann 1945. Nach dem verlorenen Krieg war es das politische Anliegen der Amerikaner, die Festspiele wieder zu ermöglichen - das ist eine interessante geschichtliche Koinzidenz.

Seit den Griechen gab es keine derartige Vision von Festspielen mehr Dann realisierte ich, wie wichtig Herbert von Karajan war. Ein Mann, der in anderen Teilen der Welt ein politischer Paria war, weil er sogar doppeltes Mitglied der NSDAP war, konnte in dieser Stadt seine Glaubwürdigkeit als Mensch (nicht als Künstler, als der stand er außer Streit) wiedererlangen.

Ein anderer Heros der Festspiele, Wilhelm Furtwängler, hat auch während des Dritten Reichs eine zentrale Rolle gespielt. Als ich Furtwänglers Witwe kontaktierte, erzählte sie mir eine erstaunliche Geschichte: Furtwängler wollte 1938 das Land verlassen. Er erfuhr aber, dass Goebbels die Absicht hatte, die Wiener Philharmoniker zum Wehrdienst einzuziehen. Die Philharmoniker bestätigten dies auch. Furtwängler sagte, wenn dies passiere, gehe er. Daraufhin konnten die Philharmoniker weiter musizieren.

Ein weiterer zentraler Punkt betrifft die Idee der Festspiele. Als Hofmannsthal, Reinhardt und Friedrich Gehmacher, der (mit Heinrich Damisch, Anm.) die Festspielhausgemeinde gründete, das Festspiel planten, war dies ein einzigartiges Projekt. Seit den Griechen gab es das nicht mehr: eine unvergleichliche Vision. Und wieder eine Verbindung zu später, zur Gegenwart: Nach Karajan war es Gérard Mortier, der den Festspielen eine neue Idee gab und sagte, man müsse sie in Verbindung zur Zeit bringen, in der man lebe. Das ist genau das, was auch Hofmannsthal wollte. Es ging nur in der Karajan-Ära verloren. Das ist keine Kritik, das ist Fakt.

Es kann kein Grund sein, Festspiele zu machen, um Millionen Mozartkugeln zu verkaufen. Festspiele sind keine Geldmaschine. Ein Festival muss mehr sein, als dass Künstler nur kommen, sich produzieren und wieder verschwinden. "Jedermann" ist zu Recht die große Konstante dieser Festspiele: das Spiel vom Leben und Sterben. So spielen die Salzburger Festspiele eine zentrale Rolle in der Entwicklung der europäischen Kultur des 20. Jahrhunderts.

Wie reagierten die Salzburger Festspiele auf dieses Konzept? Palmer: Ich möchte Ihnen eine faire Antwort geben. Wie ich höre, soll der Festspielshop angehalten sein, den Film nicht anzubieten. Die Festspiele weigerten sich auch, ihn offiziell vorzuführen. So haben wir eigene Vorführungen organisiert. Die Präsidentin bekam eine Kopie, ehe der Film veröffentlicht wurde, um zu sagen, was sie meint. Ihre Reaktion: Schweigen. Das finde ich schon eigenartig.

Ist der Film zu kritisch? Palmer: Ich kann über meine Filme nicht sprechen. Ich habe nur Reaktionen von vielen Künstlern, von Domingo, Rattle, Levine und vielen anderen. Wir haben mit vielen Künstlern, auch mit den Festspielverantwortlichen, von Helga Rabl-Stadler und Gérard Mortier bis zu Peter Ruzicka und Jürgen Flimm, stundenlange Gespräche geführt. Sie sind alle im Transkript erfasst.

Diese Geschichte liefert kein heiles, Kommerz förderndes Salzburg-Bild Im Film kommen natürlich nur Ausschnitte. Ich kann nicht sehen, dass dieser Film kritisch zu Salzburg wäre. Ich fand gewiss kein einfaches Konzept. Ich wollte die Geschichte der Festspiele aber so wahrheitsgemäß erzählen, wie ich es konnte. Was der Film nicht ist: Ein Kommerz förderndes, heiles Salzburg-Bild. Ich wollte etwas über die Idee der Festspiele aussagen.

Was könnte da unangenehm sein? Palmer: Bundespräsident Fischer sagte zur Eröffnung des Mozartjahrs in Salzburg, man feiere den 250. Geburtstag Mozarts, aber es ist auch das Jahr, in dem zum 60. Mal der Befreiung von Auschwitz zu gedenken sei. Wir hätten das schrecklichste Jahrhundert in der Geschichte der Menschheit erlebt. Aber das Schöne und das Hässliche: beides gehört zu dieser Geschichte. Die Künste müssten dies auch reflektieren. Deswegen hat der Bundespräsident auch das Schlusswort im Film. Es war sehr klar artikuliert.

Kunst ist nicht Dekor, sie ist nicht in erster Linie zu Amüsement und Unterhaltung gedacht. Das ist nur ein Teil von ihr. Die Salzburger Festspiele haben als bemerkenswerteste Institution ihrer Art mehr als acht Jahrzehnte überlebt, weil die zentralen Ideen von Beginn an klares Leitbild waren. Bewahren wir das, damit wir es nicht verlieren.