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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
22.12.2003
19:47 MEZ
Von Doris Krumpl

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lentos

 
Foto: Lentos
Victor Vasarely: Taimyr, 1958
Scottish National Gallery of Modern Art

Foto: Katalog
Lyrische Abstraktion der "Ecole de Paris", vertreten u. a. auf der Documenta 2: Maurice Est`eves Collage "Jongleur sur fond jaune" ("Jongleur auf gelbem Grund"), 1965.

Zeitloses für eine Welt ohne Zentrum
Ein berühmtes Kapitel der Kunstgeschichte wird vom Lentos kritisch hinterfragt: Die Ecole de Paris

"Paris 1945 bis 1965 - Metropole der Kunst" gibt anhand von 250 Werken in Malerei, Skulptur, Grafik und Fotografie Überblick über ein einst berühmtes, heute vom scheidenden Direktor Peter Baum für das Lentos Museum einer kritischen Revision unterzogenes Kapitel Kunstgeschichte: die Ecole de Paris.


Linz - 1959 waren sie am Zenit ihres Schaffens und ihres Ruhms. In diesem Jahr importierte auch das Wiener Künstlerhaus und die Neue Galerie der Stadt Linz die avantgardistischen Künstler der "Ecole de Paris" und beeinflussten die heimische Kunst. Sie musste ja nicht immer so weit gehen, etwa die aggressiv-gestischen, tachistischen Malperformances eines Georges Mathieu, gesehen in einer fast einstündigen Live-Aktion im Theater am Fleischmarkt, stilistisch zu wiederholen wie Markus Prachensky. Vergleichbare Bilder der beiden Maler hängen, getrennt durch eine Frohner-Arbeit, flankiert von einem frühen Informel-Bild Hans Staudachers, im größten Saal des Linzer Lentos Museums.

In der ersten Großausstellung des überaus geglückten Bauwerks hat der scheidende Direktor Peter Baum die Stars seiner Jugend 50 Jahre nach dem internationalen Hype wieder einer Revision unterworfen. Nach dem Overkill an (klassischer) Moderne allseits eine angenehme Abwechslung. Paris 1945 bis 1965 - Metropole der Kunst. Malerei, Plastik, Grafik, Fotografie fasst die unterschiedlichsten Strömungen zusammen, die unter dem Schlagwort "Ecole de Paris" liefen - abstrakte Anti-Schönmalerei und herbe Mixturmalerei einer "art autre". Einen "unglaublichen Stilpluralismus" beobachtete Baum, mehr als die Hälfte der hier vertretenen 57 Künstler stammten nicht aus Frankreich. Insgesamt lebten damals rund 125.000 Künstler in Paris.

Vor 20 Jahren landete all diese Kunst im Depot, sagt Baum und packt sie wieder aus. Rund die Hälfte der Namen kenne man nicht mehr. Dazu gehören die damaligen absoluten Modemaler Alfred Manessier, welcher zahlreiche Kirchen mit seinen semiabstrakten Entwürfen auskleidete. Nicolas de Stael, damals quasi Künstler schlechthin, hat sich seinen Namen noch bewahrt, ebenso der Außenseiter Gaston Chaissac.

Manche Werke scheinen keine Jahreszahl zu haben, wie etwa Jean Foutriers dick in Öl und Pigment aufgetragene Paysage Orange (1957), manche Cobra-Artisten stellen die so genannte Neue Malerei der frühen Achziger in den Schatten, manche Popbilder Auguste Herbins sind verwandt mit jenen Gerwald Rockenschaubs.

Das, was früher total schockierte, mutet heute eher normal an, etwa die freie Malerei eines Riopelle, Saura oder Tàpies. Existenzieller wie radikaler fallen die Arbeiten Alberto Giacomettis aus, der einen eigenen Ausstellungsraum belegt, wobei Germaine Richiers surrealistisch inspirierter dreidimensionaler Krallenmensch, eine Mumok-Leihgabe, ihm fast die Show stielt. Destruktion und Verzweiflung wird in Wols abstrakten Bildern offenbar, eines früh verstorbenen und allseits geschätzten Berliners, der trotz seines antinationalistischen Engagements jahrelang in Frankreich interniert gewesen war.

Tendenzen

Baum hat die Schau nicht wirklich chronologisch angelegt, sondern nach Tendenzen - meditativ, expressiv, Geo-und Informel. Pop und Op Art. Eigene Räume nehmen neben Giacometti auch die alte Generation der Pariser Künstler, der damals noch lebenden Vertreter der klassischen Moderne sowie der Avantgarde dieser Jahre ein, mit Picasso, Chagall, Miró, einem Spitzenbild Legers aus der schottischen Nationalgalerie. Einblicke in Künstlerateliers, manchmal 19.-Jahrhundert-Interieurs ähnelnd, sowie in die Mode bieten Fotostrecken von Willy Maywald und Fritz Hubmann. Ein weiterer Bereich widmet sich den damals heftig gesammelten, in Kleinauflagen erschienenen Ausstellungsplakaten, dabei eine der wenigen Matisse-Arbeiten dieser Schau.

Damals Paris, heute New York? Peter Baum verneint. Auf einem so globalen Kunstplatz und Kunstmarkt wie heute sei keine Stadt der Welt maßgeblich und allein das Zentrum. Gut wie schlecht. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.12.2003)


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