26.09.2002 17:00
Mitten ins Herz
"Handarbeit" und
voller Körpereinsatz: Grafikdesign von Stefan Sagmeister im Wiener MAK
Stefan Sagmeister ist berühmt. Er hält nichts vom Hang
seines Berufsstandes zur Anonymität. Lieber ist ihm voller
Körpereinsatz.
Amerikaner sind ja Leute, die mit der Badehose in die Sauna gehen. Nackt
ist man nur in San Fernado Valley. Dort aber zum einzig legitimen, zum
kommerziellen Zweck: Dort werden Pornos produziert. Stefan Sagmeister ist
Vorarlberger. Er hat in Wien studiert. Er ist Grafiker. Er führt ein
Design-Studio in New York. Immer wieder taucht er nackt auf seinen Plakaten auf.
In Amerika erregt das Aufsehen. Immer noch, und immer wieder. Auch
Selbstverstümmelung - es sei denn zur Optimierung von boobs and bottoms - ist
gänzlich unamerikanisch. Während der Wiener Aktionismus in den Alpen schon zum
Volksgut gerechnet wird, ist Chris Burdens kunstvoller 1971er Schuss in den
eigenen Oberarm in der Heimat der schwer bewaffneten Unerschrockenen immer noch
angstbesetzt.
Stefan Sagmeister eröffnete sein New Yorker Studio in
nichts denn Socken: Auf der Einladungskarte gab es Sagmeister mit zwei
verschiedenen Gemächtgrößen zur Auswahl. Zum Buch "Whereishere" ließ er sich den
Titel in den sommersprossigen Rücken ritzen und steuerte ein Close-up seiner
Hoden bei. Das Plakat zum Sagmeister-Vortrag am American Institute of Graphic
Arts an der Cranbrook Academy of Art verkündet seine Thesen typographisch sehr
frei ins bloße Fleisch geritzt. Hauptthese: "Style = Fart". Das Manifest
existiert auch als Furzkissen.
Und noch etwas macht Stefan Sagmeister
wideramerikanisch: Die Sagmeister Inc., die CD-Covers für die Rolling Stones,
für Lou Reed, David Byrne und Aerosmith liefert, besteht aus zweieinhalb Leuten:
ihm selbst, einem Grafiker und einem Praktikanten. Und: Die Firma verordnete
sich, als das Geschäft gerade am Höhepunkt war, ein Jahr lang Pause, akzeptierte
keine Kunden. Stefan Sagmeister hat in dieser Zeit Übungen gemacht. Zum Beispiel
über Monate hinweg täglich ein CD-Cover zur Musik seiner Wahl entworfen.
Aufgabenstellung: darf höchsten drei Stunden dauern. Sein Grafiker machte sich
derweilen selbständig. Und Stefan Sagmeister widmet mehr und mehr Zeit "der
guten Sache".
Etwa der Kampagne "Move your Money". Getragen von etwa 500
Leuten (darunter Ted Turner von CNN, Vertreter einiger Kirchen und sogar
Ex-Militärs) versucht das Projekt, die amerikanische Regierung dazu zu bewegen,
Geld für Militärausgaben für soziale Projekte umzuleiten. Sagmeister entwarf
dafür visitkartengroße Rechenschieber: ein "Dreh", und schon werden aus den 17
Milliarden Dollar für 10.000 Nuklearwaffen 425.000 Lehrer.
Er ist jetzt
40, populär wie kaum je ein Grafiker, das MAK richtet ihm eine Retrospektive
aus, eine Freundin hat er auch schon. Was will er noch? Mit einem LKW durch
Sibirien fahren. Nach Sri Lanka ziehen. Und: "Touch somebody's heart with
Graphic Design." (DER STANDARD, Printausgabe, 27.9.2002)