31. Juli 2009 - 00:04 Uhr · Von Peter Grubmüller · Für Oberösterreich

„Die zwei oberösterreichischen Blaus“

Christian Ludwig Attersee ist international gefragter Künstler, Bühnenbildner, Musiker, Schriftsteller, Designer und Filmemacher mit oberösterreichischen Wurzeln. Im OÖN-Interview rund um die Initiative „Für Oberösterreich“ spricht er über seine Jugend in Oberösterreich und die Linzer Gegenwart.

OÖN: Wie spricht man Sie eigentlich an, Herr Attersee, Herr Ludwig?

Attersee: Sagen’S Attersee, das sagen alle seit Jahrzehnten, 1966 hab’ ich den Namen angenommen.

OÖN: Bei Wahlwerbeplakaten wird darauf geachtet, dass der Name des Kandidaten gut zu lesen und er selbst hübsch fotografiert ist. Sofern die Botschaft nicht aggressiv ist, geht sie oft unter. Sind Plakate noch ein zeitgemäßes Medium im Wahlkampf?

Attersee: Es gibt zwar sehr viele Plakate entlang der Straßen, aber Wahlplakate bleiben dominant in ihrer Einseitigkeit. Der Kandidat ist besonders groß dargestellt, ohne Zusatz, nur ein Slogan und sein Name in leserlicher, unmodischer Schrift. Der Slogan soll im besseren Fall seine Parteilinie vertreten oder einen Teil davon. Ohne Plakate wäre eine Wahl trotzdem nicht zu machen. Die Österreicher sind das gewohnt und sie werden davon beeinflusst. Man sieht, wie oft Plakate übermalt werden. Das heißt, die Bevölkerung reagiert darauf. Es tauchen immer wieder Schmierereien und Hitlerbärtchen auf, die Klischees der Bevölkerung bleiben also auch gleich. Oder wenn sich ein Wort eignet, um mit einem Buchstaben eine andere Information daraus zu gestalten, dann wird das auch gleich erledigt. Plakatnachrichten sind direkte Information: Ein Kopf, ein Satz, dafür bleiben die Leute aufmerksam.

OÖN: Wie würde ein von Ihnen gestaltetes Wahlwerbeplakat aussehen?

Attersee: Daran hab’ ich noch nie gedacht (lacht), es hat mich auch noch nie jemand gefragt. Das Seltsame an dieser Information ist ja auch, dass alle vier, fünf Jahre, fünf, sechs Gesichter von Frauen und Männern auftauchen, die die Welt übernehmen wollen. Sie wollen unsere Steuergelder, die wir bis zu 50 Prozent dem Staat geben, in irgendeiner Weise für das Land und die Lebensqualität der Menschen ausgeben – so heißt es. Man glaubt es ihnen eh nicht, aber man nimmt es wahr. Die Nachricht ist auch zu kurz und zu banal, um ihr Gewicht zu überprüfen.

OÖN: Sie kamen 1944 von Pressburg nach Oberösterreich. Haben Sie sich jemals gefragt, ,warum mussten mich meine Eltern ausgerechnet hierher verpflanzen?’

Attersee: Tatsächlich war alles Zufall. Zuerst war ich in Landshaag bei Bauern untergebracht, das war so etwas wie die erste Fluchtstation. Als die Russen gekommen sind, bin ich in Aschach in die Volksschule und ein paar Jahre in Linz in die Mittelschule gegangen. Schon mit 14 hab’ ich nachmittags die Kunsthochschule in Linz besucht, weil ich so etwas wie ein spätes Wunderkind war. Mit 16 bin ich an die Akademie für angewandte Kunst gekommen, um Bühnenbild zu studieren. Mein Vater war in Linz als Architekt wieder sehr erfolgreich geworden. Er wollte, dass ich zumindest in der Nähe seines Berufes bleibe.

OÖN: Wenn Sie jetzt – wie ab 30. August – in Traunkirchen einen Malerei-Kurs leiten, stellen Sie dann fest, dass sich Ihr Gefühl, in Oberösterreich zu sein, verändert hat?

Attersee: Ich bin ein Mitteleuropäer, Oberösterreich ist die Zeit meiner Jugend und deshalb auch für immer meine Heimat, zumindest die zweite. Ich liebe dieses Land, ich liebe den Attersee, deshalb habe ich mich auch so genannt. Nächstes Jahr werde ich 70 und hab’ dieses Ereignis – wenn Sie so wollen – in Österreich gelassen und keine ausländischen Angebote angenommen. Es wird auch vier oder fünf Ausstellungen in Oberösterreich geben. Dieser Kurs in Traunkirchen ist so etwas wie ein Liebesdienst am eigenen Land, er ist ja nicht besonders gut bezahlt.

OÖN: Wie beeinflussen die in Ihrer oberösterreichischen Jugend gewonnenen Eindrücke Ihre Kunst?

Attersee: Es sind die zwei großen Blaus, die zwei oberösterreichischen Blaus, das Blau des Attersees und das Blau des Himmels – damit bin ich aufgewachsen. Man darf diese Blaus nicht politisch sehen, sondern erotisch lebend und liebend. In meiner Malerei tauchen sie immer wieder auf.

OÖN: Warum sind Sie so bald aus Oberösterreich geflüchtet?

Attersee: Ich hab’ versucht zu überleben und musste aus der Mittelschule ausbrechen. Ein Mensch, dessen Talente genau zwischen den Möglichkeiten eines Unterrichtsplanes liegen, der muss sehr bald ein zweites Leben anfangen. Das ist kein oberösterreichisches Phänomen, sondern heute überall noch genauso. Ich bin mit Blockflöte in Linzer Kirchen aufgetreten, hab’ Klavier oder Okarina gespielt und mit zwölf Romane geschrieben und Opern komponiert. Da muss man raus und sein Leben in der Kunst suchen, ich hab’ ein sehr schönes gefunden.

OÖN: Sie reisen ständig, aber wo machen Sie Urlaub?

Attersee: Ich mache keinen Urlaub, ich reise von Atelier zu Atelier. Ich bin ein Mensch, der sich in dieser Vielfalt der Kunst wohlfühlt. Ich will auch nicht weg, weil Österreich schon in den 60er Jahren das wichtigste europäische Land für bildende Kunst war – und es ist auch heute noch sehr wichtig. Für mich ist Österreich das beste Land, in dem man leben kann. Und glauben Sie mir, ich kenne viele Länder. Ich liebe auch Frankreich, man hat mir im vergangenen Jahr in Paris eine Wohnung angeboten, aber ich hatte bis heute keine Zeit, sie mir anzuschauen.

OÖN: Könnte Sie eine politische Veränderung in Österreich dazu bringen, das Land zu verlassen?

Attersee: Nein, in meinem Alter flieht man nicht mehr. Mein ganzes Leben bin ich für die Freiheit in der Sexualität, gegen Rassismus und Faschismus aufgetreten. Ich würde auch im Ernstfall hier bleiben und mit künstlerischen Mitteln kämpfen.

OÖN: Spüren Sie eine Sehnsucht nach Heimat?

Attersee: Ich hab’ Oberösterreich immer in Reserve, am Attersee hab ich eine kleine Wohnung. Dieser Sommer ist leider sehr verplant, deshalb werd’ ich kaum dort sein. Oberösterreich ist ein Stück Familiengeschichte, keine Landschaftserinnerung. Wenn ich auf der Autobahn bin und den Traunstein sehe, dann geht mir aber auch wegen der Landschaft das Herz auf. Weil ich dann weiß, dass ich wieder in der Nähe des schönsten Seengebiets Österreichs bin. Vor zwei Jahren hab’ ich mit meinem Bruder zusammen ein Schiff gekauft, um auch wieder mehr an diese Heimat, das oberösterreichische Wasser, heranzurücken. Ich bin ja neben der Donau groß geworden und hab’ in so einem kleinen, schwimmenden Holzhäuschen gewohnt, das mir mein Vater gebaut hat.

OÖN: Wie bewerten Sie den bisherigen Auftritt von Linz09?

Attersee: Das Linz09-Programm funktioniert vielleicht für die Linzer. Aber war nicht die Idee, Linz zwischen Salzburg und Wien als etwas Eigenständiges, Selbstwertiges und international als eine an Kultur grenzende Stadt zu installieren? Das gelingt in keiner Weise. Vielleicht kommt es noch, wir sind erst in der Halbzeit, aber ich zweifle daran. Es reißt niemand an, es ist nicht gelungen, ein internationales Publikum zu gewinnen. Die Ars Electronica ist etwas Wunderbares, aber die kann man nicht Linz09 zuschreiben, die gibt es schon lange. Man hätte ein zweites Konzept gebraucht, das Linz in der Außenwahrnehmung interessant macht, das internationale Spitzenleute der Kunst mit Linz verknüpft. Ich wünsch’ mir, dass ich mich mit dieser Einschätzung irre, aber ich fürchte nicht. Vielleicht hat sich das Linz-Bild verbessert, es wurde ja viel gebaut, aber es sind zu viele Daten und Programmeinheiten. Fünf, sechs tatsächliche Höhepunkte wären besser gewesen. Linz ist mit Linz09 und so viel Geld nicht zu jener international Aufsehen erregenden Stadt geworden, wie man sich erwartet hat.

Quelle: OÖNachrichten Zeitung
Artikel: http://www.nachrichten.at/nachrichten/politik/landespolitik/fueroberoesterreich/art33017,232032
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