DiePresse.com

DiePresse.com | Kultur | Kunst | Artikel DruckenArtikel drucken


Galerien in Wien: Flüchtlinge im Nadelstreif

15.10.2008 | 19:26 |  (Die Presse)

Zum zweiten Mal stellt die Wiener Start-Galerie „Bäckerstraße 4“ eine jurierte Auswahl Studierender von österreichischen Kunstunis vor.

Erst Kunststudent, dann Rising Star, erst Start-Galerie mit anfänglichen Unsicherheiten, dann schon sicherer Hafen mit Herz für den Nachwuchs. Wie Perspektiven sich ändern können, zeigt die Grazer Künstlerin Heidrun Kocher-Kocher recht eindringlich am Präparat eines (unverkäuflichen) Plattfischs, dessen Auge sich gerade in Wanderschaft befand – von der einen Seite des flachen Körpers auf den künftigen Rücken. Noch von der ersten Expertenrunde der seit April arbeitenden Start-Galerie „Bäckerstraße 4“ aus weit über 100 Studierenden österreichischer Kunstunis ausgesucht, u.a. von Ex-Kunsthaus-Bregenz-Chef und Neo-Oligarchen-Kunsteinkäufer Eckhard Schneider, zeigt Kocher-Kocher jetzt in dieser zweiten jurierten Gruppenausstellung schon die Weiterentwicklung ihrer Arbeit: Nicht mehr die Drahtgerüste, die sehr an Fritz Panzer erinnerten, sondern Fotogramme, die diese 3-D-Raumzeichnungen wieder zurück ins Zweidimensionale übersetzen, in Lichtzeichnungen (ab 1000 €).

Ebenfalls aus der ersten Juryrunde: die mittlerweile zweifach ausgezeichnete Katharina Gruzei (Körner-Preis, Ö1-Talentestipendium). In ihrer Foto-Audio-Installation geht sie den individuellen Auswirkungen der von Öl- und Reifenwirtschaft geförderten Autoabhängigkeit in Los Angeles nach. Auf Autosesseln kann den Geschichten von sechs L.-A.-Inhabitants gelauscht werden, etwa einer Hundefriseuse, die einen mobilen Salon betreibt, oder eines Fotografen, der sich mit dem Rad auf überfüllte Highways wagte. Er wurde fast zum Krüppel gefahren, verlor auch den gegen ihn angestrengten Prozess. Auto? Muss er sich in L. A. natürlich trotzdem leisten, von wegen Janis Joplin, Freedom und Mercedes Benz, oh Lord!

 

In nächtlich trüben Wässern

Diesen anzurufen, haben die von Borjana Ventzislavova ins Foto (2400 €) gesetzten Flüchtlinge wohl schon hinter sich, vergeblich. In nächtlich trüben Wässern stehend, halten sie Müllsäcke, wahrscheinlich mit ihren Habseligkeiten in der Hand, Männer in Businessanzügen, die Künstlerin selbst als Schwangere im hübschen roten Kleid. Jeden kann das Schicksal treffen, scheinen die aus der Bahn geworfenen Normalos etwas plakativ demonstrieren zu wollen. Oder auch: Heimatlos bedeutet heute nicht mehr unbedingt „Flüchtling“ und „arm“, sondern auch „Spitzenmanager“ und „Jobrotation“. sp

Bis 31.10.; Di–Fr, 11–19h, Sa, 11–17h.


© DiePresse.com