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Kunstberichte
Das Kunst Haus Wien präsentiert einen Weltstar: "Annie Leibovitz – A Photographer’s Life 1990-2005"

Das Plündern der eigenen Archive

Tänzerisch: Mikhail Baryshnikov and Rob Besserer. Foto: Annie Leibovitz

Tänzerisch: Mikhail Baryshnikov and Rob Besserer. Foto: Annie Leibovitz

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Auch an die zweite Welttournee der Fotografien von Annie Leibovitz aus den Jahren 1990-2005 schließt sich nun das Kunst Haus Wien an: Die Verbindung zum Weltstar hat seit der ersten Schau 1993 angehalten.

Nach Stationen in Paris, London und Berlin sorgt die vom Brooklyn Museum in New York gestaltete biografische Ausstellung "A Photographer’s Life" für großes Aufsehen. Denn die 1949 in Connecticut geborene Künstlerin ist nicht nur durch ihren Beinahe-Konkurs in diesem Jahr in aller Munde.

Leibovitz hält sich an die Definition der Kamera als "Expertin in Grausamkeit", die ihre 2004 verstorbene Lebensgefährtin Susan Sontag geprägt hat, und mischt allzu Privates mit den vielen Fotoikonen, die sie für die Magazine "Vogue" oder "Vanity Fair" als Auftragsarbeiten macht.

Der Tod der literarischen Lebensgefährtin und ihres Vaters sowie die Geburt ihrer Kinder durch eine Leihmutter sind nur in kleineren Formaten dokumentiert – das allerdings gnadenlos, frei nach Sontags Beschreibung: "Der Fotograf plündert und bewahrt, verurteilt und verklärt."

Debatten im prüden Amerika

Leibovitz wollte eigentlich Malerin werden, doch die Fotografie erschien ihr dann in den 60er Jahren als zeitgemäßes Medium der rastlosen Überflussgesellschaft. Klassische Vorbilder wie Henri Cartier-Bresson, Robert Frank und Richard Avedon wirken in ihre einfallsreichen Inszenierungen und formal einwandfreien Kompositionen mit ein. Interessant ist die bewusste Hinzufügung von Filmstreifen als eine Art "Guckkastenrand" bei den großen Aufnahmen von Philip Johnson, Tänzer Mikhail Baryshnikov und immer wieder bei Bildern von Sontag auf gemeinsamen Reisen. Leonardo DiCaprio kommt mit einem Schwan um den Hals als moderner Lohengrin ins Bild, Demi Moore als bekannter hochschwangerer Akt – das Foto hat Debatten ausgelöst im prüden Amerika.

Leibovitz, Jüdin und bekennende Lesbe mit drei Kindern, ist zwar künstlerisch umstritten, wurde aber durch das Renommee Sontags, die als moralisches Gewissen der USA galt, gestützt. Leibovitz’ fehlendem Wirtschaftsgeschick steht ein hoher künstlerischer Anspruch gegenüber, der es bis jetzt verhindert hat, dass ihre Fotos in Millionenauflagen erscheinen. Politikern versucht sie, mehr Identität zu verpassen als sie nach ihrem Gefühl haben – das gelingt ihr bei den Clintons vermutlich durch Sympathie.

Selten sind bei ihr Landschaften oder Fotos wie das "Fallen bicycle of teenage boy just killed by a sniper" aus Sarajevo 1994. Der Schwarzweiß-Mythos des analogen Fotos hält Leibovitz gefangen, selbst wenn es rezente, teils digitale Farbaufnahmen von Brad Pitt oder Nicole Kidman gibt.

Aufzählung Ausstellung

Annie Leibovitz – A Photographer’s Life 1990-2005
Charlotta Kotik (Kuratorin)
Kunst Haus Wien
http://www.kunsthauswien.com
bis 31. Jänner 2010

Printausgabe vom Freitag, 30. Oktober 2009

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