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Ausstellung Hamburg: Die Null der Formen

05.04.2007 | 18:29 | THOMAS VIEREGGE (Die Presse)

Und niemand fühlt sich verletzt: Schneiders schwarzer Kubus durfte endlich landen, in Hamburg, zwischen alter und neuer Kunsthalle.
Eine Hommage an Malewitschs "Schwarzes Quadrat".

Auf dem Markusplatz in Venedig hätte der schwarze Kubus stehen sollen – und vor dem Hamburger Bahnhof in Berlin. Doch beide Städte fürchteten, den Islamisten einen Stein des Anstoßes zu geben, und machten Rückzieher. So landete Gregor Schneiders Skulptur, die an die Kaaba in Mekka, das höchste islamische Heiligtum, erinnert, in Hamburg.

Dass am Vorplatz jetzt Kids spielen und Touristen picknicken, dass Kopftuchträgerinnen vorbeiwandeln und Moslems den Stein berühren, zeugt davon, dass Berührungsängste fehl am Platze waren. Nach Mekka ausgerichtet, thront der 13 Meter hohe, mit schwarzem Samt überzogene Steinblock vor der Kunsthalle und weist den Weg zur Kasimir-Malewitsch-Hommage, der Schau des russischen Kunst-Revoluzzers.

1915, noch vor Ausbruch der tatsächlichen Revolution, rief er mit seinem „schwarzen Quadrat auf weißem Grund“ die Revolution in der Kunst aus – und schuf eine Ikone. Er hat, wie er es formulierte, die Malerei auf den Nullpunkt reduziert, auf „minus eins“: „Ich habe mich in die Null der Formen verwandelt und mich aus dem stinkenden Morast der akademischen Kunst herausgefischt.“

Alles bisher Dagewesene sei für das Krematorium bestimmt, dekretierte er. Prämisse war es, „ein Bild zu malen, ohne Gegenstände wiederzugeben“. Die Formensprache des Futurismus hat Malewitsch schon in seinen Bühnenbildskizzen für die Oper „Sieg über die Sonne“ hinter sich gelassen. Das neue Genre bezeichnete er als „Suprematismus“, als Gipfelpunkt der Abstraktion.

Wie ein Sektenguru scharte er in der russischen Provinz seine Jünger um sich. Als Erkennungszeichen trugen sie am Ärmel das schwarze Quadrat. Schwarz steht für Ökonomie, weiß für reine Aktion, rot für Revolution. Hubertus Gaßner, Chef der Hamburger Kunsthalle, zeichnet in der Schau die Entstehungsphase nach: mit einem Exemplar der Schwarzen-Quadrat-Serie, einem „schwarzen Kreis“, „schwarzen Kreuz“ und „roten Quadrat“.

Teilweise notgedrungen, weil ihm viele Originale verwehrt blieben, interessiert er sich aber mehr noch für Malewitschs Einfluss auf die Kunstgeschichte, für seine Epigonen und für die ironische Brechung in der Gegenwartskunst. Jean Tinguely, Yves Klein mit seiner Obsession für Blau oder auch Samuel Beckett beziehen sich auf ihn, Minimalisten und Konzeptkünstler wie die US-Künstler Richard Serra, Sol LeWitt oder Donald Judd erweisen ihm die Referenz und bewundern ihn für seine Radikalität.


Über dem Sarg, das schwarze Quadrat

Der Japaner Niriyuki Haraguchi schuf ein mit Altöl gefülltes Bassin. Sigmar Polkes bildhafter Kommentar kündet vom Geist der Denkmäler stürzenden 68er: „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“ Zur selben Zeit machte sich auch „Art & Language“ über Malewitschs Dogmatismus lustig: Das Geheimnis des Kunstwerks, schrieben sie über ihr schwarzes Gemälde, bleibe allein dem Künstler vorbehalten. Am weitesten trieben den Spott die Slowenen „Irwin“. Sie lassen Malewitschs Totenzimmer auferstehen: Über dem schwarz-weißen Sarg, in dem der ausgezehrte Leichnam des Künstlers aufgebahrt ist, hängt ein schwarzes Quadrat. Wie es der Meister verfügt hat.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2007)


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