Kulturkampf in der Baustelle Joanneum
Analyse. In Graz, jetzt „City of Design“, liegen zwei Alphatiere im Clinch, und eine mutlose Kulturpolitik beschränkt sich auf das Verwalten.
Martin Behr Graz (SN). Über allen Wipfeln ist Ruh’. Hoch über der Stadt Graz, in Uhrturmnähe, prangt seit Tagen ein Riesentransparent mit der selbstbewussten Aussage „Graz ist City of Design“. Kaum jemand weiß, was der von der (Kultur-) Politik betriebene Titel bringt, viele wähnen sich in die Ära dreister Selbstbehauptungen und Geldvergeudungen im europäischen Kulturhauptstadtjahr 2003 zurückversetzt. Zu ebener Erd’ tobt indes in Graz ein Kulturkampf. Simmering gegen Kapfenberg, das ist Brutalität. Peter Pakesch versus Peter Weibel steht dem um nichts nach.
Gekriselt hat es seit Jahren. Zwei Alphatiere in zwei verschiedenen Häusern, die aber doch unter dem Dach des Universalmuseums Joanneum vereint sind: Das kann kaum gut gehen. Ging es auch nicht. Der jahrelange Kleinkrieg um Themen wie Autonomie, Macht und Geltung hat Spuren hinterlassen. Internationale Rezeption sowie Publikumsandrang stehen in keinem Verhältnis zu dem von Peter Pakesch im (schwer zu bespielenden) Grazer Kunsthaus betriebenen Mittelaufwand. Ein Beispiel: Die ganz und gar nicht billige Andy-Warhol-Ausstellung etwa entpuppte sich weder als fulminanter Publikumsrenner noch als kunsthistorische Großtat. Auch die großen Würfe in der Ausstellungspolitik der Neuen Galerie sind schon eine Zeit her, die Dauerscharmützel zwischen Peter P. und Peter W. haben zu Energieverlusten geführt. Der im ZKM Karlsruhe engagierte Weibel war kein Dauergast mehr in Graz, seine Pranke als Kurator wurde schmerzlich vermisst. Verunsicherung im Jubiläum Vor 200 Jahren wurde das Universalmuseum Joanneum gegründet, im Jubiläumsjahr ist es nicht nur räumlich gesehen eine Baustelle. Peter Pakesch ist es seit 2003 gelungen, einen weithin schlafenden Riesen zu wecken: Etliche Abteilungen profitierten. Seine intern schlecht kommunizierte Verknüpfung von Einsparungsvorgaben und einer Strukturreform sowie deren quasi-totalitäre Begleitmusik (z. B. die Schlüsselabnahme bei der degradierten Neue-Galerie-Leiterin Christa Steinle) hat nun aber viele verunsichert. Menschenführung scheint nicht zu den Stärken von Peter Pakesch, dem aus dem bürgerlichen Lager stammenden Netzwerker zwischen Politik, Wirtschaft und Kunst, zu zählen. Im Gegensatz dazu trägt Peter Weibel, der in der Kunst und Subkultur sozialisierte Theoretiker, sein Herz auf der Zunge. Dem Intellekt Weibels kommt nicht selten eine sprudelnde Spontaneität in die Quere. Er ist mehr Künstler als Taktierer. Die Eskalation im aktuellen Joanneumstreit zieht eine Bruchlinie zwischen den Akteuren im Betriebssystem Kunst. In beiden Lagern, hier Pakesch, dort Weibel, brodeln die Gerüchteküchen, gibt es Stoff für Vernaderung.
Wie lang der von der Politik am Montag verordnete „Waffenstillstand“ zwischen Weibel und Pakesch halten wird? Die Gräben sind tief, der nicht nur in der Neuen Galerie entstandene Imageschaden ist beträchtlich. Die Zeiten, als Graz noch mit Kunst und einer Kulturpolitik, die diesen Namen verdient, Schlagzeilen machte, sind vorbei. Mangelndes Charisma der Kulturpolitiker hat zu einer Stärkung der bürokratischen Ebenen geführt. Es wird viel verwaltet, wenig gestaltet. Zauberwort Evaluierung: Fragebogenflut, Leitbildkonferenzen und andere Veranstaltungen, die Aktivität vorgaukeln. Was in der City of Design aber fehlt, sind Ideen, Konzept und Mut zum Handeln.