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08.03.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Alles nur geträumt
VON ALMUTH SPIEGLER
"Verrückte Liebe". Das BA-CA Kunstforum verfolgt mit der Sammlung Pietzsch den surrealistischen Geist.

Z
wei Schmetterlinge. Mit blitzblau bestäubten Flügeln wippen sie ne beneinander auf und nieder, flat ternd, flirtend, ohne sich je zu nahe kommen zu dürfen. Dafür hat Künstlerin Rebecca Horn gesorgt, die ihre fragilen Kreaturen auf zwei getrennte Messingstangen geschraubt hat, von einer simplen Mechanik vor der weißen Wand in Schwebe gehalten. Ein als Gegengewicht angebrachter Trichter voll blauer Pigmente scheint die beiden Filou-Falter mit Zauberstaub von Yves Klein zu versorgen. Und wenn sie nicht schon längst gestorben wären, hätten sie einander wohl nie in so hoffnungslos romantischer Pose gefunden.

Ach ja, so ein bisschen Poesie im Leben, wer wünscht sich das nicht. Ist Poesie doch der Aufstand des Menschen gegen das, was er ist, wie der US-Schriftsteller James B. Cabell einmal vermeldete. So gesehen müssten Heiner und Ulla Pietsch richtige Revolutionäre ihres Selbstbewusstseins sein - denn die Berliner Kunststoffhändler sammeln Kunst, die Stoff zum Träumen birgt. Und Kunst, die aus solchem gemacht wurde. Richtig erkannt, am Surrealismus hängen sie. Seit einer Begegnung mit Max Ernst 1972. Und zwar mit "Verrückter Liebe", wie schon der Titel der heute startenden Ausstellung im BA-CA Kunstforum preisgibt - und wie auch der Architekt der Pietzschen Villa akzeptieren musste, der sich nach der Kunst zu richten hatte. Nicht umgekehrt.

Die von Kuratorin Evelyn Benesch mit rund 100 Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen, Fotografien bestückte Ausstellung dient aber nicht nur als Show-Off eines luxuriösen Hobbys, sondern schafft es, die Ausstrahlung des surrealistischen Geistes über die Grenzen Frankreichs hinaus und über die Jahrzehnte hinweg zu verfolgen: mit kunsthistorischer Präzision zu seiner Zeit, exemplarisch an Duane Hanson, Francis Bacon und Rebecca Horn bis ins Heute.

Von Beginn an flirrt hier alles wie die zarten Mobiles von Alexander Calder. Konfrontiert mit dem harten Kern der französischen Surrealisten von Arp, Dalí, Miró bis Tanguy kann man sich André Bretons Manifest des Surrealismus von 1924 wieder ins Gedächtnis rufen und vor kräftigen Max Ernsts über "reinen psychischen Automatismus", die Allgewalt des Traums und das absichtsfreie Spiel der Gedanken sinnieren. Bei dieser ganzen üppigen Feier des Unkontrollierten kann man sich Sigmund Freuds den Surrealisten entgegengebrachtes Unbehagen jedenfalls ebenso üppig vorstellen: Waren seine Erkenntnisse schließlich auf die Therapie hin ausgerichtet und sicher nicht auf die Erhaltung bzw. Herbeiführung psychischer Ausnahmezustände.

Nicht nur eingedenk Freuds und des Frauentags fällt der Blick aber besonders interessiert auf Max Ernsts vergleichsweise unbekanntere Geliebte wie Leonor Fini und Leonora Carrington. Letztere emigrierte 1943 nach Mexiko City, wo sich rund um den Dichter Benjamin Péret eine surrealistische Kolonie bildete. Frida Kahlos autobiografisch zu deutende wundersame Ikonografie passt hier wenigstens gut ins Konzept. Ihr Mann Diego Rivera gab gemeinsam mit Breton das Bulletin "Clé" des Verbands unabhängiger revolutionärer Künstler heraus.

Die einflussreichere Exil-Gruppe aber, gut abgesichert von Peggy Guggenheims Galerie "Art of the Centuries", wirkte in New York, wo 1941 Jungmaler wie Jackson Pollock und Robert Motherwell an Roberto Mattas Lippen hingen und sich in seinem Atelier in die "écriture automatique" einweisen ließen. Was daraus folgte, ist ziemlich machistisch konnotierte Kunstgeschichte. Die Sammlung Pietzsch enthält einige frühe, noch erstaunlich stark vom Surrealismus beeinflusste Werke der späteren abstrakten Expressionisten.

Im letzten Raum trifft man dann mit einem Rauch-Bild des 1905 in Baden geborenen und 1939 nach Mexiko ausgewanderten Wolfgang Paalen auf den einzigen Österreicher - und fast, man glaubt es kaum, vermisst man in diesem Zusammenhang die frühen Phantastischen Realisten. Die Sozialisation ist eben ein Hund.

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