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27. Januar 2004,  12:27, Neue Zürcher Zeitung

«Um Gottes willen, Herr Brus?»

Wien entdeckt die Aktionisten

Einst wurden sie als Staatsfeinde angesehen, heute aber werden die Künstler um Hermann Nitsch, Günter Brus und Otto Mühl als Helden verehrt. Das illustrieren auch die diversen Ausstellungen, die sich dieser Tage dem Wiener Aktionismus widmen.

Für das «Time Magazine» waren sie schon 1966 «Heroes of Vienna», für ihre Heimat sind sie es spätestens heute. Vor vierzig Jahren waren die Aktionisten noch Staatsfeinde und unermüdliche Erreger öffentlichen Ärgernisses, jetzt legt man Hermann Nitsch, Günter Brus und Otto Mühl in den österreichischen Museen rote Teppiche aus. In kurz aufeinander folgenden Ausstellungen feiert Österreich eine künstlerische Episode, die das Wort Katharsis ziemlich wörtlich nahm.

Wieder da

Als grösster Kunstskandal der Nachkriegsgeschichte ist die Fäkalorgie «Kunst und Revolution» in die Annalen des Landes eingegangen. Das 1968 von Oswald Wiener, Günter Brus und Otto Mühl an der Wiener Universität veranstaltete Happening führte zur gerichtlichen Verfolgung und zwang die Künstler zur Flucht ins Ausland. Längst sind die Aktionisten wieder da. Und sie werden dieser Tage gekauft und gefeiert. Hermann Nitsch, der unermüdliche Schlachtmeister der Kunst, wurde kürzlich in der Klosterneuburger Sammlung Essl grossformatig präsentiert. Fast alle der gezeigten «Schüttbilder», Partituren und Aktionsrelikte stammten aus dem hauseigenen Bestand. Der Sammler Karlheinz Essl hat gut daran getan, Hermann Nitschs ÂŒuvre früh zu kaufen. Denn die Preise für den bis heute unbeirrtesten Aktionisten haben sich solide entwickelt. Edelbert Köb, Chef des Wiener Museums moderner Kunst (Mumok), rechnet schon einmal vor, was es 1975 gekostet hat, ein grösseres Bild des Prinzendorfer Orgienkünstlers zu erwerben. Für etwas mehr als fünftausend Franken hätte man sein Heim mit einer «Kreuzwegstation» verschönern können. Ein vergleichbares frühes «Schüttbild», das das Mumok gerne erwerben möchte, kostet jetzt exakt 367 258 Franken. «Staatliche Sammlungen vermehren Volksvermögen» heisst es in einer Verlautbarung des Mumok, das damit an eine Wahrheit rührt, die man in Zeiten verknappter Kunstbudgets nicht gerne hören will.

Um das Museum moderner Kunst programmatisch und finanziell auf Kurs zu halten, hat das Haus soeben eine der wichtigsten Sammlungen des österreichischen Aktionismus erworben. 21 Werke von Otto Mühl, Günter Brus und Rudolf Schwarzkogler gehören ebenso dazu wie 2700 Fotos von Ludwig Hoffenreich, der in den sechziger Jahren die Arbeit der Aktionisten dokumentiert hat. Die aus Otto Mühls Kommune Friedrichshof stammende Sammlung umfasst zudem ein grosses Aktionismus-Archiv. Mit dem für rund anderthalb Millionen Franken erworbenen Bestand ist das Wiener Mumok schon auf dem Weg zu neuen Taten. Als «Kompetenz- und Forschungszentrum» in Sachen heimischer Aktionisten will sich das im Wiener Museumsquartier gelegene Haus etablieren.

Das Museum für angewandte Kunst (MAK) setzt in einer ab März laufenden Ausstellung ganz auf Otto Mühl, den Guru der Friedrichshof-Kommune. Vor allem Mühls Malerei aus den letzten dreissig Jahren soll bei der Ausstellung im MAK zu sehen sein. Otto Mühl hat in den siebziger Jahren auf dem Friedrichshof eine «aktionsanalytische Organisation für bewusste Lebenspraxis» ins Leben gerufen. Wegen Sexualdelikten in der Kommune sass der Aktionist in den Neunzigern für sieben Jahre im Gefängnis. Vergleichsweise beschaulich verlief das Leben von Günter Brus, der schon 1970 dem Aktionismus abgeschworen hat. Die Wiener Albertina bringt jetzt eine «Werkumkreisung», die die Eingemeindung der früheren Aussenseiter in ihren paradoxen Wirkungen zeigt.

Eine schöne Ausstellung

Die Hommage an Günter Brus ist vor allem eine schöne Ausstellung. Man hat keinen Provokateur zu präsentieren, sondern einen Klassiker. Weihevoll schreitet die präzise gemachte Ausstellung durch Brus' künstlerische Chronologie. Von der frühen Phase des Informel, in der Günter Brus seine Malwerkzeuge mit ganzer Kraft über die Bildfläche rasen liess, führt der Weg zu den «Selbstbemalungen» und «Selbstverstümmelungen». Ab 1964 hob Brus alle Bildgrenzen auf, und der Körper wurde in die Fläche der Kunst einbezogen. In diese Zeit fällt auch der «Wiener Spaziergang» des Aktionisten, der weiss bemalt durch die Innenstadt ging. Ein schwarzer Strich teilte seinen Körper in zwei Hälften. Diese wandelnde Provokation wiederum einte die Wiener in spontaner Empörung. Die Staatsgewalt schritt ein und verhaftete Brus. 1970 ist Günter Brus am Ende seiner aktionistischen «Körperanalysen» angekommen. «Zerreissprobe» nennt sich der letzte Kraftakt.

Vor einem «Extremaktionismus», bei dem er sich nur noch «silberne Nägel» durch den Körper treiben könne, schreckt der steirische Ahnherr der Body Art zurück. «Irrwisch», eine zeichnerische Aufarbeitung seiner aktionistischen Periode, markiert Brus' Übergang von der desillusionierten Selbstentblössung ins Reich der Illusion. Ab den siebziger Jahren folgen jene surreal-romantischen Zeichnungen, die Brus' Werk bis heute bestimmen. In schönem «Vollbesitz der Schwäche» (ein Bildtitel aus dem Jahr 1994) fertigt der einstige Kraftkerl Günter Brus seine Phantasmagorien des Sexuellen und seine poetischen Bildgedichte, die Sprache und Schrift in die Zeichnung einbeziehen. «Eigenblutverzicht» heisst ein Bild von Günter Brus aus dem Jahr 1983. Der Titel markiert den Abstand zur einstigen radikalen Unmittelbarkeit des Aktionismus auf sehr deutliche Art.

Wenn die Albertina in einem Kabinett Videos von Günter Brus' Aktionen der sechziger Jahre zeigt, dann mutet das Pathos der aktionistischen Ekstasen mitunter seltsam an. Und banal wie vielleicht schon ehedem. Als sich der nackte und bepinselte Günter Brus in den sechziger Jahren einmal bei dröhnendem Beethoven auf der Leinwand wälzt, öffnet sich das Fenster einer Grazer Nachbarin, die das Treiben des Künstlers beobachtet hat: «Herr Brus, was is denn um Gottes Willen?»

Paul Jandl

 
 
 

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