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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
20. Februar 2007
20:04 MEZ
Kunsthaus Bregenz
Bis 13. Mai 
Foto: REUTERS/Miro Kuzmanovic
Damien Hirsts Tigerhai lagert derzeit im Kunsthaus Bregenz in 20 Tonnen Formaldehyd.

Foto: REUTERS/Miro Kuzmanovic

Raubfisch zum Nachdenken
Das Kunsthaus Bregenz zeigt mit Damien Hirst, Jeff Koons und Gerhard Merz prägende Positionen der Gegenwartskunst in parallelen Einzelpräsentationen

Marcel Duchamp ist den drei Künstlern im Kunsthaus als Vaterfigur beigestellt.



* * *


Bregenz - Vorweg: Damian Hirsts längst mit einem Wiedererkennungswert weit im Jenseits der Kunstgrenzen behafteter, vier Meter langer, in 20 Tonnen verdünntem Formaldehyd konservierter Hai ist ein Tigerhai, der seit 1991 zu Ausstellungszwecken mit einem Hai-typisch weit aufgerissenem Maul immer in einem so perfekt dreigeteilten Aquarium schwimmt, dass man - dächte man sich den Hai jetzt weg - sofort an Donald Judd denken müsste. Womit man aber unmittelbar zurück wäre in jenem Kunst-Kontext, den Damian Hirst mit seinem Hai gesprengt hat - und damit (unter zumindest im Nachhinein gesehen strategisch perfekt angelegter Kollaboration mit dem vermittels Kreativität, also in der Werbung, zu für damalige Verhältnisse unverschämt viel Geld gekommenen Charkles Saatchi) im glatten Unverständnis.

Alles völlig unwichtig. Was einzig zählt: Der Hai ist tot. Und jeder Betrachter wird ihm dorthin folgen. Egal wie viele bunte Pillen er selbst unter strikter Einhaltung der jeweils als State-of-the-art der Allgemeinmedizin geltenden Einnahmeverordnung zu sich nehmen wird, um die Sauerei des Ablebens zu verhindern. Die Pillen sind - auf cinemascopebreiten Leinwäden dem Hai auch in Bregenz beigestellt - als gut sortierte Hausapotheke im Spektrum handelsüblicher Buntlacke.

Also: Damien Hirst macht Sinnbilder, seine Stücke handeln, wie jene unzähliger Künstler vor ihm, von der gemeinen Endlichkeit der Existenz. Und damit so ein Vanitas-Motiv auch im bildergefluteten Heute noch eine Chance hat zu berühren, muss es groß sein, schwer und teuer - unfassbar teuer. Das ist banal, stimmt aber.

Ablaufdatum

Und eben deshalb kann es überhaupt dazu kommen, dass die Schaustellung von Hirsts Hai vom Kunsthaus Bregenz stimmig als "Sensation" vermarktet wird. Schließlich wird der ins Unberührbare entrückte Raubfisch in einer neuen Fassung gezeigt, nachdem das 91er-Original in seiner ursprünglichen Konserve endgültig das Ablaufdatum überschritten hat. Und bekanntlich wird es als Trost empfunden, die zerbrochene Existenz als "schene Leich" zu verabschieden. Nach jener in Bregenz erfolgt die endgültige Aufbahrung dann Ende Mai in der Privatsammlung des Amerikaners Steven A. Cohen. Auch Jeff Koons hat seinen Namen auf Aquarien gebaut, erkannt und umgesetzt, dass gemeinhin als Höhepunkt des Luxus erachtet wird, was unberührbar ist. Konsequent angewandt funktioniert die Idee auch mit einem Basketball im wassergefüllten hermischen Behältnis (Equilibrium Tanks) bzw. mit einem Staubsauer in der Edelvitrine (The New). Oder auch mit dem 80er-Jahre-Porno-Star Ilona Staller. Die war unter ihrem Künstlernamen Cicciolina wiewohl unberührbar, doch untrennbar mit Handgreiflichkeiten von dieser Welt verbunden.

Erst Jeff Koons Serie Made in Heaven hat Cicci auch noch diesem Zugriff entzogen. Koons ehelichte Frau Staller, thematisierte den Vollzug des Ehelebens in Hochglanzbildern und stilisierte damit Ilonas Asshole als transzendentale Erfahrung, als Blick ins Jenseits des alltäglichen Umganges mit dem Gegenständlichen. Dort, wo Koons die Unschuld ansiedelt, trifft Cicciolina dann auf andere dem öd-weltlichen Umgang entzogenen Schaustücke: auf hochglänzende Luftballons und edle Helden wie den grünen Hulk oder den ästhetisch schwer geforderten Popeye. Sie alle hat Koons erlöst, hat ihre Plastikexistenz so dezent in edelstählerne Bedeutungsschwere überführt, dass mittlerweile kein kalifornischer Pool-Besitzer mehr die Finger davon lassen kann.

Der umsatzstarke New Yorker Mittelbetrieb Koons produziert seit 25 Jahren in edler Handarbeit die nettesten aller Ready-Mades: Objekte zum einfach Nichtnachdenken. Marcel Duchamp musste zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts seine Fundstücke noch mit Skepsis aufladen, das Urinoir Fountain nennen, eine Schneeschaufel In Advance of the Broken Arm taufen und einem Fahrrad-Rad den Titel Roue de bicyclette beistellen.

Er hatte aber auch ein Publikum gegenüber, dessen Kunstbegriff noch nicht erweitert genug war, um keine Zweifel aufkommen zu lassen. Die Frage, wer und was alles ein Kunsturteil bestimmt, wo die Trennlinien zwischen Kunst, Handwerk und Industrieproduktion liegen, wo sich Kunstwerk und dessen Interpretation treffen, bzw. ob sie das überhaupt tun müssen, waren noch nicht durch den Handel entschieden worden. Und vielleicht war ja auch die Fadesse im Überfluss noch nicht ganz so weit verbreitet. Und dann wäre da noch Gerhard Merz zu erwähnen, der sich fragt, was eine Kunst leisten kann, die sich allen Verlockungen, falsche Versprechen abzugeben, entzieht, die Mythen ebenso außen vor lässt wie Zauber. Oder: Was passiert, wenn man auf minimale Strukturen reduzierte Bilder mit einem Lichtband aus 400 Leuchtstoffröhren jeder Möglichkeit zur eigenen Strahkraft beraubt? Jedenfalls ist es kalt.

Und hätte das Kunsthaus Bregenz noch vier weitere seiner absolut gleichwertigen Etagen, könnte man jetzt gleich noch Joseph Beuys, Matthew Barney, Douglas Gordon und Cy Twombly erwähnen. Die aber behaupten sich erst im zweiten Teil von Re-Object ab Juni als Hauptvertreter der Kunst. (Markus Mittringer / DER STANDARD, Printausgabe, 21.02.2007)


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