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Albertina: Was passierte in der Nacht zum 23. Juni?

17.08.2009 | 18:36 | ULRIKE WEISER (Die Presse)

Experten zweifeln an der großen Wassermenge, die in den Speicher eingedrungen sein soll. Der Ex-Vizedirektor des Belvedere befürchtet eine Wiederholung des Albertina-Dramas ebendort. Sechs Fragen zur Albertina.

Es ist vorbei: Die Schimmelgefahr ist überstanden, die Ursache gefunden, Gott hat offenbar sein Scherflein beigetragen und diese Woche wird die letzte große Entscheidung – Auslagerung der Werke in den Zwischenspeicher: ja oder nein – getroffen. Kurz: Der Fall der lecken Albertina, der diesen Sommer für ein Nachrichtenstakkato in heimischen und internationalen Medien sorgte, geht ins Finale. Allerdings: Final beantwortet sind die offenen Fragen noch lange nicht.

1 Wie viel Wasser drang tatsächlich ein?

Zirka 2100 Liter. Die Zahl hat sich ins Gedächtnis der Wiener eingebrannt. Denn so viel Wasser soll laut Albertina in den Tiefspeicher eingedrungen sein. Inoffiziell wird die Menge aber inzwischen von mehreren Seiten als überschätzt angezweifelt. Genährt wird die Skepsis von der Tatsache, dass die 2100 Liter relativ kleinen Eintrittsstellen gegenüberstehen (unter den etwa daumengroßen Löchern der Isolierung liegen zudem ja noch weitere Deckenschichten – siehe Grafik). Statt über 2000 Liter, so wird vermutet, waren es eher „vier Badewannen voll“.

Zudem stellt sich die Frage, wie überhaupt massiv Wasser eindringen konnte: Hätte doch das Leckagesystem den Wassereintritt „ab dem ersten Tropfen“ melden sollen. Was umgekehrt heißen müsste: Zwischen dem Wassereintritt und der ersten durch Mitarbeiter registrierten Meldung muss einige Zeit vergangen sein. Tatsächlich datiert die Albertina den Zeitpunkt der Alarmmeldung auf 8.51 Uhr – eine übliche Bürobeginnzeit. Das Problem sei, sagt Direktor Klaus Albrecht Schröder der „Presse“ in einem kurzen Telefonat, dass es bisher so war, dass nicht alle Meldungen zu dem 24 Stunden personell besetzen Haupt-Kontrollzentrum der Albertina weitergeleitet wurden. Die Meldung des Wassereintritts etwa hätte ein Mitarbeiter in einem sonst nicht ständig überwachten, zweiten Kontrollzentrum entdeckt. Zudem habe das Leckagesystem Lücken und sei nicht flächendeckend im ganzen Speicher angebracht. Das Videomaterial von den Vorgängen in der Albertina wurde jedenfalls, so beklagen Mitglieder des vor einigen Wochen abgehaltenen Expertenkonsiliums, noch nicht komplett ausgewertet.

2 Wie wasserdicht wird die Albertina?

Ob das jetzige Konzept zur Sanierung sicher ist, wird der deutsche Sicherheitsexperte Klaus-Detlef Okorn beurteilen. Im Wesentlichen passiert Folgendes: Die Löcher in der Isolierung bei der Einbringöffnung für den Roboter werden ausgebessert, ebenso wird die Isolierung bei den drei weiteren theoretisch vorgesehenen Öffnungen, die als Schwachstellen gelten, verstärkt. Sonst wird die Isolierung belassen und darüber um neue Schichten ergänzt (siehe Grafik). Damit umgeht man auch ein heikles Problem, das Alfred Weidinger, Ex-Vizedirektor der Albertina (jetzt Esterhazy-Betriebe) anspricht: Das verwendete Bitumen habe als günstiges, wenn auch dem Bundesvergabegesetz entsprechendes Isoliermaterial eine eher geringe Lebensdauer: „circa 15 Jahre“. Mit zwei Isolierschichten kann man nun die obere einigermaßen problemlos von Zeit zu Zeit erneuern. Allerdings: Die Decke über dem Speicher gleicht laut Weidinger im Aufbau jener der benachbarten Basteihalle – Isolierung inklusive. Die Decke der Basteihalle wird aber nicht zusätzlich aufgestockt. Burghauptmann Wolfgang Beer beurteilt die ursprüngliche Isolierschicht über dem Speicher jedoch als dicht. Zumindest prinzipiell: „Salopp gesagt: Schwören könnte ich, wetten will ich nicht.“

3 Wenn der Tiefspeicher so sicher wird, warum wird der Feldhase dann anderswo untergebracht?

Das weiß keiner so genau. „Natürlich wäre der Speicher sicher genug für den Feldhasen“, sagt Beer. Und auch Weidinger sieht „keinen rationalen Grund“, warum Schröder das Dürer-Werk und bis zu tausend weitere besonders wertvolle Werke „zwecks Risikostreuung“ in einem anderen Depot in der Albertina (aber dort erst recht wieder gemeinsam) verwahren will.

4 Wer ist jetzt eigentlich schuld am Wassereintritt?

Von rechtlicher Schuld redet noch keiner, aber auch Ursache und Hergang sind noch nicht so klar wie gedacht. Was laut gerichtlicher Beweissicherung feststeht: Die Löcher in der Isolierung passierten 2005 durch die Einbringung des Roboters. Den Einbau nahm die Firma Leyrer & Graf vor (sie will sich zu dem Vorfall mangels Information nicht äußern), die Bauaufsicht hatte das Büro „bsw19“. Allerdings war diese laut Albertina bloß dafür verantwortlich, dass es „keine Abweichung vom Bauplan“ gab. Zudem gibt es noch eine nasse Stelle bei einer der ungeöffneten Einbringungsluken für den Roboter. Die Verantwortung dafür könnte – sofern es sich nicht um eine „Fernwirkung“ der bekannten Löcher handelt, das heißt, dass das Wasser von dort hinübergeronnen ist – bei der Porr liegen.

5 Wer zahlt für die Schäden? Der Steuerzahler?

Im schlechtesten Fall: ja. Denn dass die Republik die Summe von den Firmen einklagen wird, ist nicht sicher. Derzeit wartet man das Gutachten der Finanzprokuratur ab. Prozesse wie dieser sind nicht einfach, sagt Erwin Gisch, Geschäftsführer des Fachverbands der Versicherungsmakler in der Wirtschaftskammer Österreich, der viele Jahre bei Versicherungen tätig war. So schätzt er allein die Dauer bis zum erstinstanzlichen Urteil auf zweieinhalb bis drei Jahre. Die Kosten hängen dabei von den nötigen Gutachten ab. Insofern, sagt Gisch, werde bei derartigen Verfahren „in einem nicht unerheblichen Ausmaß“ außergerichtlich verglichen. Über die Höhe des Schadens kann man derzeit noch keine Angaben machen. Fix ist nur: Die Aufstockung der Decke (bis zu 250.000 Euro) trägt die Burghauptmannschaft.

6 Kann sich der Fall Albertina wiederholen?

Ja, befürchtet Weidinger. Und zwar im Belvedere, wo er von 2007 bis Beginn 2009 Vizedirektor war. Gutachten Okorns würden belegen, dass im Unteren Belvedere Restaurierungswerkstätten und Ausstellungsräume durch Privatmieter als Nachbarn gefährdet sein – eben durch Wasserschäden, zum Beispiel ganz banal herrührend von defekten Toiletten. Beer, so Weidingers harscher Vorwurf, würde das jedoch ignorieren. Eine Änderung der Baurichtlinien für Kunstdepots werde es, so Beer, jedenfalls nicht geben: „Wir werden in Zukunft aber noch mehr Augenmerk auf korrekte Bauarbeiten legen.“



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