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Kunstberichte
Das Wiener MAK zeigt aktuelle Arbeiten von Hans Weigand und Josef Dabernig

Der virtuelle Untergang

Hans Weigand hat mit "Vortext", einer Mischung aus digitaler Collage und Malerei, im MAK ein sehr Wienerisches Untergangs- und Ruinenszenario geschaffen. Foto: Wolfgang Woessner/MAK

Hans Weigand hat mit "Vortext", einer Mischung aus digitaler Collage und Malerei, im MAK ein sehr Wienerisches Untergangs- und Ruinenszenario geschaffen. Foto: Wolfgang Woessner/MAK

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Hans Weigand ist offenbar vom Abriss des Südbahnhofs so beunruhigt, dass er eine Wiener Apokalypse geschaffen hat. Wie eine riesige Tapisserie ist das zwischen Malerei und Fotografie angesiedelte Ruinenszenario in den Raum gehängt. Darauf versinken das Mumok, die Stadtparkbrücke, die Wotrubakirche aus Mauer, das Kunsthistorische und Teile des Südbahnhofs, bespickt mit Denkmalteilen – imperiale Reiter und Maria Theresia – wie nach dem ultimativen Erdbeben in die Fluten des Wienflusses.

Sie kippen und brechen ohne Blitz und Donner, ungestraft idyllisch wie in einem Science-Fiction-Film. Bewusst ist in einem Türbogen ein kleiner Batman als Suchfigur unserer Erinnerung an die Personifikation des Superhelden der Populärkultur im Nebel platziert.

Es kommt also keine Trauer auf in "Vortex", auch von Ironie nur eine Spur mit Eingliederung des Narrenturms – die Schönheit von ineinandergewürfelten Ruinen, wie sie ehedem im Rokoko oberhalb der Schlösser Schönbrunn oder Sans Souci gebaut wurden, verblüfft in dieser Mischung aus digitaler Collage und Malerei. Fast wie ein Bühnenvorhang zu einer neuen "Zauberflöte" – doch dahinter erwarten uns Holzskulpturen, die eigentlich Möbel und Kästen aus Türen nachahmen, gedreht zur verfremdeten Schlichtheit.

Kommune im Ideenlabor

Weigand, 1954 in Tirol geborener und in Wien tätiger Künstler, lässt uns auch mit seiner teils retrospektiven, teils utopisch anmutenden Situation zwischen Cockpit und Atelier im Unklaren. Hier blickt er auf die Ringstraße, doch die Vermutung der Ortsbezogenheit täuscht. Der Kommandostand am Schiffsdeck des Museums ist ein Zitat, ein Implantat aus Los Angeles, wo er mit Jason Rhoades und Raymond Pettibon im Mak-Center die Schau "Life/Boat" im Team aufgebaut hat. Der performative Akt – sie lebten als temporäre Kommune im Ideenlabor – ist vorüber, die Besucher spielen nun Künstler im Kopf. Als weiterer Prototyp für Ortseinschreibung durch Möbel für die neue Kunstproduktion ist die Box "Workstation", ein Mutant zwischen Schau- und Ruheraum, eine Archiskulptur mit einem eingehängten malerischen Bildkristall. Wir befinden uns am Grenzgang zwischen bildender und angewandter Produktion, zwischen den Stühlen und doch in einer Vernetzung zu gesellschaftspolitischen Fragestellungen.

Vollends disparat wird die Szenerie mit den Fotos ethnografischer Aktionen von 1979 – die Mythen des Alltags wandeln Weigand zum Afrikaner in "Masken". Material wie Kaffee und Kakao mixt er mit Coca Cola und Tinte zu den entscheidenden Buchstaben "E und U" auf Leinwandobjekten von 1987. Eine weitere Collage aus Foto und Klebestreifen baut das idyllische Nachtstück "Prager Straße" von 1995. Dekonstruktion im Weltgetriebe ist angesagt und doch bleibt der "Fels in der Brandung" als Pointe auf dem alten Medium Leinwand zurück. Wir sind die Wanderer zwischen den Künsten und müssen zur Kenntnis nehmen, dass auch "Vortex" als Serie 8 von "Künstler im Fokus" dazu da ist, die Aufmerksamkeit auf die schwierige Ankaufssituation des Hauses zu lenken. Weigand schließt hier an Alfons Schilling, Franz West, Heimo Zobernig oder Franz Graf.

Kunstsportveranstaltung

Völlig anders ausgerichtet ist die aktuelle Schau in der MAK Galerie. Josef Dabernig studierte Bildhauerei, ist jedoch seit Jahren im grenzüberschreitenden Feld zwischen Film, Raumkonzepten und erweiterter Skulptur tätig. Sein "Excursus on Fitness" setzt auch theoretisches Ausschweifen im Kopf voraus – der Sport, dem wir uns in dieser Zwischenwelt aussetzen, ist ein geistiger. Auch wenn es durch die Sportbälle, die Kojen und Matten nicht so aussieht und so was wie eine Fit-mach-mit-Einladung vorliegt. So könnten Besucher die beiden Filme mit equlibristischen Übungen verbinden – einerseits am Sitzball, andererseits auf dem Kreisel zur Balancefindung.

Die weißen Boxen sind exakt auf die Lichtschiene bezogen, Hängung von Bildschirmen, Fotos und Setzung der als Skulpturen daherkommenden Sportgeräte erfolgt in einer Logik, die pedantisch anmutet. Doch steckt der kühle Zwang zur Geometrie vielleicht auch in unserem Wissen, nicht im Fitnesscenter, sondern im Museum zu sein.

"No sports!" als Lebensmaxime Winston Churchills nützt hier wenig. Der zentrale Film als wichtigstes Modul verwirrt durch seine Darsteller. Die sechs Frauen und Männer stellen sich als der Künstler selbst, sein Kollege Otto Zitko, die Wissenschafterin Ingeborg Wurzer und Freundeskreis heraus. Fitness ist relativ, doch Letztere führt eine enorme Tüchtigkeit an Körperdehnung vor. Die Stille im Schwarzweiß ist Anspielung auf Pier Paolo Pasolinis "Teorema – Geometrie der Liebe" und die Einsamkeit des Einzelnen auch Teil der Gruppendynamik einer heutigen Gesellschaft.

Aufzählung Ausstellungen

Hans Weigand. Vortex (Schausammlung Gegenwart)
Josef Dabernig: Excursus on Fitness (MAK Galerie)
Bärbel Vischer (Kuratorin)
Museum für Angewandte Kunst
bis Anfang September 2010

Printausgabe vom Mittwoch, 14. April 2010
Online seit: Dienstag, 13. April 2010 17:31:00

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