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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Bildende Kunst 
18. August 2009
17:47 MESZ

Bis 27. 9.

 

Ein eitel posierender Vogel (womöglich Raqib Shaw selbst) hält sich einen geflügelten Riesen an der Glitzer-Leine.


Der orgiastische Tummelplatz des Bösen
Der britische Künstler Raqib Shaw webt Bilderteppiche aus brutal-perversen Motiven, die im starken Kontrast zur schönen Oberfläche stehen: Faszination des Bösen und der Amoralität

Wien - Eine Maus in halbverdauten Fetzen, kopulierende Kröten und allerlei zu Würg- und Ekelreflexen gereichende Dinge sind im brutal aufgerissenen Vogelschnabel versammelt. Die Augen quellen aus dem gerupften Schädel. Der Rest des zuckenden Biestes - über den sich ein überdimensionaler, sabbernder Hummer wirft - ist menschlich. Ein gewaltvoller Akt der Paarung, obgleich der titelgebende Adam bereits entmannt ist: Anstelle eines Geschlechts ringeln sich Würmer und Maden.

Die Szenerie ist wie aus einem irren Horrorfilm entlehnt; Künstler Raqib Shaw würde am liebsten allen seinen schrillen Kreaturen solch dreidimensionale Gestalt geben, erzählt Kuratorin Angela Stief. Aber dafür müsste der eitle und exzentrische Londoner Dandy, der Gesellschaft und Freundschaft - wie er selbst es erklärt - aus künstlerischen Gründen entsagt, einen wirklich extrem wohlhabenden Mäzen finden.

Ein Begehr Shaws, von dem man wünscht, es möge unerfüllt bleiben: Denn im Unterschied zu den realistischen Skulpturen, wissen seine gemalten Mischwesen - obgleich sie ähnlich blutige Geschichten erzählen - das Auge im Moment des Erschauderns zu bannen. Erst recht, wenn sie, wie aktuell im Project Space der Kunsthalle, mit Theaterlicht so effektvoll illuminiert sind.

Fasziniert vom Funkeln der mit Glitzer besetzten Oberflächen und Leuchten der Farben hofft man insgeheim, die Gestalten mögen ihre Hufe und Pranken tunlichst nicht aus der schmucken Bildfläche in die Realität hinaussetzen, sondern in der Flachheit des Bildes, die erst auf den zweiten Blick ihr dekoratives Grauen offenbart, gefangenbleiben. Denn einmal "Fleisch" geworden, streifen Faun-Echsen und geflügelte Poseidons ihr schillernd buntes Gefieder, Schuppenkleid und die Goldkonturen ab. Da sind die Blutfontänen und Wunden nicht mehr aus rotem Strass und alles durchbohrende Speere und Bondage-Seile nicht mehr glitzerdekoriert. Neben diesem fabulösen Gepranke wirkt der geschändete Adam - Shaw selbst diente als Gussmodell - so, als würde man sich eines beschönigenden Zaubers entledigen und endlich die Realität erblicken.

Aber wer ist es, der sich diesen Limbus, diesen pervertierten Kosmos, ornamental dicht gewebt aus Sex und Gewalt, diesen orgiastischen Tummelplatz, eingebettet in antike, von Piranesis Fiktionen beseelte Architekturen erdacht hat? Wer hat The Absence of God, eine Serie riesiger (teilweise sieben Meter breiter) Weltenbilder, gefertigt? Raqib Shaw, 1974 in Kalkutta geboren, wuchs im mehrheitlich muslimischen Kaschmir auf, wurde in einer christlichen Schule von hinduistischen Lehrern unterrichtet. Seine Familie, die mit Teppichen und Textilien aus verschiedensten Kulturräumen handelt, gehört der Minderheit der Zarathustrier (in Indien auch Parsen) an und kam 1994 nach England. Shaw ist also in einem Dickicht aus Religionen und Erzähltraditionen aufgewachsen, die sicherlich die Art erklären, wie er das Konglomerat aus kunstgeschichtlichen Zitaten (Hans Holbein d. J., Hieronymus Bosch), Abbildungen sexueller Abartigkeiten, seinen Besuchen im naturhistorischen Museum und Blumenstudien zusammenflicht. Und hie und da mag man sogar Anleihen an die ornamentverliebten Motive der Heavy-Metal-Bands erkennen.

An Moral uninteressiert

Aber allein seine Technik, dem kunsthandwerklichem Malen mit Emaillefarben und Goldfiligrée aus Tuben entlehnt und zur großer Kunstfertigkeit getrieben, lässt Shaw solitär erscheinen. Dazu kommt Zurückgezogenheit und die sonderbaren, abwegigen Motive. Wo ist also nach dem tieferen Sinn der erschreckend-schönen Oberflächen zu suchen? Gibt es ihn?

Shaw selbst bezeichnet sich nicht als religiös und vermeidet es - trotz aller Gewalt und Unmoral in seiner Arbeit -, gotteslästerlich zu sein. "Ein Dandy interessiert sich nicht für Moral" , ergänzt Angela Stief, sondern einzig für stilsichere Oberflächen. Shaw selbst in einem Interview:"Man kann meine Bilder als Kommentar darauf verstehen, wie ich das Leben in dieser Gesellschaft erfahre - und darauf, lebendig zu sein." (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 19. 8. 2009)

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