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dieStandard.at | Kultur 
31. August 2007
17:56 MESZ
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Freudige Biennale-Turbulenzen - Teil Eins der Biennale-Reportage 
Foto: Giardini/Diane Ruisz
Tracey Emin
Borrowed Light

Foto: Giardini/Diane Ruisz
Tracey Emin
Borrowed Light

Foto: Giardini/Susan Norrie
Susan Norrie
HAVOC 118

Foto: Giardini/Courtesy Sommer Contemporary Art, Tel Aviv & Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin/Yehudit Sasportas
Yehudit Sasportas
The Guardians of the Threshold (2007)
Mixed media, space installation (digital simulation)

Foto: Giardini/Susan Norrie
Susan Norrie
HAVOC 105

Biennale-Reportage: "Ein Fenster ist keine Grenze"
Virtuelle Schwellen von Yehudit Sasportas, Schlamm-Menschen von Susan Norrie und Sexparodien von Tracey Emin - Teil II

Die Kunst-Biennale in den Giardini von Venedig mit virtuellen Schwellen von Yehudit Sasportas, Schlamm-Menschen von Susan Norrie und Sexparodien von Tracey Emin. Und mit Nigerianern, die als Putzfee "antikoloniale Kunst" vorführen. Eine Reportage von Kerstin Kellermann.


Venedig riecht ganz sumpfig und die Mücken schwirren schon in der Früh. Der Canale Grande erinnert an den Nil mit seinem hellgrünen Wasser und das Vaporetto gleitet langsam dahin. Im Palazzo Giustinian Lolin ist es dunkel. Blaue Stoffwände mit Gold, ein gedimmter Luster und matte Spiegel kontrastieren die Video-Arbeit "HAVOC" der Australierin Susan Norrie, die sich mit geopolitischen Themen beschäftigt. Die Stadt Porong in Ost Java ist vom Schlamm überflutet, denn bei Gas- und Ölbohrungen wurde 2006 eine Schicht giftigen Vulkanschlamms getroffen, der seither unaufhörlich sprudelt.

Im ersten Raum zeigt Norrie in langsamen Bildern ein braunes, ödes Gelände mit ArbeiterInnen, die ein paar Meter über dem Schlamm in Hütten leben. Dämpfe steigen auf. Norrie interessiert der Umgang einer Community mit einer Katastrophe, wie die Menschen ihr Leben im Schlamm weiter führten. Einige wurden religiös in Richtung Animismus und Opfer-Rituale, andere nahmen an politischen Protestmärschen teil und eine neue Subkultur entstand.

In der schrägen Reihe der Videos sind Konzerte der "Korban Lumpur Gruppe" ("Die Opfer des Schlammes") und der Band "Riot Machine" zu beobachten. Ein Junge mit Sepultura T-Shirt und rotem Turban läuft mit langsamen Bewegungen im Schlamm, der ihm bis zur Hüfte reicht. Dann balanciert er mit bloßen Füssen auf einem schmalen Betonsteig, bevor er ins klare Wasser auf der anderen Seite springt. Ein Mensch, der es gewöhnt ist, Tag für Tag im Wasser zu leben. Andere Jungen rauchen und unterhalten sich ruhig, mitten im toxischen, braunen Matsch. Norrie steigert diese Aufnahmen noch, indem sie im dritten Raum auf Großbildleinwand vermummte Reiter auf ihren Pferden vorführt, die PilgerInnen und TouristInnen über heißen Sandschlamm an den aktiven Vulkan Gungung Bromo tragen. Nebel wallen in Schwaden, die Reiter tragen Slayer T-Shirts über karierten Hemden, die hypnotischen Bilder spiegeln die Surrealität dieses Lebens. "Der Ausbruch des Schlammes und Indonesiens Punk-Bewegung sind symptomatisch für eine Gesellschaft unter großem Druck, immer präsent ist aber auch ein außergewöhnlicher Sinn für Hoffnung, Widerstand und Überleben", steht im Begleit-Text.

Frauen-Jäger versus Sexparodien

Ein Mann zieht seinen Strohhut ab, als ob er in der Kirche wäre. Im spanischen Pavillon in den baumbewachsenen "Giardini" sind lauter männliche Künstler vertreten. Im Kurzfilm "Straßenbahnhaltestelle in Straßburg" blickt eine hübsche junge Frau mit langen schwarzen Haaren wehmütig in die Gegend. Dazu romantische, melancholische Musik. In "Radfahrerin in Leiden", ebenfalls in schwarz-weiß gehalten, kurvt eine schlanke Dame zu sentimentaler, ernster Musik auf dem Fahrrad durch die Landschaft.

"Las mujeres que no conocemos/Women we dont't know" von Jose Luis Guerin zeigt in 24 Teilen wehmütig in manierierter Filmsprache den Traum von der mysteriösen Unbekannten, die den Mann aus seinem schnöden Alltag erlöst. "Meine Generation glaubt auch an diese Mythen. Alle diese Frauen, die sich so ähnlich schauen, das verwirrt mich", meint ein junger Franzose. "Ich finde das hübsch", sagt seine Freundin. "Das Mysterium Frau." "Gilt das Mysterium auch für dich?" "Nein, ich doch nicht!", lacht sie und schaut ihren Freund spöttisch an. Gefährlich wird es nur, wenn der Erzähler im Film ankündigt: "I decided to follow her". Und auch die Sprache im Begleittext ist verräterisch: "...eine ganze Galerie von Gesichtern erscheint, darauf wartend von einer Empfindung durchdrungen zu werden", während der Künstler wie "ein Jäger im Hinterhalt liegt". Es ginge um eine "Wiederholung des Archetypischen", für den, der "totale Verfügbarkeit" anstrebe.

Von ganz anderer "Natur" ist da der britische Pavillon mit der Installation "Borrowed Light" von Tracey Emin. Ähnlich Gerhard Richters grün-hellgrauen und Robert Rymans weißen Bildern im Padiglione Italia zeigt Tracey Emin ganze Räume voller weißer Bilder. In Acryl und Bleistift sind spröde Geschlechts-Zeichnungen zu sehen, dazu zynische Titel wie "Now go throw yourself at anyone (2003)". Dazwischen fragile Holzstöße, ähnlich Scheiterhaufen oder Mikado-Türmen. Auch andere Künstlerinnen würden "verachtete Frauenkörper" in ihre Arbeiten einbeziehen, aber diese ständen zumeist für ein "mystisches Wesen": "Hier gibt es keine solche Geste. Nicht nur gibt es keinerlei Transzendenz in Emin's Universum, es gibt auch kein Transzendieren der Persönlichkeit dieses Körpers." (Begleittext)

Emin spielt gerne mit radikaler Intimität, bleibt aber völlig autonomes Subjekt dabei. Sie stützt sich auf unpopuläre Formen wie das Sentimentale oder das Melodramatische, vermeidet und verbietet sich aber durch direkte sexuelle Anspielungen und derben Humor jegliche Mystifizierung und Transzendenz von Weiblichkeit.

Verletzungen vernähen

"Ich putze eine Viertel Stunde, dann sitze ich zehn Minuten. Das mache ich vier Stunden pro Tag - für 24 Euro insgesamt", erzählt Kenneth Omoigni, dem das Arbeitsamt den Job vermittelte. Der ehemalige Rechnungswesen-Student reinigt in der einzigen täglichen Körper-Performance der Biennale ein großflächiges Bild der Künstlerinnen Toril Goksoyr und Camilla Martens an der Außenfläche des Nordischen Pavillons. "It would be nice to do something important", steht neben zwei weißen Frauengesichtern, "something political". "Ich habe mir schon gedacht, dass es eine politische Geschichte ist, aber ich habe die Künstlerinnen nie getroffen und niemand erklärte mir etwas", sagt Kenneth. Sechs Euro die Stunde kriegt er für seine Live-Kunst.

Ein paar Hundert Meter weiter ist zumindest die Kunstwelt noch in Ordnung. Yehudit Sasportas hat den israelischen Pavillon mit fiktiven Fenstern und Türen, Öffnungen, Löchern in eine unbekannte Welt, ein Raumschiff ihres "Archiv des Unbewussten" verwandelt. "Die Hüter der Schwelle" heißt die dreidimensionale Installation, die mögliche aber fiktive Ein- und Ausgänge zeigt und letztendlich auf die Betrachterin und deren Interpretationen zurück verweist. "Das Vergessene wendet sich von einem vergangenen Augenblick ab, doch bewahrt eine Beziehung zu dem, von dem es sich abwendet", wird im Katalog aus Emmanuel Levinas "Reality and it's Shadow" zitiert.

"Sasportas lässt die Grenzen zwischen innen und außen verschwinden. Das Fenster ist keine Grenze", sagt der Kunstvermittler Giovanni Quer, der von seinem venezianischen Opa Deutsch gelernt hat. "Die Künstlerin werkt auf der Erde und malt von unten nach oben, wir sehen nur die Schatten der Landschaften. Damit will sie sagen, dass die Wirklichkeit, die wir sehen, nur fragmentiert ist. Wir wissen nicht, ob wir drinnen oder draußen, in der Wirklichkeit oder der Illusion sind. Dabei sind ihre Holzbilder 400 kg schwer." Yehudit Sasportas wuchs in Israel zwischen dem Meer und der Wüste unter vielen EinwandererInnen aus Georgien und Marokko auf. "Jede Familie brachte ihre Wirklichkeit mit", meint Giovanni. Die Mutter der Künstlerin war Schneiderin, der Vater Baumeister. "Die Schatten der Stangen auf den Bildern sind in Wirklichkeit Nadeln, die die Verletzungen des Unbewussten zusammen fügen sollen." (dieStandard.at, 31. August 2007)


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