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Kunsthalle Krems: Die Malerin des Schweren

02.04.2010 | 13:15 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Die erste Retrospektive auf Paula Modersohn-Becker in Österreich. Sie malte das erste weibliche Akt-Selbstporträt der Geschichte. Freier Eintritt für "Presse"-Leser am 18. April.

Dies malte ich mit 30 Jahren an meinem 6.Hochzeitstag.“ Signiert „P. B“, Paula Becker, ihr Mädchenname. Nicht Paula Modersohn, wie sie seit der Hochzeit mit einem der bekanntesten deutschen Maler seiner Zeit, Otto Modersohn, hieß. Es ist ein radikales, geheimnisvolles Bild, das erste (bekannte) weibliche Akt-Selbstporträt der Kunstgeschichte.

Und das noch dazu als Schwangere – obwohl Paula Modersohn-Becker (1876–1907) das zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht war. Aber sie ging schwanger mit ihrer Kunst, mit einem neuen Leben für sich selbst, das sie in Paris, getrennt von ihrem Ehemann, gerade genoss. „Ich werde etwas – ich verlebe die intensiv glücklichste Zeit meines Lebens“, schrieb sie der Schwester. Mit großen Augen blickt sie aus leicht schief gelegtem Kopf forschend und direkt auf uns Betrachter. Um den Hals, zwischen den baren Brüsten, hängt schwer eine lange Bernsteinkette, ihr Lieblingsstein. Der gewölbte Bauch wird von den Armen mehr gerahmt als beschützt. Der Unterleib ist mit einem Leintuch verhüllt.

 

Gestorben an ihrer ersten Geburt

Gerne würde man dieses grandiose Selbstbild einmal nur neben seinem „männlichen“ Pendant sehen – immerhin ist es ihm mit der Ausstellung in Krems jetzt näher gerückt als sonst, in Bremen: Richard Gerstls zumindest ein Jahr früher entstandenes Selbstbildnis als Halbakt vor blauem Hintergrund. Es ist auratischer, pathetischer möchte man sagen. Statt eines blauen, entrückenden Hintergrunds hat Modersohn-Becker sich für die blassgelbe getupfte Tapete ihres Ateliers entschieden, fast geht ihr Körper auf in seinem Arbeitsumfeld. Ein gutes Jahr später ist sie tot. Gestorben daran, wovor ihr schon einmal verwitweter Ehemann sich immer so fürchtete, weshalb er sie sogar fünf Ehejahre lang jungfräulich beließ: an den Folgen der Geburt ihres ersten, so sehnlich erwünschten Kindes. „Wie schade“ soll sie noch gesagt haben, bevor sie mit einer Embolie zusammensackte. So überliefert es jedenfalls Otto Modersohn, der geduldige, seine Frau künstlerisch und finanziell immer stützende Mann. Er sorgte auch dafür, dass sie nicht in Vergessenheit geriet. Ihre Tagebücher wurden bald nach ihrem Tod ein Bestseller, die künstlerische Anerkennung dauerte ein wenig. Heute ist ihre Rolle unbestritten. Sie gilt als eine der spannendsten, radikalsten Künstler ihrer Zeit. Sie brachte Cézanne nach Deutschland, sagt man gerne, ihre Stillleben, ihre ins Prekäre verrückten Perspektiven erzählen davon.

Die Stillleben, genauso wie die Märchenbilder, die in der ersten Modersohn-Becker-Retrospektive Österreichs in einem Raum versammelt sind, zählen aber nicht zum Hauptwerk der so jung, mit 31Jahren, verstorbenen Malerin. Es sind ihre Gesichter, die man nicht vergisst, ihre isolierten Frauen und Mädchenporträts, die einen durch die Ausstellung begleiten. Die voluminöse Dreibeinige (mit Krücke), die gegenüber von ihrem Atelier im Armenhaus lebt. Die gegerbten Gesichter der Bäuerinnen, die traurigen Blicke kleiner Mädchen, eine Blume in der Hand. Und immer wieder: sie selbst. Die Ausstellung zeigt wunderbar die Entwicklung der Malerin von den ersten akademischen Skizzen bis zum Hochzeitstagsbild: „Ich bin ich und hoffe, es immer mehr zu werden.“

Was aber immer schon war: Es sind durchgehend düstere, introvertierte Bilder. Oft haben die abgebildeten Frauen keine ausgeprägten Gesichter, sind die Augen nur durch flüchtige Striche angedeutet oder geschlossen, gesenkt. Selbst Häuser in Landschaften haben keine „Augen“, keine Fenster. Oder, im Gegenteil, ist die Physiognomie überklar ausgeprägt – stilisierte Augen, stilisierter Mund. Ägyptische Malerei, die Modersohn-Becker im Louvre studierte, war hier wohl Vorbild. Hölzern, stumpf wie Puppen wirken die Menschen in beiden Fällen. Hier ist nichts leicht, fröhlich schwebend, alles wiegt schwer. Die Kinder – billige Modelle vor allem, nicht unbedingt Aufarbeitung der eigenen Kinderlosigkeit – tragen Haustiere in ihren Armen, halten Blumen in den Händen. So sind sie allein und doch zu zweit, abgebildet mit ihrer „Schwesternseele“, ein Begriff, den Modersohn-Becker in den Tagebüchern der Malerin Marie Bashkirtseff kennengelernt hat. Die nackte Mutter und ihr Baby – noch ein neues, verwegenes Motiv in der Kunstgeschichte – könnten ebenfalls in dieser Symbiose gedeutet werden.

 

Rilke war ihr erster Käufer

Man will es kaum glauben, tut es aus heutiger Sicht trotzdem: Aber nichts Politisches, nichts Feministisches, Sozialkritisches ist in all diesen Motiven zu lesen, wird betont. Es ging Modersohn-Becker nur um die Malerei, nur darum, in der Einfachheit die Größe zu suchen. So wie es ihr enger Bekannter Rainer Maria Rilke in seiner Lyrik tat. Rilke, der die beste Freundin, die „Schwesternseele“, der Malerin heiratete, die Bildhauerin Clara, war auch einer der wenigen, späten Käufer: Ihm gehörte das Fragment eines großen Mutter-Kind-Gemäldes, der Säugling mit der Hand der Mutter. Er kaufte es der lange Verehrten ab, um sie zu ermutigen, ihren Mann zu verlassen und 1906 von der Künstlerkolonie Worpswerde endgültig nach Paris zu ziehen. Wo sie Rilke dann porträtierte. Dennoch zeigt das einzige Männerporträt in der Ausstellung Otto Modersohn, schlafend.


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