764--Der erzählte Schrecken
Wie ein Aufschrecken aus einem Traum, nur umgekehrt. Das, was man da Einstellung für Einstellung vorgeführt bekommt, die armseligen staubfarbenen Schlafsäle, die verfallenen Kolonialbauten und verwahrlosten Innenhöfe, all die vergitterten Fenster und zerstörten Gärten, das ist echt.

Und gleichzeitig spürt man, dass diese Art des Erzählens ganz neu ist. Eines von vielen Videos auf Monitoren und Projektionsleinwänden, eines, das sich unterscheidet. Zarina Bhimji, als Kind aus Uganda nach London emigriert, reist zurück in ihre Heimat. Die Aufnahmen, nach denen sie dort gesucht hat, ergeben einen Fluss, der nicht Film und nicht Bild ist. Es gibt in Spielfilmen diesen gestreckten Moment, in dem die Bilder innehalten, indem sie ein bisschen schneller oder langsamer werden, und auch der Ton unwillkürlich deutlicher wird - so kündigt man Unheil an. Bhimjis Video hält diese aufmerksame Spannung über die gesamte Dauer des Loops. Im extremen Weitwinkel finden Reihen von verlassenen Schlafmatten Platz, unzählige Gitterfenster, immer Mauern. Im Zeitraffer gleiten Wolken über Gefängnishöfe und ein immens beschleunigter Schatten leckt über bröckelige Backsteinwände wie Wellen über Sand.

Das Video klingt experimentell reduziert, mal ein Kinderquieken, düster-aufkommende Melodien, das Geräusch des Windes, etwas Rhythmus oder das elektronisch verzerrte Grollen von Gewitter. Dabei bleibt der Sound kräftig und voll. Genauso perlen Gewalt und Armut von den Bildern ab. Es bleibt vor allem der Reichtum der Farben, der federnden Einstellungen, der eleganten, sparsamen Kamerabewegungen. Die Glut im angeschrammten Tontopf einer Kochecke strahlt über die gesamte Projektionswand, das zerschossene, gesprungene, verschmutzte Fenster ist so mildweiß wie der Grund einer Federzeichnung. Pelzig und dunkelgrün kriecht der Schimmel über das Eierschalenweiß eines Betonbaus. Ein Schnitt verbindet im Regal aufgestellte Plastikbecher in synthetischer Farbigkeit mit den in Holz- und Metalltönen gereihter Gewehre. Selten finden Menschen im Hintergrund der Einstellungen Raum, ein paar Hühner leben im Vordergrund der aufgegebenen Villen, ein kleiner Vogel im Geäst, der Rest ist die große, prächtige und ganz gefährliche Stille.

Catrin Backhaus

Daten: Zarina Bhimji auf derDocumenta11 im Museum Fridericianum, Kassel, täglich 10 bis 20 Uhr, bis zum 15. September 2002

Und hier gibt es alle Beiträge zur Documenta11 auf Blitz Review


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