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Graz:
steirisc[:her:]bst

 
   
   

6. Oktober bis 5. November 2K

Für Festivals, die wie der steirische herbst dem IntendantInnenprinzip verhaftet sind, stellen Wechsel in der Intendanz zwangsläufig Zäsuren dar. In besonderem Ausmaß trifft dies auf den diesjährigen steirischen herbst zu, denn in seinem ersten Amtsjahr versuchte Neo-Intendant Peter Oswald mehr als deutlich neue Akzente zu setzen - und das keinesfalls nur in Form des musikalischen Wiederholungszeichens in Ecke Bonks Logo "steirisc[:her:]bst". Bereits im Vorfeld zeigte Oswald Präsenz, tourte durch Schulen, sparte auf seinem Werbefeldzug kaum Grazer Kulturinstitutionen aus, versuchte unablässig und voller nahezu außerirdischem Enthusiasmus, Neugierde für seinen st. h. zu wecken. Bei der letzten Herbst-Veranstaltung im Grazer Schauspielhaus etwa übernahm Oswald im Handstreich die Theaterkasse, versprach allen Wartenden eine Karte und füllte das Theater quasi eigenhändig bis zum letzten Platz. Jedoch konnte nicht überall gehalten werden, was die Oswald'sche Begeisterungsmaschinerie versprochen hatte. Der zur Schau gestellte Enthusiasmus wurde mitunter als zu undifferenziert wahrgenommen, als "Oberflächenveredlung aller Art", wie auf der aufgelegten Postkarte eines gewissen "Jakob Daniel" zu lesen war. Die Latte, die sich der herbst 2000 gelegt hatte, war - zumindest teilweise - zu hoch. Gleich zu Beginn war die Rede von der "Unverzichtbarkeit des Weltklasseniveaus" eines "Zeitergründungsfestivals". Ganz im Sinne des österreichischen Zeitgeistes 2000 forderte Oswald weiters eine "Repolitisierung" des Festivals, die "Wiederaufnahme einer politische Anbindung, die von der Postmoderne sistiert wurde".

Paradoxerweise manifestierte sich diese "Repolitisierung" zunächst in der Abwesenheit bislang üblicher PolitikerInnenreden zur Eröffnung. Andererseits wurde die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz beauftragt, die Eröffnungsrede zu halten sowie ein Theaterstück zu verfassen, das "explizit zur Reaktion auf die politische Situation in …sterreich auffordert." "Sapporo" - so der Titel des Stücks - konnte diesbezüglich nicht wirklichüberzeugen, vor allem nicht die Darstellung des Schimusikzirkus Hansi Hinterseer'scher Prägung als Keimzelle des österreichischen Antimodernismus und als großer Feind der Aufklärung. Ebenso wenig überzeugen konnte die vulgär-sprachphilosophisch ausgelegte Rede zur Eröffnung, genannt "Predigt vom Haben. Sein. Und werden.", in der Streeruwitz unter anderem die Ansicht vertrat, dass jeder politische Text mit seinen Methoden der semantischen Verschiebung, der Auslassung und Umbenennung lügen würde. Ein wenig hilfreicher Ansatz, denn diesen Kriterien zufolge müsste wohl jeder Text, der irgendetwas außer sich selbst beschreiben will, lügen. Das Grazer Kunstverein-Projekt "RE_public" - einziger Programmpunkt im öffentlichen Raum - wurde leider durch die unglückliche Platzierung auf dem kaum frequentierten Mariahilferplatz trotz potenziell "aufregender" Programmpunkte wie etwa Robert Jelineks "…sterreichduft" nur von wenigen gerochen beziehungsweise wahrgenommen. Das Provokante des Projekts bestand auf diese Weise in seiner Deplatziertheit, denn "RE_public" wäre gerade auf Widerspruch und eine breite öffentliche Rezeption angewiesen gewesen. Insbesondere mit den zwei Produktionen der katalanischen La Fura dels Baus zollte der Herbst aber auch der Eventkultur Tribut, sowohl "white foam" zur Musik von Wolfgang Mitterer als auch "Ob/session" mutierten zu Publikumsmagneten, auch wenn"white foam" die Kritik wenig und "Ob/session" sie nur ein klein wenig mehr überzeugen konnte. Andererseits füllten auch Bewährtes wie Sarah Kanes "Crave" oder sich erwartungsgemäß Bewährendes wie Robert Lepages "The far side of the moon" das Grazer Schauspielhaus zu 100 Prozent. Ein Schwerpunkt des herbstes galt Ex-Jugoslawien. Oswald präsentierte das Festival erstmals gesondert auf einer Pressekonferenz in Ljubljana, slowenische Medien rezipierten es in Folge sehr umfangreich - je weiter südlich desto unbekannter der "_tajerska jesen". Aus der Tatsache, dass der herbst als Koproduzent des neuesten Srbljanovic-Stückes auftrat, schloss die Belgrader Zeitung "Danas", es müsse sich dabei um ein Theater handeln. Konkret bestand der Schwerpunkt aus dem "Pulverfass" des makedonischen Dramatikers Dejan Dukovski, Biljana Srbljanovics "Fall" sowie einem Symposium zur Frauenliteratur in Ex-Jugoslawien, welches von der Schriftstellerin und Slavistin Ilma Rakusa organisiert worden war. Aufgrund zahlreicher Absagen bekannter AutorInnen wie Slavenka Drakulic, Dubravka Ugresic, Rada Ivekovic und Dejan Dukovski war dasSymposium nur halb besetzt und bis auf eine heftige Srbljanovic-Kritik der im slowenischen Exil lebenden Svetlana Slapsak blieb alles relativ lau. Slapsak hatte vor einiger Zeit in einem Radiobeitrag heftig das von der jungen Belgrader Dramatikerin gezeichnete Balkanbild sowie Srbljanovics angeblich nicht ausreichende Distanzierungen von Milosevic-Regime und Kriegsverbrechen kritisiert. Als Reaktion auf die Kritik blieb Srbljanovic dem Symposion fern und ließ lediglich am zweiten Tag des Symposiums alle Vorwürfe durch den BITEF-Direktor Nenad Prokic dementieren. Einen weiteren "Ost"-Schwerpunkt zeigte der Kunstverein im Off-Programm des Festivals. Im Ausstellungs- und Medienprojekt "Part of the system" zeigte einerseits Arbeiten osteuropäischer KünstlerInnen, in denen mancherorts unabdingbare deviante Kulturtechniken thematisiert wurden. Etwa in Fotografien von Cosmin Gradinaru, welche die faszinierende Subkultur rumänischer Autoschrotthändler dokumentieren, Gentian Shkurtis einfaches Computerspiel "Go West", auf dem die Flucht aus Albanien nach Italien nachgespielt werden kann, oder auch Oliver Musoviks Presseausweis-Imitate,die erfolgreich in den Museen dieser Welt im Einsatz sind. Zwei Diskussionsveranstaltungen zu Positionen und Positionierungen ost- wie westeuropäischer Kunstzeitschriften beziehungsweise zur Ausstellungsthematik rundeten das Programm ab. Angesprochen wurde unter anderem auch das grundsätzliche Problem, dass die Zurschaustellung osteuropäischer Widrigkeiten nolens volens "westliche" Stereotypen über den "wilden Osten" bestätigt. Wie problematisch derartige Stereotypen sein können, zeigte sich etwa in einem Fernsehbericht (auf Steiermark 1) über Dukovskis "Pulverfass", in dem keineswegs von unterschiedlichen Kulturen die Rede war: "Der Balkan als Pulverfass, das jederzeit hochgehen könnte, ist nur eine Metapher für alle Länder, in denen unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen."

herwig g. höller

www.steirischerbst.at

 
     

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