Schlangestehen für
documenta-Kunst |
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Documenta11 documenta, Lebenslauf einer Institution, Teil
3 Von Sabine B. Vogel 8. Mai
2002 In drei Teilen blickt
FAZ.NET auf die interessante Geschichte der documenta von 1955 bis
heute. Vielen mag kaum bewusst sein, dass die wichtigste
internationale Schau für Zeitgenössische Kunst eine deutsche
Nachkriegserfindung ist.
Wenn
Hunderttausende ab Juni wieder nach Kassel pilgern, erinnert sich
kaum einer daran, dass die documenta einst eine Idee des Kalten
Krieges war. Nach Jahren kultureller Weltbildverzerrung durch die
Nazidiktatur, wurde von Wilhelm Bode massiv der Anschluss an die
westliche Kunstwelt betrieben. Mit den Jahren entwickelte sich die
hierarchisch gesteuerte Veranstaltung zu einer von einem
Kuratoren-Kollektiv erarbeiteten Aktion.
documenta 8, 1987
Nach einem eklatanten
Rückschritt der documenta 7 hinter Szeemanns documenta-Konzept von
1972, sucht Mitte der 80er Jahre eine 30köpfige Findungskommission
verzweifelt nach dem Leiter der nächsten Ausgabe. Die Wahl für die
documenta 8 fällt zum zweiten Mal auf Manfred Schneckenburger.
"Öffnung in die Geschichte, in die Gesellschaft" lautet dessen
Programm. Schneckenburger stehen knapp 10 Millionen Mark zur
Verfügung und er greift ein früheres Modell von Arnold Bode auf, das
1968 nicht realisiert wurde: Präsentation von Architektur- und
Designentwicklungen. Ergänzt durch eine Audiothek, Klang- und
Videoräume findet die "Öffnung" weniger inhaltlich als vor allem
durch zahlreiche Außenskulpturen im städtischen Raum statt.
documenta 9, 1992
Die Suche geht weiter und
1992 kommt der Belgier Jan Hoet zum Einsatz. Er verwandelt die
documenta 9 in ein gewaltiges Medien- und Sponsorenspektakel. Sein
Konzept setzt auf reinste Subjektivität, erzählt von Helden und
Einzelgängern und entdeckt Tiefgaragen (Cady Noland) und Hausdächer
(Thomas Schütte) als Ausstellungsorte. Die documenta übernimmt das
gesamte Arreal rund um das Museum Fridericianum, das "Ottoneum" und
die Auen entlang bis zu Tadashi Kawamatas Hüttendorf und Rodney
Grahams Installation am Aueteich. In der "Neuen Galerie" verhängt
Joseph Kosuth Teile der Sammlung und Zoe Leonard zeigt ihre
Vagina-Fotoserie.
Flankiert wird die Kunst auf
der documenta 9 von einem uferlosen Entertainment-Programm:
Boxkämpfe und Baseball-Match, Popkonzerte, Theater, Tanz und
Filmprogramm - und nicht zu vergessen "Van Gogh-TV": 24 Stunden
live, 100 Tage lang, sendet "Ponton media lab" ihr "Piazza
Virtuale"-Programm aus - ein früher, trauriger Versuch von
Zuschauergesteuertem TV. Die Nähe von Kunst und Kultur verliert sich
in Ereignissen.
documenta 10, 1997
Nach diesem Höhepunkt
reinsten Spektakels unter Jan Hoet setzt die Französin Catherine
David ein hochintellektuelles Konzept unter dem Motto "Blick zurück
nach vorn". Rückblick und Vorschau sollen in einem "Parcours" vom
ehemaligen Kasseler Bahnhof bis zur documenta-Halle die Bezüge
zwischen der documenta-Geschichte, der Kasseler Architektur und der
jüngsten Kunstentwicklungen thematisieren. Das Budget war auch
dementsprechend gestiegen.
Hatte Hoet gut 18 Millionen
Mark zur Verfügung, betrug das Budget jetzt 20 Millionen Mark. -
Kassel und Hessen hatten ihren Beitrag um je 1 Million erhöht.
Nachhaltig in Erinnerung blieben Lois Weinbergers Bepflanzungen
stillgelegter Gleise, William Kentridges gezeichneter Film im Museum
Fridericianum und die gemeinsame Gestaltung des Vortragssaales von
Heimo Zobernig und Franz West in der documenta-Halle. Hier fand das
"100 Tage - 100 Gäste"-Programm mit Vorträgen über Ethik und
Ästhetik, Politik und Kultur statt. Nachhaltig aber auch bleibt die
Kritik. Sie begann schon im Vorfeld und wollte nicht abreißen.
Vielen war die documenta 10
zu Kopflastig. Und den vielen, bestens bekannten Werken von
eigentlich schon klassischen Künstler wie Marcel Broodthaers,
Michelangelo Pistoletto oder Gerhard Richter stand in der
Ausstellung zu wenig Neues entgegen.
documenta 11, 2002
Aus der spannungsvollen
Geschichte der documenta zog der diesjährige Leiter Okwui Enwezor
seine Konsequenzen. Die Forderung nach einer theoretischen
Einbettung der Kunst in politische und gesellschaftliche
Diskussionen erfüllt Enwezor mit seinen vier "Plattformen", die im
vergangenen Frühjahr bereits in Wien mit dem Thema: "Demokratie als
unvollendeter Prozeß" starteten.
Weiter ging Enwezors
Welttournee zu "Experimente mit der Wahrheit" in Neu Delhi,
"Creolite und Kreolisierung" in St. Lucia und "Unter Belagerung:
Vier afrikanische Städte, Freetown, Johannesburg, Kinshasa, Lagos"
in Lagos. Damit ist jede Forderung nach kulturtheoretischer bis
politischer Diskurse mehr als erfüllt und die fünfte Plattform kann
am 8. Juni als pure Ausstellung eröffnen. Lange blieb die
Spekulation, denn die Künstlerliste hielt Enwezor mit seinem
internationalen Kuratoren-Team Ute Meta-Bauer, Carlos Basualdo,
Sarat Maharaj, Mark Nash, Angelika Nollert bis vor wenigen Tagen
unter strengstem Verschluß. Damit nahm er der beliebten Kritik im
Vorfeld lange den Wind aus den Segeln.
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