Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte
Zum 70. Geburtstag von Christian Ludwig, der sich Attersee nennt und einer der prominentesten Maler ist

Zwischen Malzeit und Mahlzeit

Christian 
Ludwig Attersee.Foto: apa

Christian Ludwig Attersee.Foto: apa

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Vom Regattasegler zum Allroundkünstler.
Aufzählung Der Einzelgänger auf dem Weg zum Glück.
Aufzählung Das Œuvre umfasst bisher 8500 Bilder.

Wien. Viel kann sich ein Künstler nach 450 internationalen Ausstellungen, seit 1997 Österreichischer Staatspreisträger für Kunst, Beiträger der Documenta und Vertreter Österreichs auf der Biennale von Venedig zum 70. Geburtstag nicht mehr wünschen. Dabei ist Christian Ludwig Attersee, dessen Ehrentag am Samstag ist, dem hellenistischen Philosophen Epikur nahe, der in der Akzeptanz freudiger Lust das Ziel des glücklichen Lebens sah. Für den Künstler ist das Glück aber nicht zu philosophieren, sondern zu malen und den Malakt als Begegnung von Braut mit Bräutigam zu be-

trachten. Diese "heilige Hochzeit" mit sich selbst vollzieht er täg-

lich neu – deshalb kann man Attersee ruhig vorwerfen, er male zu viel.

Doch auch Arbeiten im öffentlichen Raum und auf namhaften Bühnen mit bekannten Regisseuren wie Heiner Müller haben ihn, neben Musikaufnahmen, Filmen und literarischem Wortspiel, bekannt gemacht. Nicht zu vergessen, dass er unter seinem bürgerlichen Namen Christian Ludwig dreifacher Staatsmeister im Segeln war. Attersee nennt er sich selbst seit 1966, seine Musik Attersee-Musik, jedes seiner Bilder trägt sichtbar diese Signatur, als müsse er heutiger Selbstentfremdung entfliehen, sein selbst kreierter Kräuterwermut heißt "Atterbitter", als würde allen, denen seine Kost im Magen liegt, die Abhilfe mitgeliefert.

Die inszenatorische Selbstverwandlung in einer Fotosequenz vor dem Ortsschild Attersee war 1969 nach Objektkunst und performativer Fotografie Auftakt zur Malerei, jenem Medium, dem er bis heute am treuesten blieb.

Als Flüchtlingskind, geboren 1940 in Bratislava (Pressburg), hatte er neben seiner Segelleidenschaft bereits in der Linzer Gymnasialzeit mit Kurzromanen, Liedern, Comics und Bühnenentwürfen den Ehrgeiz des Frühreifen entwickelt. 1957 bis 1963 studierte er bei Eduard Bäumer an der "Angewandten" in Wien Malerei und Grafik.

Rühm, Rock und Freud

Daneben war er zeitgemäß Rock ’n’ Roll-Sänger, kam ab 1965 mit Gerhard Rühm und der Wiener Gruppe und ab 1966 mit den Wiener Aktionisten in Kontakt. Nimmt man das Tabubruch-Objekt "Vagina. Deflorationsgegenstand" oder "Attersees dichtende Pflanzenfettmagarine" oder den "Würfelbüstenhalter" von 1965, sind auch Sigmund Freud und der Sprachkritiker Ludwig Wittgenstein nahe. Daneben nimmt er Kunstschamanen wie Jospeh Beuys auf die Schaufel – oder eher auf den "Speisepflug", das Messer seines "Atterstecks".

Wer den Maler als Musiker mit Gerhard Rühm auf zwei Klavieren improvisieren gehört hat, kann sich glücklich schätzen, denn dieses nun schon alte Teamwork ist immer ein kulinarisches wie anspruchsvolles Erlebnis, weil es als Experiment den falschen Ton mit einbezieht.

Der Improvisation zwischen Dissonanz und Harmonie auf der Bühne steht trotz langer Freundschaft und Zusammenarbeit mit den Aktionisten eine andere Auffassung zum Leben als Kunst gegenüber. Attersee weidet sich nicht an Leid, Tod und Hässlichkeit. Sein Bezug zum Katholischen ist rein bildlich, Glauben kennt er keinen, die Existenz Gottes lehnt er ab. Skepsis und Ironie sind in seiner Malerei und seinen vielstimmigen Wortkombinationen spürbar. Die Welt zu verbessern, steht ihm nicht im Sinn, gnostische Neigungen der Gegenwartskunst lehnt er ab: Die beste aller Welten gilt es zu bereichern, nicht vom Bösen zu erlösen.

Die Malerei betreibt er beidhändig als wäre sie ein Segeln durch die Gischt des Phantastischen, das er in Bruchstücke zerlegt. Ein angestrebtes Ganzes in der hohen Kunst ist ihm suspekt, da wird er zerstörerisch, weshalb sein Hang zur angewandten Kunst, zu Dekoration und sein Kokettieren mit dem Kitsch ein absichtliches Unterfangen ist. Hier ist er ganz Pop-Artist, aber weder den Amerikanern noch der Paranoia der Surrealisten ganz verpflichtet.

Der stillose Stilist

Fortsetzer von einem Stil zu sein, das passt ohnehin nicht zu ihm, der sich als Einzelgänger propagiert. Dass jemand stillos, offen in Motiven, eigentlich nur dem Impetus des Schönen folgt, ist Grund der Kritik an so manchem seiner bis dato 8500 Bilder. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er die Oberfläche der Leinwand zur Bühne seiner Mythologien macht, über den Rahmen locker hinausmalt, mit einer Fülle von grotesken Einfällen. Sie wirken oft wie eine blaue Mahlzeit für sein frühes Objekt "Attersteck". Da wird die erotische Vereinigung Einverleibung der Formen und Farben. Ein (Nach-)Schöpfungsakt, mit allen Wassern und Wettern gewaschen, darin zeigen sich seine zerstückelten Wesen als Metamorphose zwischen Tier und Mensch, die im nächtlichen Blau oder Schwarz schweben oder in der Luft und am und unter Wasser eine Auflösung zum Ornament anstreben.

Die Zusammenarbeit mit Daniel Spoerri für die Siebdruckmappe "Zehn Appetitknospen" lässt eine Nähe zur "Eat-Art" ahnen, doch teilt er mit den Nouveau Réalistes auch die Liebe

zum Sinnlosen, das durch den Schöpfungsakt erst seinen Sinn erfährt.

Attersee ist ganz irdisch, zeitgemäß entsteht sein Bild erst beim Malen, die Motive werden ineinandergesetzt wie die Worte "Wasserküsser", "Blauschmiede", "Nachtfrühling", "Gischtgebet" oder "Zierkrieg", um doppelbödige Assoziationen auszulösen. Im Schöpferischen ist er meist männlich, da wird durchbohrt und geschnitten – wie er sagt, ist sein Zeichenstrich mit dem Messerschnitt vergleichbar. Das entspricht der Eroberung der Wasserwelt in einer Atlantiküberquerung mit der Jacht "Puritan" 1979/80. Doch daneben ist das Weibliche und das Androgyne wie in den frühen Fotozyklen Thema der glücklichen Wiedervereinigung der getrennten Geschlechter im Alchimistischen der Farbmaterie oder in Freuds Reich des Polymorph-Perversen.

Der Lehrer lehrte Glück

Anfang September wird ein neues Buch über sein Leben und Werk von Rainer Metzger und Daniela Gregori erscheinen. Davor hat Peter Gorsen 1994 bereits ein Werkverzeichnis erstellt. 1992 wurden unter dem Titel "Die Tauglocke. Sprache von Wasser und Liebe" seine Gedichte und die Kurzprosa publiziert, in der Mariahilfer Straße steht das Atterseehaus, ein Einkaufscenter mit einem Mosaik des Künstlers – da kommt der Verdacht auf, dass wohl der "kapitalistische Realismus", den Gerhard Richter für sich propagierte, am ehesten als Vergleich dienen mag. Flaschenetiketten, Briefmarken und ähnliches Angewandte zeigen die Vorliebe des kürzlich emeritierten Professors der Angewandten für diese breite Kunstauffassung.

Dass Geschmack und Kunst nicht unbedingt ein Paar sind, hat schon der Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl kurz nach 1900 geäußert. Zuerst unterrichtete Attersee experimentelles Gestalten, dann Malerei, Animationsfilm und Tapisserie. Es gibt keine böse Nachrede seiner teils prominent gewordenen Schülerschar. Da liegt nahe, dass er sie lehrte, aus Skepsis und Selbstironie Glück zu schöpfen.



Printausgabe vom Donnerstag, 26. August 2010
Online seit: Mittwoch, 25. August 2010 17:47:26

Kommentar senden:
Name:

Mail:

Überschrift:

Text (max. 1500 Zeichen):

Postadresse:*
H-DMZN07 Bitte geben sie den Sicherheitscode aus dem grünen Feld hier ein. Der Code besteht aus 6 Zeichen.
Bitte beachten Sie dabei die Groß- und Kleinschreibung!


* Kommentare werden nicht automatisch veröffentlicht. Die Redaktion behält sich vor Kommentare abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese Adresse wird online nicht veröffentlicht.

Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at