DiePresse.com | Kultur | News | Artikel DruckenArtikel drucken


Susan Hiller: Im Haus des Vaters

08.05.2008 | 18:30 | THOMAS KRAMAR (Die Presse)

Bawag Foundation. Sigmund Freud und andere Geister: Die amerikanische Künstlerin Susan Hiller zeigt ihre Meditationen über Erinnern, Vergessen und das Unheimliche.

Ein Cowgirl auf einer alten Fotografie, ihre Pistole zeigt auf vier Kühe aus Porzellan, deren eine (schon) zerbrochen ist. „Es war mir ein besonderes Vergnügen“, sagt Susan Hiller, „das im Haus des Vaters zu platzieren.“

Der Vater, das ist Sigmund Freud, und in seinem Haus spricht man nicht über sexuellen Missbrauch. Dass Freud dessen Verdrängung durch seine These infantiler Wunschfantasien – der kleine Ödipus und die kleine Elektra wollten Mutter respektive Vater ja verführen! – gefördert habe, das ist die wohl empfindlichste Kritik des Feminismus am Vater der Psychoanalyse.

Hiller, geboren 1940, die sich (auch) als feministische Künstlerin sieht, assoziiert mit ihrem Cowgirl-mit-Kühen-Stillleben zwar keinen sexuellen Missbrauch, aber „sexual insult“. Denn die Kühe sind als Milchspender gestaltet, und wenn man nur will, kann man sich alle möglichen Herrenwitze zum Thema einfallen lassen, die von der Schützin, klickeradoms!, zerschossen werden.

Will man? Just in dem Werk, von dem die Ausstellung ihren Titel hat („Outlaw Cowgirl and Other Works“), wirkt die Assoziationskette, die der Katalog vorschlägt, etwas gezwungen. (Wogegen freilich die Beherzigung einer alten Lebensweisheit geholfen hätte: Bei Konzeptkunst nie im Katalog lesen!)


Wasser aus Acheron und Lethe

Ansonsten sind Hillers Anordnungen subtil und dicht: träumerisch, traumhaft.

„Flectere si nequeo superos, acheronta movebo“ („Kann ich die Oberen nicht beugen, dann werde ich die Unterwelt in Bewegung setzen“), dieses Zitat aus der Äneis wählte Freud als Motto für die „Traumdeutung“. „Acheronta“ wird meist mit „Unterwelt“ übersetzt, wörtlich ist es der Acheron, in der griechischen Mythologie einer der fünf Flüsse der Unterwelt, aber auch ein realer Fluss in Griechenland. Hiller hat ihm Wasser entnommen, ebenso wie der Lethe und der Mnemosyne, sie hat es in Flaschen abgefüllt, als kleinen Teil der Installation „From The Freud Museum“, inspiriert von der Antikensammlung Freuds: 50 Kartonschachteln voller arrangierter Gegenstände, ein Zitat aus „Ödipus Rex“, eine Aids-Statistik, ein Memento mori, Alphabete, Amulette, eine Geschichte des Judentums, eine Flasche mit einem getrockneten Veilchen, eine Glasmenagerie, wieder die Kühe...

Alle Objekte sind hier mit Bedeutung aufgeladen, alles schreit nach Deutung. Wie der Tintenfleck, den Freud auf einem Brief an seine Verlobte hinterließ: „Hier ist uns die Feder aus der Hand gefallen und hat dieses Geheimzeichen geschrieben. Wir bitten um Entschuldigung und sich nicht um eine Deutung zu bemühen“, vermerkte Freud dazu, das war 1882, als er noch lange nichts professionell deutete!

Dieses seltsame Dokument hat Hiller in ihre Serie „The Curiosities of Sigmund Freud“ aufgenommen: eine Serie verschwommener, fleckiger Bilder, die geisterhaft anmuten, wie die Fotografien, auf denen Abergläubige Ufos zu erkennen glauben. In „Witness“ berichten sie davon, ihre Zeugnisse klingen aus den Lautsprechern, die an glitzernden Fäden von der Decke hängen: ein ganzer Raum voller Gedächtnisspuren, eine Beschwörung der Idee, dass doch etwas hängen bleiben muss von unseren Gedanken und Geschichten in der Luft.


Buchstaben aus Grabinschriften

Doch Objekte haben keine Aura, kein nicht-materielles Feld, sie erinnern sich an nichts, sie erinnern bestenfalls uns. Das ist eine Pointe der „Ceramic Works“: Die Vasen, die da aufgestellt sind, sind aus der DDR oder der BRD, man sieht es nicht, man müsste es dazuschreiben; die Buchstaben, die zur Erinnerung und/oder zum Vergessen mahnen („Remember to forget“, „Forget to forget“ usw.), sind aus Grabinschriften entnommen, nichts an ihnen haftet von den Toten, an die sie einst erinnern sollten.

Judengasse, Judenpfad, Jüdeweiner Straße, Judentor, Jüdenhof,... Im „J.Street Project“ hat Hiller all die Straßen und Plätze in Deutschland fotografiert, deren Namen man bis heute nicht unbefangen ausspricht, weil in ihnen die Erinnerung an die NS-Verbrechen mitschwingt. Weil das viel später aufgekommene Angstbild von der Neutronenbombe hier wirklich geworden ist: Die Schilder sind geblieben in den Landschaften, die Menschen nicht. Beklemmend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2008)


© DiePresse.com