Salzburger Nachrichten am 18. Februar 2006 - Bereich: Kultur
Kunst als Watschenmann Kunst diene in Salzburg
als Watschenmann, sagt der Kunsthistoriker Anselm Wagner. Dies zeige sich
an der Debatte über erste Ideen für "kontra.com 06".
Hedwig Kainberger Interview Das Festival "kontra.com" sollte von 12.
Mai bis 16. Juli im Mozartjahr beweisen, dass Salzburg offen für
zeitgenössische Kunst und Musik ist. Doch drei Monate vor dem Start wächst
die Aufregung über eines der vielen "kontra.com"-Projekte: Die Künstlerin
Paola Pivi hat die Idee, vor dem Mozartdenkmal einen umgedrehten
Hubschrauber zu platzieren. Die SN fragten dazu den in Graz lehrenden
Kunsthistoriker Anselm Wagner. Wie ist die Empörung über das Helikopter-Projekt zu erklären? Wagner:
Kunst im öffentlichen Raum hat immer mit Macht zu tun. Wer den Raum
beherrscht, schafft an - egal, ob das die Statue eines Fürsten, Diktators
oder eine Cola-Werbung ist. Niemand hat sich aufgeregt, als an der Fassade der Neuen Residenz am
Mozartplatz monatelang die riesige Werbung einer Bank zu sehen war. Wir
leben im Kapitalismus, und wir haben das nolens volens akzeptiert. Es
würde kaum jemanden aufregen, wenn das Bundesheer in einer Leistungsschau
auf Residenz- und Mozartplatz Helikopter und anderes Kriegsgerät zeigte.
Aber wenn "Kunst" drauf steht, also wenn gesagt wird, dieses Ding hat
keinen praktischen Zweck, wird diese Machtposition aufgehoben. Die
Menschen können dann ihre aufgestauten Ohnmachtsgefühle loswerden, sie
können ein kleines bisschen mächtig sein in ihrer Stadt, und die Kunst
dient dann als Watschenmann. In Salzburg ist die Toleranzschwelle
vermutlich so niedrig, weil sich die Bürger hier in hohem Maße entmachtet
fühlen: Die Innenstadt gehört dem Kommerz, dem Tourismus, den Festspielen,
gegen die kann man nichts sagen, davon lebt man ja. Und die Aktivitäten
der Salzburg Foundation, die ohne öffentliche Debatte Jahr für Jahr einen
Platz mit einem Kunstwerk besetzt, haben das Vertrauen der Bürger in diese
von oben verordnete öffentliche Kunst nicht verbessert. Die Stimmung ist
gereizt, so dass schon eine Kleinigkeit Empörung auslösen kann. Ist das eine gute Idee, einen umgedrehten Hubschrauber Mozart zu Füßen
zu legen? Wagner: Ich war anfangs skeptisch, vor allem weil Paola Pivi
bereits 1999 auf der Biennale in Venedig einen auf dem Rücken liegenden
Jagdbomber gezeigt hat. Das Ganze schien mir beliebig. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir das
Projekt. Der Mozart von Schwanthaler sieht ja mehr wie ein Feldherr aus,
der Helikopter wird ihm sozusagen als Kriegsbeute vor die Füße gelegt.
Eine barocke Allegorie! Die Musik triumphiert über den Krieg, und
tatsächlich hat Österreich seit 1918, seit es militärisch keine Rolle
spielt, sich als "Kulturnation" neu erfunden. "Kriege mögen andere führen,
aber du, glückliches Österreich, vermarkte deine Künstler!" Nicht absagen, sondern die Hausaufgaben der Vermittlung machen Der
Mozartplatz hatte eine martialische Vergangenheit. Er hieß Michaelsplatz,
wegen Michaelskirche und Michaelstor, das im 19. Jahrhundert abgerissen
wurde. Der Erzengel mit Feuer und Schwert war in der Gegenreformation eine
wichtige Figur. Jetzt liegt der Helikopter hilflos auf seinen Flügeln, wie
ein gestürzter Engel. Man wird sehen, ob das in der Realität alles so
funktioniert. In der Salzburger Bevölkerung gibt es offenbar viele Gegner dieses
Projekts für den Mozartplatz. Was würden Sie dem Bürgermeister Salzburgs
in diesem Falle raten? Absagen? Wagner: Nein. Mit einer Absage würde sich
Salzburg lächerlich machen. Ich würde aber Herrn Hollein und seine Crew
dringend ersuchen, endlich ihre Hausaufgaben zu machen und
Vermittlungsarbeit zu leisten. Das ist bei Kunst im öffentlichen Raum das
Um und Auf. Es genügt nicht, die Leute mit dürren Sätzen wie "Mozart war
viel auf Reisen" und "der Hubschrauber ist ein Transportmittel unserer
Zeit" abzuspeisen. Ich wette, wenn man die Bürger ernst nimmt und die Sache gut
argumentiert, lässt sich das politisch gut überstehen. Außerdem ist es ja
nur ein temporäres Projekt. Wie lassen sich die Grenzen der Freiheit der
Kunst umschreiben? Wagner: Da gibt es keine fixe Grenze, das muss jede
Gesellschaft immer wieder neu ausverhandeln. Liberale Gesellschaften
lassen viel zu, konservative wenig. Es steht außer Streit, dass man unter
dem Deckmantel der Freiheit der Kunst kein schweres Verbrechen begehen
darf. Nur: Was ist ein schweres Verbrechen? Beleidigung des Türkentums?
Das Verbrennen einer Fahne? In manchen Ländern kann man dafür für viele
Jahre hinter Gittern landen. Gibt es eine Schmerzgrenze für Kunst im öffentlichen Raum? Wann ist ein
Kunstwerk nicht mehr zumutbar? Wagner: Problematisch wird es, wenn Hetze
betrieben wird gegen Minderheiten oder Menschen, die sich nicht wehren
können, wenn Menschen schwer beleidigt werden. Vor zwei Jahren hat
Maurizio Cattelan in Mailand die realistischen Figuren von Kindern mit
Stricken um den Hals an einen Baum gehenkt. Ein Passant hat das eines
Tages nicht mehr ausgehalten und die Figuren abgeschnitten, weil seine
Enkel durch die Skulpturen verstört waren. Diese Reaktion verstehe ich, so
sehr ich Cattelan sonst schätze. Was sind vorbildliche Beispiele für Kunst im öffentlichen Raum? Wagner:
Da gäbe es viele Beispiele, ich möchte zwei gegensätzliche erwähnen: Zum
einen Christoph Schlingensiefs "Ausländer raus"-Container vor der Wiener
Staatsoper im Sommer 2000, das war eine wichtige Provokation und hat den
Finger in eine österreichische Wunde gelegt und kräftig reingedrückt. Zum anderen nenne ich Robert Milins "Ortsbebilderung" auf dem
Fanningberg bei Mauterndorf im Lungau 1996. Milin und sein Kurator Ulrich
Mellitzer haben intensiv mit den Bauern gearbeitet, und es ist eine
stille, poetische Arbeit entstanden, auf die die Leute heute noch stolz
sind. |