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Kunstberichte

Passt der Sessel, zappelt niemand

Eine Schau im Hofmobiliendepot/Möbel Museum Wien befasst sich mit der Geschichte der Möbel für Kinder
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- Ob der Kronprinz da wohl still gesessen ist? Der Hochstuhl von Kronprinz Rudolf (Wien um 1860) ist Teil der Kindermnöbelausstellung im Hofmobiliendepot.  Foto: Simak

Ob der Kronprinz da wohl still gesessen ist? Der Hochstuhl von Kronprinz Rudolf (Wien um 1860) ist Teil der Kindermnöbelausstellung im Hofmobiliendepot. Foto: Simak

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Schon im neuen "Auge des Museums", einer Glasbox über dem Eingang Andreasgasse von "sputnic" (Architekt Norbert Steiner), sind fünf bunte Objekte im Schwebezustand montiert, um auf die neue Ausstellung hinzuweisen: "Zappel, Philipp! Die Welt der Kindermöbel" ist auch eine Sozialgeschichte der letzten beiden Jahrhunderte.

Kein geringerer als der französische Historiker Philipe Ariès hat sich in fünf Bänden dem ersten Lebensalter gewidmet. Er weist nach, was auch die Möbelgeschichte klar vor Augen führt: Vor der Aufklärung gab es zwar das Baby, aber ab der selbständigen Lauffähigkeit galt das Kind als kleiner Erwachsener.

Die historischen Kindermöbel sind also vor allem die Wiege, der Laufstall und kleine Leibstühle.

Die ersten Gitterbetten aus Schönbrunn mit einem Netz statt Stäben wirken freilich noch wie kleine Gefängnisse. Die Prunkwiege für Kronprinz Rudolf ist zwar aus Gold und Mahagoni, aber unpraktisch gegen die ersten Entwürfe der Bugholzfirma Thonet. Diese Firma hatte ab 1880 eine ganze Menge von Kinderstühlen in ihrem Programm: Zum Schaukeln genauso wie für die Puppenhäuser. Aus Kostengründen blieb den Durchschnittskindern nach wie vor nur das Erwachsenenmöbel, weshalb Heinrich Hoffmanns "Zappel Philipp" aus dem "Struwwelpeter" hier als Opfer gilt.

Auch in der Wiener Moderne sind vor allem Familien wie die Wittgensteins oder Stoclets Auftraggeber für spezielle Kinderzimmerausstattungen durch Josef Hoffmann, Robert Oerely oder Otto Prutscher – eine Tradition, die in Holland die De Stijl-Gruppe und in Deutschland das Bauhaus fortsetze.

Marcel Breuer hat seine wunderbaren Stahlrohrsessel und Tische auch für Kinder gefertigt, doch es gibt von ihm auch Holzmodelle und erste Teile in einem Art Baukastensystem von Alma Siedhoff-Buscher scheinen besonders gut überlegt. Sie und die Wienerin Margarethe Schütte-Lihotzky haben sich einer nach den sozialen Ideen Maria Montessoris modifizierten Ideen gewidmet. Letztere baute mit ihrem Mann Wilhelm Schütte, Ferdinand Kramer und Franz Singer Kindergartenmöbeln für das Rote Wien und Neue Frankfurt.

Design von Architekten

Eine neue Phase beginnt mit den Fünfzigerjahren, als bedeutende Architekten aus Sperrholz und Metall auch Spielobjekte entwarfen, das gilt für Alvar Aalto, Arne Jacobsen sowie das Ehepaar Charles und Ray Eames oder in Österreich Johannes Spalt und Roland Rainer.

Mit der Phase der antiautoritären Erziehung in den Sechzigerjahren kamen nicht nur Plastik, Leder und Pappe ins Spiel, sondern auch kindgerechte Formen und ganze Spielinseln oder eigene Hochbettkonstruktionen von Luigi Colani, Günter Beltzig und Walter Papst.

Ganz besonders widmete sich die DDR dem therapeutischen Objekt zwischen Möbel und Spielzeug: Renate Müllers Tiergarten zum Sitzen erstaunt durch bestechenden Einfachheit und Witz. Einige Schulbänke zäumen das Thema für Deutschland und Österreich dann noch einmal mit eigenen Exponaten und vielen aus der Sammlung Reinke in Westfalen auf. Diese besondere Schau wird, von einem Buch der Kuratorin Eva Ottillinger begleitet, auch nach Herford wandern.

Zappel, Philipp!

Die Welt der Kindermöbel

Kuratorin: Eva Ottillinger

Hofmobilendepot

Zu sehen bis 7. Jänner 2007

Beschwingtes Sitzen.

Mittwoch, 04. Oktober 2006


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