Schon im neuen "Auge des Museums", einer
Glasbox über dem Eingang Andreasgasse von "sputnic" (Architekt Norbert
Steiner), sind fünf bunte Objekte im Schwebezustand montiert, um auf
die neue Ausstellung hinzuweisen: "Zappel, Philipp! Die Welt der
Kindermöbel" ist auch eine Sozialgeschichte der letzten beiden
Jahrhunderte.
Kein geringerer als der französische
Historiker Philipe Ariès hat sich in fünf Bänden dem ersten Lebensalter
gewidmet. Er weist nach, was auch die Möbelgeschichte klar vor Augen
führt: Vor der Aufklärung gab es zwar das Baby, aber ab der
selbständigen Lauffähigkeit galt das Kind als kleiner Erwachsener.
Die historischen Kindermöbel sind also vor allem die Wiege, der Laufstall und kleine Leibstühle.
Die ersten Gitterbetten aus Schönbrunn mit einem Netz statt Stäben
wirken freilich noch wie kleine Gefängnisse. Die Prunkwiege für
Kronprinz Rudolf ist zwar aus Gold und Mahagoni, aber unpraktisch gegen
die ersten Entwürfe der Bugholzfirma Thonet. Diese Firma hatte ab 1880
eine ganze Menge von Kinderstühlen in ihrem Programm: Zum Schaukeln
genauso wie für die Puppenhäuser. Aus Kostengründen blieb den
Durchschnittskindern nach wie vor nur das Erwachsenenmöbel, weshalb
Heinrich Hoffmanns "Zappel Philipp" aus dem "Struwwelpeter" hier als
Opfer gilt.
Auch in der Wiener Moderne sind vor allem Familien wie die
Wittgensteins oder Stoclets Auftraggeber für spezielle
Kinderzimmerausstattungen durch Josef Hoffmann, Robert Oerely oder Otto
Prutscher – eine Tradition, die in Holland die De Stijl-Gruppe und in
Deutschland das Bauhaus fortsetze.
Marcel Breuer hat seine wunderbaren Stahlrohrsessel und Tische auch
für Kinder gefertigt, doch es gibt von ihm auch Holzmodelle und erste
Teile in einem Art Baukastensystem von Alma Siedhoff-Buscher scheinen
besonders gut überlegt. Sie und die Wienerin Margarethe
Schütte-Lihotzky haben sich einer nach den sozialen Ideen Maria
Montessoris modifizierten Ideen gewidmet. Letztere baute mit ihrem Mann
Wilhelm Schütte, Ferdinand Kramer und Franz Singer Kindergartenmöbeln
für das Rote Wien und Neue Frankfurt.
Design von Architekten
Eine neue Phase beginnt mit den Fünfzigerjahren, als bedeutende
Architekten aus Sperrholz und Metall auch Spielobjekte entwarfen, das
gilt für Alvar Aalto, Arne Jacobsen sowie das Ehepaar Charles und Ray
Eames oder in Österreich Johannes Spalt und Roland Rainer.
Mit der Phase der antiautoritären Erziehung in den Sechzigerjahren
kamen nicht nur Plastik, Leder und Pappe ins Spiel, sondern auch
kindgerechte Formen und ganze Spielinseln oder eigene
Hochbettkonstruktionen von Luigi Colani, Günter Beltzig und Walter
Papst.
Ganz besonders widmete sich die DDR dem therapeutischen Objekt
zwischen Möbel und Spielzeug: Renate Müllers Tiergarten zum Sitzen
erstaunt durch bestechenden Einfachheit und Witz. Einige Schulbänke
zäumen das Thema für Deutschland und Österreich dann noch einmal mit
eigenen Exponaten und vielen aus der Sammlung Reinke in Westfalen auf.
Diese besondere Schau wird, von einem Buch der Kuratorin Eva
Ottillinger begleitet, auch nach Herford wandern.
Zappel, Philipp!
Die Welt der Kindermöbel
Kuratorin: Eva Ottillinger
Hofmobilendepot
Zu sehen bis 7. Jänner 2007
Beschwingtes Sitzen.
Mittwoch, 04. Oktober 2006