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Paul Klee: Der Tod, der Witz, die Seele

08.05.2008 | 18:30 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Albertina. Nach 40 Jahren wieder in Wien – Paul Klee, Werk und Leben, untrennbar.

Es fällt nicht schwer, intim zu werden mit Paul Klees Bildern. Ganz nah muss man sich zu ihnen beugen, kann man auch, keine Absperrungen hindern einen in der dämmrigen Pfeilerhalle der Albertina. Dann erst taucht der Blick wirklich ein in die delikat konzipierten kleinen Traumwelten, die sich reizvoll zurückhaltend vor einem entspinnen. Und schon ist man gefangen. Von der eigenen Neugierde, der Lust aufs Verrätselte, von der einnehmenden, so leichthändig daherkommenden Formensprache, den kindlichen Zeichen, den so flüchtig hingefegt wirkenden Strichen und Farbwehen – und von Klees Schicksal, dessen Schatten man so gerne bereit ist, überall verborgen lauern zu sehen.

 

In der Nazizeit wurde seine zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit tänzelnde Kunst als „entartet“ geschändet. Gerade als sich sein Lebenstraum erfüllte, nämlich nach der Bauhaus-Zeit eine Professur an einer „richtigen“ Kunstakademie (in Düsseldorf) zu erhalten, musste er in die Schweiz emigrieren. 1935 diagnostizierte man bei ihm unheilbare Sklerodermie, eine unaufhaltsame Bindegewebsverhärtung, an der er 1940 starb. Zuletzt hatte sich der manisch Schaffende den Pinsel sogar an den Arm binden lassen, was die gröberen Formen seiner letzten Bilder erklärt. 9000 Werke hat Klee schließlich hinterlassen. Ein gewaltiges ?uvre. Ein gewaltiges Feld für Sammler.

Carl Djerassi ist einer von ihnen, die Hälfte seiner Klee-Sammlung, 67 Bilder – und alle, die er in Zukunft kaufen wird –, schenkte er der Albertina, die sie heuer zu seinem 85.Geburtstag präsentiert, inmitten einer 150 Werke starken Retrospektive, ergänzt von Leihgaben wie dem zweiten Teil der Djerassi-Sammlung aus dem San Francisco Museum of Modern Art und eigenen Beständen, u.a. aus dem Nachlass des Klee-Freundes Alfred Kubin. Es ist die erste Klee-Ausstellung in Wien seit 1968 im 20erHaus. Entdeckt hat Djerassis Schatz für Österreich aber Carl Aigner, der ihn 2002 in Krems zeigte.

Es sind versöhnliche Schritte Djerassis zurück in die Wiener Heimat, aus der auch er, wie einst Klee, vor den Nazis flüchten musste. Allerdings ist Exchemiker Djerassi, der sich „Mutter der Pille“ nennt, jüdischer Abstammung. Klee war es nicht, obwohl ihn die Nazis gern als solchen gesehen hätten. Doch er war nur umgeben von jüdischen Künstlerfreunden, bei der Münchner Gruppe „Blauer Reiter“ wie beim Bauhaus. Postum hat Djerassi ihn aber doch eingemeindet, nennt ihn im Buch „Vier Juden auf dem Parnass“, aus dem der bekennende Egomane u.a. mit einem weiteren, Klaus Albrecht Schröder, am Vorabend der Eröffnung in der Albertina vortrug – den „typischen nichtjüdischen Juden“. Was auch immer das heißen soll.

Man verheddert sich bei Klee leicht in wechselseitigen biografischen Betroffenheiten; die Möglichkeit der Verschränkung von Leben und Werk lässt einen schwer kalt, steht man etwa seinem vielleicht letzten Bild gegenüber, dem „Blauen Mantel“, einem tierartigen Wesen mit weit aufgerissenen Augen und loser Zahnreihe darunter. Ein Todesengel? Ein Selbstporträt? Klees Seele? Jedenfalls ist das berührende kleine Motiv zurzeit riesengroß in der ganzen Stadt plakatiert, schmückt Katalog und Einladungen.


Der Maler als Chemiker

Also versuchen wir es auch einmal rational mit Klee, das macht offener für seinen Witz und die Würdigung seiner technischen Vorreiterrolle. Seinen Kollegen schien das einst noch leichterzufallen, am Bauhaus verspotteten sie den Malerfreund gerne als „Chemiker“, da sein Atelier sie eher an ein Labor erinnerte – was der Klee-Obsession Djerassis, der in seiner Zweitkarriere als Schriftsteller wohl Ähnliches erfuhr, sicher nicht abträglich war. Tatsächlich experimentierte Klee unermüdlich: Er malte (sehr dicht) und zeichnete (sehr luftig) auf Jute, Nessel, Holz, Pappe, mit Kreide, Gips, Lasur-, Wasser-, Tempera-, verschiedensten Ölfarben – vieles davon stellte er selber her. Vielleicht als kleine Revanche zum Chemikerspott machte er sich dann über die Diskussionen der Grafiker am Bauhaus lustig, etwa, ob auch ein geknickter Pfeil als Piktogramm noch verständlich sei. Bei Klee schwebt bzw. schlängelt sich ein roter Pfeil manchmal sogar gebogen durch das Bild.

Wie ein Wissenschaftler liebte Klee die Systeme, er nummerierte sein gesamtes Werk. Und beurteilte es streng: „SCL“ (Sonderclasse) schrieb er auf Arbeiten, die ihm besonders konvenierten. So adelte er 1924 etwa „Kleine Winterlandschaft mit Skiläufer“. Sie müssen sich ganz nahe zu ihr beugen, um den zarten Bleistiftcode zu entdecken. Sie werden ihn schwerlich wieder vergessen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2008)


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