derStandard.at-Interview

"Händeschütteln gehört auch dazu"

von Rosa Winkler-Hermaden und Anita Zielina  |  15. September 2010, 08:44
  • Artikelbild: Das Kulturressort sei kein "Pipifax"-Ressort: "Ich finde den Ausdruck drollig, er trifft nur in keiner Weise zu."  - Foto: derStandard.at/Zielina

    Das Kulturressort sei kein "Pipifax"-Ressort: "Ich finde den Ausdruck drollig, er trifft nur in keiner Weise zu."

  • Artikelbild: "Die große Aufregung von heute ist spätestens morgen längst vergessen und übermorgen lachen wir darüber." - derStandard.at/Zielina

    "Die große Aufregung von heute ist spätestens morgen längst vergessen und übermorgen lachen wir darüber."


  • Artikelbild: "Wir haben eine Gründerzeit im Bereich der Theater. Es wird nicht nur kein Theater zugesperrt, sondern es werden viele Theater neu eröffnet." - derStandard.at/Zielina

    "Wir haben eine Gründerzeit im Bereich der Theater. Es wird nicht nur kein Theater zugesperrt, sondern es werden viele Theater neu eröffnet."

  • Artikelbild: "Ich kann auch nicht sagen, ich sperre die Hälfte der Theater zu. Mit nassen Fetzen würden Sie mich aus der Stadt jagen." - derStandard.at/Zielina

    "Ich kann auch nicht sagen, ich sperre die Hälfte der Theater zu. Mit nassen Fetzen würden Sie mich aus der Stadt jagen."

Kulturstadtrat Mailath-Pokorny über sein "Pipifax"-Ressort, Zensur, Subventionen und sein Engagement bei den Uni-Protesten

Die ÖVP will in die Regierung, sich aber nicht mit dem Ressort des Kulturstadtrats zufrieden geben. "Das kränkt mich überhaupt nicht", entgegnet Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ). Warum das größte Kompliment, das er jemals erhalten hat, von Hubsi Kramar war, und wieso Rufe nach Zensur genau das Gegenteil dessen verursachen, was sie bewirken sollen, sagt er im Interview mit derStandard.at. Kritik übt Mailath-Pokorny an Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP). Er bezeichnet ihre Androhung, Universitäten aus Mangel an Budget-Mitteln zuzusperren, als "absurd".

  • MEHR ZUM THEMA
  • Frühling:Günstige Angebote von NIKI. Jetzt buchen
  • Sitzplatz:Fernweh? Jetzt buchen auf austrian.com

***

derStandard.at: Ist die Kultur ein "Pipifax-Ressort", wie es die Wiener ÖVP-Spitzenkandidatin Christine Marek angedeutet hat?

Mailath-Pokorny: Ich finde den Ausdruck drollig, er trifft nur in keiner Weise zu. Ich fürchte fast, er ist von Ahnungslosigkeit und einer gewissen Form von Arroganz geprägt. Ich halte das Kulturressort für ein ganz wichtiges. Jeder zweite Medienbericht im Ausland über Wien hat die Kultur zum Inhalt. Das Image Wiens hängt wesentlich davon ab. Zig-Tausende Arbeitsplätze stehen unmittelbar in Zusammenhang mit der Kultur und jeder investierte Euro kommt mehrfach zurück.

derStandard.at: Die ÖVP will nach der Wahl in die Regierung, sagt aber, sie will sich nicht mit dem Posten des Kulturstadtrats abspeisen lassen. Kränkt Sie das?

Mailath-Pokorny: Überhaupt nicht. Aber es sollte die kulturinteressierten VP-Wähler kränken. Es tut sich ungeheuer viel in Wien und Kultur macht einen Großteil der Stadt aus.

derStandard.at: In der Kurzfassung des Wahlprogramms der Wiener SPÖ kommt die Kulturpolitik auch nicht als eigener Schwerpunkt vor, sondern wird nur beiläufig erwähnt. Warum ist das so?

Mailath-Pokorny: Im eigentlichen Wahlprogramm ist aber ziemlich viel über die Kultur drinnen und es gibt klare Vorstellungen. Wenn wir sagen, wir wollen ein neues Wien-Museum, ist das ein Bekenntnis der Stadt zu zeitgenössischer Architektur aber auch dazu, wie man den Menschen Alltagskultur näher bringen kann. Das ist ein konkreter, visionärer Punkt, nebst vielen anderen.

derStandard.at: Oft erwähnt man Kultur schon in einem Atemzug mit Eventpolitik oder Tourismus. Zum Beispiel, wenn die SPÖ Aktivitäten wie das Filmfestival am Rathausplatz hervorhebt.

Mailath-Pokorny: Es gibt auch das Popfest am Karlsplatz und weitere 80 Festivals in dieser Stadt. In der ganzen Bandbreite dessen, was möglich und was denkbar ist. Kultur in der Stadt ist mit Sicherheit bei weitem nicht nur Event-Kultur. Die Stadtregierung hat das Kulturbudget in den letzten Jahren um mehr als 40 Prozent gesteigert. Wir haben eine Gründerzeit im Bereich der Theater. Kein Theater wird zugesperrt, sondern es werden viele Neue eröffnet.

derStandard.at: Viele Künstler sagen, Sie entscheiden in Wahrheit nichts, Ihr Job sei es, Hände zu schütteln. Es heißt, über das Kulturbudget würden andere entscheiden. Ist das so?

Mailath-Pokorny: Wer sollte sonst darüber entscheiden, wenn nicht ich? Formal der Wiener Gemeinderat, das stimmt schon. Fest steht: Ich setze mich inhaltlich sehr mit dem Thema auseinander, aber es gehört auch zum Job des Kulturstadtrats, nicht nur tagsüber im Büro zu sitzen, sondern auch Abend für Abend unterwegs zu sein.

Ich bin bei Veranstaltungen, um zu zeigen, dass ich Anteil nehme, an dem, was passiert. Es gehört auch das Händeschütteln dazu, insbesondere nach Premieren. Aber mir hat noch niemand gesagt, dass sich meine Tätigkeit darauf beschränkt.

derStandard.at: Im Frühling sorgte eine Ausstellung in der Secession für Aufregung. Im Keller wurde ein Swinger-Club eingerichtet und das hat zu einer Debatte über Grenzen der Kulturförderung geführt. Gibt es für Sie auch Grenzen bei der Subventionsvergabe? Was würden Sie nicht fördern?

Mailath-Pokorny: Das ist relativ einfach. Das, was gegen unsere Gesetze verstößt. Ich halte es mit dem klassischen, aufklärerischen Grundsatz: „Ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber ich würde alles dafür tun, dass Sie ihre Meinung äußern können." Es geht nicht darum, ob mir persönlich etwas gefällt oder zu Gesichte steht. Wenn es den Förderrichtlinien entspricht, soll es auch gefördert werden.

Das größte Kompliment, das ich bisher bekommen habe, war jenes von Hubsi Kramar, der gesagt hat, in dieser Stadt ist es möglich, dass man die Hand beißt, die einen füttert. Ehrlich gesagt, was schöneres, gibt es gar nicht.

derStandard.at: Wenn man das Thema Religion aufgreift - was wäre mit Mohammed- oder Jesus-Karikaturen? Ist das Strafgesetz die einzige Grenze oder gibt es eine darüber hinaus gehende moralische Grenze?

Mailath-Pokorny: Ich habe einen sehr großzügigen Zugang dazu. Beispielsweise habe ich mich in Briefen an das griechische Außenministerium sehr dafür eingesetzt, als Gerhard Haderer in Griechenland strafrechtlich verfolgt wurde. Aber natürlich, die Verletzung von Gefühlen kann ich schon nachvollziehen.

Es wird immer Fälle geben, über die zu diskutieren ist. Bei Nitsch zum Beispiel hat es viel Widerstand gegeben, dabei handelt es sich bei seinem Werk in Wahrheit um ein tief religiöses. Meistens bewirken solche Rufe nach Zensur genau das Gegenteil dessen, was sie bewirken wollen.

derStandard.at: Gibt es Kunstprojekte, wo sie rückwirkend sagen, das ist wirklich zu weit gegangen?

Mailath-Pokorny: Nein. Es ist nicht alles nach meinem Geschmack und ich finde nicht alles ästhetisch oder künstlerisch zukunftsweisend. Aber ich erinnere mich an nichts, wo ich im Nachhinein sage, es wäre gescheiter gewesen, man hätte das nicht getan. Ich bin grundsätzlich gegen Verbieten und wüsste nicht, wohin das führen soll. Wir haben eine freie Gesellschaft, die es aushalten muss, wenn man sich kritisch gegen sie wendet.

Es gab massive Interventionen, als Hubsi Kramar das Fritzl-Stück aufgeführt hat. Ich habe das für eine unnötige Aufregung gehalten. Vor ein paar Tagen habe ich mir den „Heldenplatz" angesehen. Man steht staunend davor und lacht darüber, was damals für ungeheure Aufregung gesorgt hat. Man kann das nur sehr schwer nachvollziehen.

Von daher tut eine gewisse Gelassenheit gut. Die große Aufregung von heute ist spätestens morgen längst vergessen und übermorgen lachen wir darüber.

derStandard.at: Eine Studie der IG Kultur besagt, dass die Wiener Kulturpolitik Migranten benachteiligt bzw. dass sie nicht entsprechend gefördert werden. Was tut die Stadt, um sie zu fördern? Wie kann man auch Leute aus bildungsfernen Schichten für Kunst und Kultur interessieren?

Mailath-Pokorny: Ich halte das für ein ganz wichtiges Thema. Bei der Kulturförderung muss man immer aufpassen, dass es nicht eine Umverteilung von unten nach oben gibt. Ich bin sehr für die Umwandlung des Theaters an der Wien von einem Musical- zu einem Opernhaus eingetreten. Wir zeigen qualitativ hochwertige Opern-Produktionen und ich stehe auch dazu. Man muss aber wissen, dass wir hier mit sehr viel Geld einen klassischen Bereich der Hochkultur unterstützen, wo jeder einzelne Sitzplatz hoch subventioniert wird. Das ist gut und wichtig, man darf aber nicht vergessen: die Leute, die dafür zahlen sind nicht nur jene, die hingehen. Sie sollten auch die Möglichkeit erhalten, dorthin und in andere Kultureinrichtungen zu gehen. Wir haben eine Palette von Möglichkeiten eröffnet, wo wir das versuchen.

„Cash for Culture" ist zum Beispiel ein Programm, um sehr rasch zu 1000 Euro Förderung zu kommen und Ideen zu verwirklichen. Das Programm ist für Menschen zwischen 13 und 23 Jahren gedacht und es sind hauptsächlich Menschen mit Migrationshintergrund, die es wahrnehmen. Für sie ist das eine Möglichkeit, gewisse Dinge verwirklichen zu können, ohne die Eltern um Erlaubnis fragen zu müssen.

derStandard.at: Sie sind nicht nur für die Kultur zuständig, sondern auch Wissenschaftsstadtrat. Was können Sie auf Landesebene überhaupt bewirken?

Mailath-Pokorny: Ein kulturelles Wien wäre ohne Wissenschaft nicht denkbar. Zwar ist die Stadt nicht unmittelbar für die Universitäten zuständig, aber gerade jetzt, am Beginn eines Semesters, hielte ich es für ganz essentiell, die neun Universitäten dieser Stadt so auszustatten oder ihnen zumindest eine Perspektive zu geben, dass man hier auch tatsächlich von einer Wissenschaftsstadt sprechen kann.

Aber jetzt beginnen wir ein neues Studienjahr mit der absurden Diskussion, dass wir die Universitäten vielleicht zusperren müssen, wie das die Wissenschaftsministerin gesagt hat. Das halte ich für eine Schande. Ich habe mich bei den Studentenprotesten engagiert, war sowohl im Audimax als auch bei sonstigen Diskussionen und Demonstrationen dabei. Ich muss aber feststellen, dass nach monatelangen Studentenprotesten überhaupt nichts weiter gegangen ist. Das halte ich für gefährlich. Es gefährdet den Wissenschaftsstandort Wien.

derStandard.at: Was fordern Sie?

Mailath-Pokorny: Ich fordere ein zukunftsorientiertes Gesamtkonzept für die Universitäten. Wir haben zu wenige Studierende, Absolventen und Studienplätze, nicht zu viele. Man sollte sich überlegen, wie man die Unis ausbauen kann. Ich kann ja auch nicht zu Beginn der Theatersaison sagen, ich sperre die Hälfte der Theater zu. Mit nassen Fetzen würden Sie mich aus der Stadt jagen. Mit vollem Recht. (Rosa Winkler-Hermaden, Anita Zielina, derStandard.at, 15.9.2010)

ANDREAS MAILATH-POKORNY (50) studierte Jus und Politikwissenschaft an der Uni Wien. Er war Büroleiter von Bundeskanzler Franz Vranitzky, bis 2001 leitete er die Sektion für Kunstangelegenheiten im Bundeskanzleramt. Seit 2001 ist er Stadtrat für Kultur und Wissenschaft in Wien.

weitersagen:
drucken
Kommentar posten
Posten Sie als Erste(r) Ihre Meinung

Die Kommentare von User und Userinnen geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich vor, Kommentare, welche straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen, den guten Sitten widersprechen oder sonst dem Ansehen des Mediums zuwiderlaufen (siehe ausführliche Forenregeln), zu entfernen. Der/Die Benutzer/in kann diesfalls keine Ansprüche stellen. Weiters behält sich die derStandard.at GmbH vor, Schadenersatzansprüche geltend zu machen und strafrechtlich relevante Tatbestände zur Anzeige zu bringen.